4.6.2.5 Bundeskartellamt und Landeskartellbehörden

Kartellabsprachen oder sonstige Verstöße gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – auch als Grundgesetz der Marktwirtschaft bezeichnet – gelten in den jeweiligen Branchen – ähnlich wie die Steuerhinterziehung – als Kavaliersdelikte. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass Regelverstöße nicht wie in den USA Straftatbestände darstellen, sondern hier zu Lande als Ordnungswidrigkeiten gelten. Entsprechend geringer sind die Bußgelder, niemand geht ins Gefängnis und keiner kann Schadensersatzansprüche geltend machen. Der Grad der Sozialschädlichkeit von Kartellen ist allerdings erheblich und steht in krassem Gegensatz zur Ahndung als Ordnungswidrigkeit wie etwa falsches Überholen.

Als Hüter marktwirtschaftlicher, d.h. wettbewerblicher Spielregeln fungiert an oberster Stelle das Bundeskartellamt (BKartA) in Bonn (früher Berlin). Soweit es räumlich begrenzte Regelverstöße in einzelnen Bundesländern betrifft, sind dafür die so genannten Landeskartellbehörden zuständig.

Das BKartA ist eine unabhängige (obere) Bundesbehörde und arbeitet nicht weisungsgebunden. Entscheidungen werden – ähnlich wie bei Gerichten – in so genannten Beschlussabteilungen getroffen, die aus drei Experten bestehen. Eine Einflussnahme von außen ist schwierig. Landeskartellbehörden hingegen sind eine Abteilung beim jeweiligen Wirtschaftsminister – entsprechend geringer ist deren Unabhängigkeit (z.B. bei Arbeitsplätzen versus Kartellabsprachen).

Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft, bei der das Legalitätsprinzip die Richtschnur darstellt, arbeitet das Kartellamt nach dem Opportunitätsprinzip: Es kann tätig werden bzw. eingreifen, wenn es sinnvoll erscheint, muss es aber nicht. Die Aktivitäten orientieren sich stark an pragmatischen Gesichtspunkten: Z.B. ob eine Ermittlung aufgrund eines Hinweises oder eine Durchsuchung aussichtsreich ist oder nicht? Ein Staatsanwalt müsste in jedem Fall ermitteln und kann nicht warten, bis sich z.B. noch mehr Material angesammelt hat, das eine Bearbeitung des Falls lohnender erscheinen lässt. Entsprechend flexibler kann die Kartellbehörde mit Informanten und den Medien umgehen, auch wenn dies nach außen hin nicht so offiziell ›verkauft‹ wird.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen, das aus nachvollziehbaren Gründen knapp und ein wenig vage gehalten werden muss. Eine der größeren und erfolgreichen Durchsuchungsaktionen des BKartA kam aufgrund eines anonymen Hinweises aus einer der Kartell praktizierenden Firmen selbst zu Stande. Der Informant allerdings wollte Geld, um sich für alle Fälle abzusichern, was die Behörde aber nicht zahlen kann bzw. darf. Man verwies ihn an ein großes Magazin mit dem Hinweis, doch eine Kooperation zu arrangieren. Die kam zu Stande. Das Magazin erhielt die Dokumente und zahlte dem Informanten ein Informationshonorar. Gleichzeitig nahm die Redaktion Kontakt mit den Kartellwächtern auf, um sich einerseits von der Relevanz der Dokumente zu überzeugen, zum anderen gewisse Absprachen zu treffen. Als die fragliche Firma durchsucht wurde, kannte keiner der Beamten den Informanten. Alle konnten sich ganz ungezwungen geben. Dies kann der Informant bis heute: Das fragliche Unternehmen, dass eine erhebliche Buße zahlen musste, weiß nämlich bis heute nicht, dass der Hinweis aus dem eigenen Hause kam und der Informant noch immer unter den Beschäftigten weilt. Informantenschutz steht nach § 54 GWB bei den Wettbewerbshütern ganz oben. Auf der anderen Seite hatte das Medium eine runde Exklusivgeschichte, die zudem auch das soziale Problem von Kartellen thematisierte.

Wer solche Pläne im Kopf und/oder konkrete Hinweise hat, sollte sich ungeniert an das BKartA (www.bundeskartellamt.de) wenden; dort gibt es eine spezielle Abteilung »SKK«: Sonderkommission Kartellbekämpfung. Dieser Tipp gilt für Informanten wie für Journalisten, wenn es um unfaire Kartellpraktiken geht.

Recherchen bzw. Informationssuche über das Kartellamt hingegen ist schwieriger, was weniger mit der Intention der Mitarbeiter als mit der Unterausstattung dieser Behörde zusammenhängt. Ein öffentliches Kartellregister beispielsweise gibt es hier zu Lande nicht – Meldungen gehen offiziell  nur an das nicht öffentliche Gewerbezentralregister, obwohl diese Art von Vergehen von erheblicher sozialer Tragweite ist. Allerdings kann man etwa bei der Pressestelle erfahren, ob ein bestimmtes Unternehmen bereits schon einmal ›erwischt‹ worden ist – dies lässt sich anhand der Pressemitteilungen feststellen. Und wer sich die Zeit nimmt, kann in der Unternehmensdokumentation an Ort und Stelle in Bonn recherchieren: Wohl nirgendwo sonst gibt es so viel an Presse-, Fachzeitschriften- und sonstigen veröffentlichten Berichten über Unternehmen derart konzentriert in einem einzigen Archiv. Nicht zugänglich sind indes die amtlichen Berichte und Ermittlungsakten. Je nachdem, was das eigene Anliegen ist, kann man auch mit einem Mitarbeiter aus den jeweiligen und nach Branchen geordneten Beschlussabteilungen (siehe Organigramm der BKartA-Website) sprechen: Dort sitzen die Fachleute, die ihre Pappenheimer kennen. Denn dies ist eine weitere Besonderheit dieser Behörde: die engagierte Atmosphäre.

