Chronik eines rätselhaften Todes, Teil 2

Hier der zweite Bericht aus der Berliner Morgenpost vom Mai 2002, der vier Monate auf den ersten Artikel im Januar folgte. Autoren wiederum Olaf JAHN und Jens Anker.


Beschränkte Ermittlungen: Ungereimtheiten bei der Aufklärung des Todes eines Aubis-Mitarbeiters

Die Bankgesellschaft hat Berlin in eine tiefe Krise gestürzt. Die Folgen sind unabsehbar. Ende November wurde der ehemalige EDV-Chef der Aubis-Unternehmensgruppe erhängt im Grunewald gefunden. Die Polizei tippte auf Selbstmord. Seit Dezember 2001 jedoch ermittelt sie wegen Verdachts auf Mord oder Totschlag. Lars-Oliver P. (32) war eine Kernfigur der Aubis-Gruppe. Er hatte Zugang zu allen Daten der Firma. Belege, die Staatsanwälte und Bankgesellschaft über Absahnergeschäfte der Aubis-Verantwortlichen suchte: Er hatte sie. Er wusste um ihren Wert und wollte sie verkaufen. Durch eine Nachlässigkeit der Staatsanwaltschaft erfuhren die Aubis-Anwälte am 19. September davon. Da war P. schon untergetaucht. Er hatte Angst. Neun Tage später war er tot. Ein heikler Fall, der minutiös untersucht werden müsste. Tatsächlich sind die von den Mitarbeitern des Generalstaatsanwalts Hansjürgen Karge geführten Untersuchungen bislang geprägt von vielen Versäumnissen.

Das Schriftstück vom Abteilungsleiter 22 der Berliner Staatsanwaltschaft, Hans-Jürgen Dorsch, zum Ermittlungskomplex “Parteispende Landowsky“ und “Bankgesellschaft Berlin“ ließ keinen Zweifel offen. Der Leitende Oberstaatsanwalt sah dringenden Anlass, seine Ermittlungen im Komplex Aubis/Bankgesellschaft mit den Untersuchungen der Abteilung für Kapitalverbrechen (Kap) zu verzahnen. Dorsch wusste, dass die Aubis-Chefs Klaus-Hermann Wienhold und Christian Neuling versucht hatten, “Einfluss auf Zeugen zu nehmen“. Einige hatten sich unter Druck gesetzt gefühlt. Und nun der unerklärliche Selbstmord eines möglichen Kronzeugen im Fall Aubis. Bei Dorsch klingelten die Alarmglocken. Doch die Kap-Kollegen machten dicht. Die notwendige “enge Kooperation mit den Ermittlungen in der Todessache P.“, klagte Dorsch in einem Schreiben an seine Vorgesetzten, “ist seitens der Kap-Abteilung abgelehnt worden.“

Diese Verweigerung ist noch eine der kleineren Pannen, die sich Berlins Ermittler im Komplex Aubis/Petroll geleistet haben. Das vorläufige Bauernopfer in diesem Fall heißt Hans-Jürgen Dorsch. Wenige Tage nach seiner Kritik wurde er als Chef-Ermittler abgelöst. “Ich habe massiven Ärger bekommen“, klagte der offensichtlich gebrochene Oberstaatsanwalt vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dabei musste für Staatsanwaltschaft und Polizei klar sein, dass das Lebensumfeld P.s und die Umstände seines Todes lückenlos aufgeklärt werden müssen. Mit wem hatte P. in den Tagen vor seinem Tod Kontakt? Hatte er Freunden gegenüber von Drohungen gesprochen? Wo hatte er die Unterlagen versteckt, die er als Belastungsmaterial gegen Aubis beiseite geschafft hatte?

