Rechtslage in der Schweiz

Informantenschutz: Rechtslage in der Schweiz

Für die Schweiz gilt gleiches wie für Österreich: Absehbar wird das höchste europäische Gericht, der EGMR in Straßbourg, die Medienfreiheiten weiter definieren als dies teilweise in der Schweiz selbst geschieht. Mehrere Verfahren, sprich Klagen sind hier anhängig, die neue Maßstäbe setzen werden. Die Schweiz war 1974 der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten (Beitritt in die UNO: im Jahre 2002).

Für europäische Verhältnisse ist die Schweiz – medienrechtlich gesehen – ein Land, in dem auf der einen Seite die »Informationsfreiheit … zu wünschen übrig lässt« (STUDER/BALDEGG 2000: 26), was auf der anderen Seite zwangsläufig bedeuten muß, dass die Medien ständig in Konflikt mit dem »allzustrengen schweizerischen Recht« (MEILI 2000: 142) geraten, wenn sie ihrer regulären Arbeit nachgehen. Die vergleichsweie unterentwickelte Auskunftsfreudigkeit schweizerischer Staatsinstanzen lässt sich am besten aus dem Wortlaut und der dahinter stehenden (derzeit noch geltenden) Staatsphilosophie des § 27 IV StGB verstehen: »Die wahrheitsgetreue Berichterstattung über öffentliche Verhandlungen und amtliche Mitteilungen einer Behörde ist straflos.« In keinem Gesetzeswerk eines anderen Landes der Europäischen Gemeinschaft wird auf eine solche Selbstverständlichkeit hingewiesen, und schon gar nicht in einem Strafgesetzbuch. In der Schweiz gilt vielfach noch die Regel: Alles, was nicht ausdrücklich als öffentlich bezeichnet wird, ist grundsätzlich geheim. Anderswo praktiziert man das Gegenteil: Was nicht ausdrücklich als geheim deklariert wird, ist selbstverständlich öffentlich.

Allerdings lässt sich dieses anchronistische Amtsprinzip vielfach unterlaufen – Schweizer Behörden gelten als vorbildlich service-orientiert: Dienst am „Kunden“ – wobei „Kunden“ jene sind, die aus welchen Gründen auch immer eine Behörde aufsuchen – wird ganz groß geschrieben, denn dies entspricht dem eidgenössischen Verständnis von Bürger und seinem Staat. Konkret: Häufig hilft eine überzeugende Legende (Beispiel Grundbucheinsicht: „Ich interessiere mich für einen konkreten Kauf und müsste dazu folgendes wissen: …“), um Informationen zu bekommen. Da muss man etwas Phantasie und Fingerspitzengefühl walten lassen.

Wie auch immer: Das schweizerische »Geheimnisprinzip mit Öffentlichkeitsvorbehalt« soll absehbar reformiert werden: in ein »Öffentlichkeitsprinzip mit Geheimnisvorbehalt«. Im günstigsten Falle wird die neue Philosophie im Jahre 2003 in Kraft treten können (vgl. BLUM 2001: 9). So gesehen existieren in der Schweiz derzeit noch eine Reihe medienrechtlicher Merkwürdigkeiten und teilweise gegensätzliche Rechtsanschauungen, die ein gewisses Maß an Unsicherheit prägen. Aber auch hier gilt: Der Informantenschutz ist davon nicht betroffen. Betroffen sind die Medien, indem sie sich – derzeit – des Geheimnisverrates, der Anstiftung oder der Gehilfenschaft usw. strafschuldig machen und dafür – derzeit noch – entsprechende Strafen bzw. Geldbußen kalkulieren müssen.

1. Quellenschutz und „geheime Unterlagen“:

In der Schweiz läuft der Informantenschutz unter dem Stichwort »Quellenschutz« und ist seit 1998 im § 27bis und dort im ersten Absatz des StGB gesetzlich geregelt: »Verweigern Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, oder ihre Hilfspersonen das Zeugnis über die Identität des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen, so dürfen weder Strafen noch prozessuale Zwangsmaßnahmen gegen sie verhängt werden.«

Da nur wenige und sehr spezifizierte Ausnahmen zugelassen sind, dann nämlich, wenn das Zeugnis erforderlich ist, um beispielsweise Leib und Leben einer gefährdeteten Person zu retten oder bei der Verfolgung von schweren Kapitalverbrechen und Ähnlichem (vgl. § 27bis II StGB), heißt dies umgekehrt, dass alle anderen Fallsituationen nicht unter diese Ausnahmeregelung fallen. Zum Beispiel auch Informationen, die im Wege – und dies kann in der Schweiz recht fix gehen – eines konstruierten Geheimnisverrates an die Medien gelangt sind. Der Quellenschutz jedenfalls greift auch hier.