Landeskartellbehörden:

So engagiert wie im BKartA geht es auf Länderebene eher seltener zu. Die Erklärung ist einfach. Im Gegensatz zum Bundeskartellamt, dessen „Beschlussabteilungen“ wie unabhängige Gerichte agieren (können), sind die „Landeskartellbehörden“ in den Bundesländern Abteilungen bzw. Referate in den jeweiligen Wirtschaftsministerien. Zum Zweiten sind sie in der Regel nicht mit sonderlich vielen Mitarbeitern besetzt.

Da ein „Fachreferat“ in die politische Administration einer Behörde eingepasst ist, unterstehen die Landeskartellbehörden der ministerialen Weisungshierarchie – im Zweifel durch den Minister persönlich bzw. im vorauseilenden Gehorsam auch freiwillig. Ein Wirtschaftsminister nämlich muss sich, wenn er wiedergewählt werden will, um die heimische Wirtschaft kümmern und auf deren Bedürfnisse und Wünsche eingehen. Solcherlei verständliche Interessen können jedoch im Zweifel mit den Wirkungsweisen eines freien Wettbewerbs kollidieren: Auf der einen Seite steht der innovationsfördernde Konkurrenzdruck und die wettbewerbliche Auslese, auf der anderen die heimischen Arbeitsplätze.

Solche Fälle werden selten publik und solche Interessenskonflikte noch viel seltener, denn keiner hat daran Interesse: meist nicht die regierenden Politiker und am wenigstens die betroffenen Firmen, wenn es aus formalrechtlichen Gründen zu einem „Verfahren“ kommen muss.

Die Gesetzeslage sieht vor, dass bei Kartellen, die sich innerhalb der Landesgrenzen abspielen, die eigene Landeskartellbhörde zuständig ist. Kommt es zu einem förmlichen Verfahren, z.B. weil irgend ein Informant einen gezielten Tipp gegeben hat, versuchen meist ausgebuffte Anwälte der beschuldigten Firmen, bereits im Vorfeld darauf hin zu wirken, dass das Verfahren im eigenen „Ländle“ bleibt, selbst wenn der Einzugsbereich des Unternehmens, das bei „verbotenen“ Preisabsprachen erwischt wurde, über die territoriale Landeshoheit hinaus geht – den Anwälten ist dabei jede Argumentation recht, und je nach dem, wie geschickt sie agieren und sich politisch vermitteln können, bleibt das Verfahren tatsächlich in der Regie des eigenen Wirtschaftsministers.

Nur wenn ganz offenkundig die Kartellfolgen über die Landesgrenze hinausgehen, ist das Bundeskartellamt zuständig. Dies ist bei praktisch allen großen Unternehmen der Fall, wohingegen kleine und mittelständische Unternehmen meist nur in die heimische Zuständigkeit fallen. So kann dann auch schnell die Situation entstehen, dass ein „kleines“ Unternehmen letztlich Tochter eines national agierenden Großkonzerns ist.

Sind die Absprachen nur auf das kleine Tochterunternehmen beschränkt oder offizielle Firmenpolitik? Für die ‚richtige‘Antwort stellen dann die Anwälte die passenden Argumente und Zahlen zusammen. Auch aus diesem Grund besteht zwischen Landeskartellbehörde und Bundeskartellamt eine wechselseitige Unterrichtungspflicht.

Zwei weitere Hinweise:

  • Die Adressen der Landeskartellbehörden stehen auf der Website des Bundeskartellamtes
  • Wer einen (gezielten) Tipp in Sachen Kartell oder sonstige wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen geben möchte, sollte sich am besten gleich ans BKartA wenden. Denn dies ist in jedem Fall die oberste und damit immer zuerst zuständige Behörde, die einen Fall an eine Landeskartellabteilung zurückverweisen würde, wenn es so angebracht sein sollte. In diesem Fall wäre aber sichergestellt, dass die unabhängigen Wettbewerbshüter ein Auge darauf haben, was sich danach auf Landesebene tut.

Letztlich ist es so, dass schon aufgrund dwer Größe und der internationalen Aktivitäten von Unternehmen immer mehr auch die Europäische Kommission, Generaldirektion Wettbewerb, für Kartellfragen zuständig ist. So können Fälle, die das BKartA ermittelt und sanktioniert, zusätzlich ins Visier der europäischen Wettbewerbshüter geraten und dort erneut mit finanziellen Bußen belegt werden. Ganz allgemein fallen derlei Bußgelder tendenziell immer höher aus – die zuständigen Beamten haben begriffen, welch sozialschädliche Wirkungen von Kartellen ausgehen. Und auch die zuständigen Gerichte folgen zum größten Teil dieser eindeutigen Entwicklung.

Wie sich ein solcher Fall entwickeln kann, ist unter www.ansTageslicht.de/Zementkartell dokumentiert. Dieses

Dass sich auch informelle Kooperationen zwischen Medien und Bundeskartellamt denken lassen, zeigt zumindest das folgende Beispiel. Es ist zwar älteren Datums, zeigt aber, dass mehr geht, als man gemeinhin vermutet: „Das Asphalt-Kartell“.