Doch wo ein Höchstmaß an Genauigkeit nötig gewesen wäre, herrschte von Beginn an Nachlässigkeit. So ließ die Staatsanwaltschaft am 18.Dezember die Wohnung einer Freundin P.s durchsuchen. Die Begründung des Haftrichters: Es würden vermutlich “Computer, auf Disketten oder sonstigen Datenträgern gespeicherte Sicherungskopien (…) über Geschäftsvorfälle aus der Aubis-Unternehmensgruppe“ gefunden. Das stimmte. Die Ermittler nahmen sechs Disketten (beschriftet mit “Notfall“, “Aubis 1“, “Liste IV Kopie P.“, “Aubiwist 1021“ oder “Imation Aubitech 1“) des Toten mit. Schon diese Daten, so ein Vermerk, “sind für die weiteren Ermittlungen von Bedeutung“.

Einen ganz anderen Umfang dagegen hatte Material, das die Beamten schlichtweg liegen ließen: Gut 120 Disketten, die neben Software-Programmen auch Daten mit Kern-Kalkulationen der Aubis-Chefs und damit Beweismittel enthielten. Eine Kundenkarte der Hamburger Commerzbank-Filiale “Am Hafen“ auf den Namen Lars Oliver P. (“Ihre Konto-Nummer bei uns lautet: 3737053“) übersahen die von der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzten Kriminalbeamten ebenfalls. Eine erstaunliche Panne in einem Fall, in dem der Verkauf von Informationen, mögliche Erpressung und Geldflüsse eine Rolle spielen.

Die Beamten ermittelten weiter nach 08/15. “Die waren etwa zehn Minuten hier, fragten, wo ich Lars kennen gelernt hatte. Mehr wollten die nicht wissen“, berichtet ein Bekannter P.s. Die mangelnde Neugier führte offenbar auch dazu, dass die Beamten ein Handy übersahen, mit dem P. in der Zeit vor seinem Tod telefoniert hatte. Auf dem Nokia-Handy waren neben 75 Telefonnummern auch 42 SMS-Texte an P. gespeichert. Eine von ihnen trifft den Kern des Falles: “Warum soll dich einer killen?“ Der Verzicht auf diese Informationen brachte die Kripo um den Zugang zu Dutzenden von Zeugen, die den Toten und dessen Furcht vor “den Aubis-Handelnden“ bis kurz vor seinem Tod erlebt hatten.

Bis heute ist eine mobile Festplatte verschwunden, auf der P. sensible Kerndaten gespeichert hatte. Unter anderem auch ein Programm, mit dem er interne Aubis-Daten von jedem beliebigen Ort abrufen konnte. Die Festplatte gehörte zu den wichtigsten Gerätschaften des Technik-Freaks P. Auch ein Taschen-PC vom Typ Cassiopeia, ohne den Freunde den gebürtigen Hamburger nie gesehen haben, fehlt bisher. Auch hierbei hätte das verschmähte Nokia-Handy den Ermittlern weiterhelfen können. Am 30.Mai erhielt P. von der Telefonnummer 0173-219-4850 eine SMS mit der Frage: “Ich habe den Chip vom Cassiopeia?“

Der Absender hat es in sich. Diese Telefonnummer ist eine von mehreren, die Sven Asmus, der Chef des Leipziger Energieversorgungs-Unternehmens Elpag, benutzt. Das Geschäftsgebaren zwischen Elpag und Aubis ist inzwischen Gegenstand einer Anklageschrift gegen die Aubis-Manager Wienhold und Neuling. Aubis und Elpag haben nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Absahnergeschäfte organisiert, die 35 Millionen Euro in die Taschen der Beteiligten spülen würden. Als geradezu fahrlässig muss daher die schlampige Ermittlungsarbeit der Ankläger gelten.

Eine unglückliche Figur gaben die Ermittler auch im Falle eines brisanten Päckchens ab, das der tote P. offenbar als Teil seines Beweismaterials versteckt hatte. Einen ersten Hinweis auf dieses Päckchen – es sollte angeblich in einem Schließfach am Flughafen Tegel liegen – hatte die Staatsanwaltschaft am 26.November vom Vater P.s erhalten. Anschließend erfuhren sie, dass die im Schließfach deponierten Beweismittel von Herrn Asmus abgeholt worden waren. Eine Durchsuchung bei Asmus und Elpag endete erfolglos: Asmus, so die Akten, “gab an, alle Unterlagen vernichtet zu haben“.