Das Aussageverweigerungsrecht ist insoweit völlig ausreichend, ausser dass es sich zwar auf alle Mitarbeiter (»Hilfspersonen«), aber nur jene von periodischen Medien bezieht. Damit sind allerdings auch Hörfunk, Fernsehen und redaktionelle Internetangebote gemeint.

Allerdings gibt beim Quellenschutz eine weitere (eigentlich nicht verständliche) Ausnahme. Dass die Gefährdung von Leib & Leben einen Ausnahmetatbestand darstellt, ist absolut nachvollziehbar. Dass dies auch bei so genannter Vorteilsgewährung bzw. Annahme einer solchen (§ 322 quinqiues, sexies StGB) gelten soll, ist problematisch: Wer eine solche Geschichte aufdeckt, aber seine Quelle schützt, muss im Prinzip mit Zwangsmaßnahmen rechnen. Allerdings kann er sich auf den § 6 des Pressekodex berufen. Der postuliert klipp und klar das Redaktionsgeheimnis, was aber im Vergleich zum (Straf-)Gesetz nur eine ‚mindere‘ Rechtsqualität darstellt, auf die man sich berufen kann.

Wie in Deutschland und Österreich: Wenn die Strafverfolgungsbehörden, egal ob aus eigenem Antrieb oder aufgrund von Anzeigen Dritter handelnd, nicht an die Informanten herankommen, versuchen sie es bei den Medien. Artikel 27 I StGB regelt die »Strafbarkeit der Medien«:
»Wird eine strafbare Handlung durch Veröffentlichung in einem Medium begangen und erschöpft sie sich in dieser Veröffentlichung, so ist …. der Autor allein strafbar.« Kann man den nicht ermitteln oder nicht »in der Schweiz vor Gericht« stellen, so muß der »verantwortliche Redaktor« bzw. der letztlich Verantwortliche für die Veröffentlichung seinen Kopf hinhalten – Strafe muß sein!

Die strafrechtlich relevante »Veröffentlichung amtlicher geheimer Unterlagen« (§ 293 StGB), wozu Akten, Verhandlungs- bzw. Sitzungsprotokolle oder auch Untersuchungen einer Behörde zählen oder auch Anstiftung zum Geheimnisverrat, ist in der Schweiz, was die Strafsätze anbelangt, vergleichsweise kostengünstig:

  • Im Fall der Tageszeitung »Blick«, die 1997 über den Zürcher Fraumünster Postraub (53 Mill. SFR) publiziert und dazu auch über die Staatsanwaltschaft recherchiert hatte, allerdings ohne die erhaltenen Informationen tatsächlich zu nutzen, wurde der betreffende Journalist in letzter Instanz vom Bundesgericht im Mai 2001 wegen »Anstiftung« n. § 24 StGB zu 500 Franken verurteilt (vgl. STUDER 2001: 20ff).
  • Die Veröffentlichung des „Jagmetti-Papiers“ in Auszügen 1996 in der »SonntagsZeitung« war etwas teurer. Dabei handelte es sich um ein diplomatisches Strategiepapier des damaligen Schweizer Botschafters in den USA, der in ausgesprochen undifferenzierter Weise eine schweizerische Gegenstrategie auf die Versuche jüdischer Organisationen empfahl, den herrenlosen Vermögen auf schweizerischen Konten auf die Spur zu kommen bzw. entsprechende Entschädigungen von den Großbanken zu fordern (vgl. im Buch S. 34 f). JAGMETTI sprach von einem »Krieg, den die Schweiz an der Außen- und Innenfront führen und gewinnen muß.« (vgl. WEILL 1999: 149). Der Botschafter trat nach der Veröffentlichung zurück. Der Informant wurde nie identifiziert, der Journalist hingegen wurde im Jahre 2000 vom Schweizerischen Bundesgericht nach § 293 StGB zu 800 SFR verurteilt (vgl. STUDER/BALDEGG 2000: 153ff; STUDER 2001: 20ff), weshalb jetzt auch der EGMR entscheiden wird.

In ähnlichem Finanzrahmen bewegen sich auch andere vergleichbare Fälle. Dazu addieren sich allerdings die Anwalts- und Gerichtskosten.