Tatsächlich hatten sich die Ermittler nie zur Fundsachen-Stelle am Flughafen Tempelhof aufgemacht. Dort war nach Angaben einer Mitarbeiterin am 19.September von der Gepäckaufbewahrung in Tegel eine silberfarbene Tasche abgeliefert worden. Das Stück, aufgegeben am 21.Juli 2001, war nach sechs Wochen überfällig. In der Tasche, so die Mitarbeiterin, “befanden sich diverse Kassetten“, auf denen Wochentage notiert waren. Auch die Wörter Volksbank und Asmus tauchten auf.

Die Beschriftung “Volksbank“ weist darauf hin, dass P. Aubis-Kontenbewegungen bei der Hausbank der Gruppe festgehalten hatte. Das Material, so meinen Fachleute, führte damit wohl direkt in den Kern des Aubis-Skandals. Neben den Bändern lagen in dem Paket PC-Disketten sowie Umschläge, auf denen die Namen Asmus und Hölz standen. Die Fundsachenstelle rief bei Asmus an. Der bestätigte: Das Paket gehöre ihm. Ein Mann seines Vertrauens, der damalige Aubis-Mitarbeiter Michael Hölz, holte es später ab.

Asmus dürfte sich über das brisante Material gefreut haben. Er tischt zu dem heißen Päckchen eine wenig überzeugende Geschichte auf. So schrieb er der Morgenpost, er habe “keine Geschäftsunterlagen oder Datenträger, sondern lediglich persönliche Dokumente erhalten, die sich seit längerem mit meiner Zustimmung im Besitz des Herrn P. befanden“. Keine Datenträger? Wenn die Zeugenaussage der Flughafen-Mitarbeiterin stimmt, wäre das eine glatte Lüge. Und persönliche Dokumente und Unterlagen? Die Asmus dann vor der Durchsuchung vernichtete, obwohl P. sie zuvor monatelang für ihn aufbewahrt hatte?

Widersprüche überall. Und immer neue Ungenauigkeiten bei der Staatsanwaltschaft. Bis heute etwa heißt es offiziell, der tote P. sei nach der ersten Obduktion noch einmal nachuntersucht worden – obwohl es diesen zusätzlichen Check nie gab, sagt ein Ermittler.

Die für die Todesfall-Ermittlungen zuständige Kap-Abteilung der Staatsanwaltschaft spielt in diesem Fall auf Zeit. Auskünfte werden kategorisch verweigert, damit die Ermittlungen nicht gefährdet werden, wie es heißt. Als ob noch aktiv ermittelt würde! “Die Kripo hat alle Akten an die Kap abgegeben. Dort liegen die Sachen unter dem Tisch, bis Gras über die Sache gewachsen ist“, so ein Insider.

Das könnte sich als Fehler erweisen. Denn monatelange Recherchen der Berliner Morgenpost belegen, wie sehr sich die Ereignisse vor P.s Tod zuspitzten: Zunächst erfuhr die Staatsanwaltschaft von seinem Versuch, der BerlinHyp Beweismaterial gegen Aubis zu verkaufen und nahm P.s Namen ungeschwärzt in die Akten auf. Am 19.September sahen die Anwälte der Aubis-Chefs diese Unterlagen ein. Damit war P. als Aubis-Maulwurf enttarnt. Am 25.September erfuhren Aubis-Mitarbeiter von P.s “Beweispäckchen“ am Flughafen Tempelhof und holten es einen Tag später ab. Am 28.September wollte sich P. am Abend mit einer Aubis-Vertrauten treffen. Stunden später war er tot.

Die Frage, ob P. wirklich Selbstmord begangen hat, ist weiter offen. Zweifel daran nährt eine Zeugen-Aussage, mit der das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel“ den früheren Aubis-Mitarbeiter Markus L. zitiert. Asmus habe ihm erzählt, dass P. den Aubis-Chef Wienhold mit seinem Insider-Wissen erpresse. Dann soll der Elpag-Chef gesagt haben: Wenn P. das durchzieht, könne es sein, “dass er das nicht überlebt“. Eine Aussage, die Sven Asmus vehement bestreitet.

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