Eigentlich wollten das Justizministerium sowie die Schweizer Regierung 1997 diesen Paragraphen abschaffen. Begründung: Es würden immer nur die Journalisten bestraft und nicht die eigentlichen Täter. Und die Medien wiederum machen nur ihren Job. Allerdings fand die parlamentarische Debatte der entsprechenden Gesetzesvorlage unmittbar nach der Jagmetti-Affäre statt, die hohe Wellen geschlagen hatte. Die Mehrheit des Schweizer Parlaments lehnte den Antrag entrüstet ab. Seither gibt es nur eine minimale Verbesserung durch Ergänzung eines weiteren Absatzes im fraglichen Paragraphen: »Der Richter kann von jeglicher Strafe absehen, wenn das an die Öffentlichkeit gebrachte Geheimnis von geringer Bedeutung ist« (§ 293 III StGB).

2. Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot:

Wie der Quellenschutz-Paragraph (§ 27bis I StGB) unmißverständlich klarstellt, sind »prozessuale Zwangsmaßnahmen« nicht zulässig, um den Quellenschutz zu umgehen: Durchsuchungen und Beschlagnahme bleiben auch in der Schweiz außen vor, soweit diese vom Quellenschutz abgedeckt sind. Macht sich hingegen der Journalist einer strafbaren Handlung oder Tat verdächtig, so muß er mit solchen Zwangsmaßnahmen rechnen.

3. Nachrichtendienstliche Methoden staatlicher Instanzen und Informantenschutz:
„Abhören“ im engeren und weiteren Sinn ist natürlich auch in der Schweiz möglich. Seit 6.10.2000 gibt es ein verändertes „Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF)“. Der Bund, das ist die höchste politische Ebene mit ihren Institutionen in der Schweiz, hat dazu einen eigenen „Dienst“ eingerichtet, und zwar den „Dienst für besondere Aufgaben (DBA“, der beim Department (Ministerium) für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) untergebracht und administrativ angesiedelt ist. Dieser Dienst agiert, obwohl in eine andere Behörde integriert, „weisungsungebunden“, wie es das BÜPF vorsieht, und ist nur seinen „Aufgaben“ verpflichtet. Diese erhält er zum Zwecke der Strafverfolgung oder auch in anderen Fällen, z.B. zum Zwecke der Auslieferung, von dazu befugten Amtspersonen wie etwa Bundesstaatsanwälte, eidgenössische Untersuchungsrichter, dem Bundesamt für Polizei oder auch seitens kantonaler Behörden (vgl. Art. 6 BÜPF). Überwachung dieser Art ist aber nur in gesetzlich festgelegten Fällen möglich, wie sie in Art. 3 genauestens aufgelistet sind: Straftatbestände nach dem Strafgesetzbuch, des Militärstrafgesetzes, Kriegsmaterialgesetz, Atomgesetz u. a. m.

Sofern Überwachungsbegehren „Träger eines Berufsgeheimnisses“ tangieren, die das Zeugnis verweigern dürfen, ist die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs nicht mehr erlaubt, sprich verboten. Ausnahme: Es sei denn, der Tatverdacht richtet sich eben einen solchen Zeugnisverweigerungsträger, also einen Journalisten selbst, oder wenn es „auf Grund bestimmter Tatsachen angenommen werden muss, dass die verdächtigte Person“ die Postadresse oder den Fernmeldeanschluss des beispielsweise Journalisten „benützt“ (Art. 4 III BÜPF).

Die Überwachung ein einem solchen Fall ist aber ihrerseits überwachungspflichtig, und zwar durch eine „richterliche Behörde“, die „nicht mit den Ermittlungen befasst ist. Dabei ist sicherzustellen, dass die ermittelnden Behörden keine Berufsgeheimnisse zur Kenntnis erhalten“ (Art. 4 VI BÜPF), es sei denn der Berufsgeheimnisträger wird verdächtigt, selbst eine Straftat „unter dem Schutz des Berufsgeheimnises“ begangen zu haben (Art. 8 IV BÜPF).

Fasst man diese rechtlichen Informationen unter dem Aspekt des Informanten- bzw. Quellenschutzes zusammen, so kann man folgendes konstatieren:

  • Wenn überhaupt jemand in irgendeiner Weise vor telefonischer Überwachungsgier geschützt ist, so betrifft dies den Journalisten und nicht den Informanten.
  • Auf der anderen Seite kennen Ermittler eher den abhörbaren Standort eines Jounalisten als den seines Informanten, weil sie sich sonst gleich an den whistleblower halten würden.
  • Egal wie: Rechtliche Regelungen sind das eine, die tatsächliche Praxis das andere.
  • Potenzielle Vorsorgemaßnahmen sind nie übertrieben, sondern im Zweifel der sicherste Weg, Informanten wirksam zu schützen. Hinweise und Tipps im Buch ab Seite 327.