Mind-Mapping – Ergänzung zu Kapitel 3.1.2

Was man mit Mind-Mapping machen kann, kennt jeder, der ab und an Kriminalfilme schaut: Kriminalpolizisten stehen vor einer großen Wand und verbindendort die aufgeängten Fotos  einzelner (verdächtiger) Personen und/oder die Namen von zu ermittelnden Unternehmen mit diversen Pfeilen: Die sollen angeben, wer mit wem in Verbindung steht, wer ein Motiv für ein bestimmtes Verbrechen haben könnte, wer von welchem Ereignis profitieren könnte usw.

Beim Mind-Mapping, wie es Journalisten machen (können), kommen in der Regel weitere Aspekte hinzu: Beispielsweise welchen bisher ungelösten Fragen noch nachgegangen werden muss.

Egal, was und wie und zu welchem Zweck man sich einer solchen Technik bedient: Es geht darum, die relevanten Fragen und/oder Zusammenhänge graphisch zu veranschaulichen.

Diese Skizze stammt von zwei Redakteuren der Berliner Morgenpost aus dem Jahr 2002. Sie gingen der Frage nach, wie ein junger toter Mann auf einem Baum hoch im Geäst hängen konnte, nackt mit einer Schlinge um den Hals und ohne dass eine Leiter oder ähnliches herumgestanden hätte. Es hatte auch keine Papiere bei sich, das Ganze spielte sich mitten im Grunewald-Forst ab, wo man nachts allenfalls mit dem Nachtbus, einem Taxi oder Auto hingelangen konnte. Indes: Nichts dergleichen hatte der Tote zu Lebzeiten in Anspruch genommen. Ein eigenes Auto besaß er nicht. Und er hatte auch keinen Mietwagen geordert. Völlig unverständlich diese Geschichte, wenn man nicht den politischen Hintergrund kennen würde. Doch zunächst das Originaldokument als digitale Kopie. Der Kaffeefleck ist ebenfalls original:

Grunewaldtoter-MindMap01

Da derlei Notizen nicht nur persönlich gefärbt sind, sondern auch selbstdefinierte Abkürzungen etc benutzen, kann man nicht immer alles gleich lesen und verstehen. Sie Skizze wird daher gleich nochmals präsentiert, dann in allgemeinverständlicher Darstellung.

Zuvor sei jedoch die Geschichte mit ihrem Hintergrund skizziert, die das Verstehen einfacher macht:

Hintergrundskizze zur „Chronik eines rätselhaften Todes“

Es betrifft zwei Geschichten, die in der Berliner Morgenpost im Jahre 2002 erschienen sind. Es geht um einen unbekannten Toten, der im Herbst 2001 mitten im Berliner Grunewald ohne Papiere und ohne jegliche Spuren zu hinterlassen aufgefunden worden ist. Selbstmord lautete daher auch die kriminalpolizeiliche Erklärung. Erst später tauchen neue Informationen auf: Der Tote war als Computerfachmann und Systemadministrator bei der Fa. Aubis in Berlin angestellt und plötzlich verschwunden.

„Aubis“ ist der Auslöser einer der größten bundesdeutschen Bankenskandale, der „Affäre Berliner Bankgesellschaft“, die Ende 2000/Anfang 2001 die Stadt ins finanzielle Chaos zu stürzen begann.

Einer der beiden „Aubis“-Inhaber, ein ehemaliger Kripobeamter, war vor seinem privatwirtschaftlichen Unternehmer-Engagament zuletzt als rechte Hand im Parlament jenes Mannes tätig, der dieses Problem und diesen Skandal maßgeblich mitverursacht hatte: Klaus Rüdiger LANDOWSKI (CDU). Der „Aubis“-Mann, der mit einem weiteren Kompagnon, ebenfalls einem ehemaligen Landes- und später Bundespolitiker der CDU, im Goldgräberrausch der (Ex-)DDR-Übernahme das große Geld mit der Sanierung von Plattenbauten machen wollte, hatte sich dabei gründlich und nicht zuletzt auf Grund politischer Rückendeckung völlig überhoben.

Dank seiner politischen Verbindungen zu LANDOWSKI, der gleichzeitig den CDU-Fraktionsvorsitz im Abgeordnetenhaus inne hatte und seit Jahrzehnten als die „Graue Eminenz“ des CDU-Parteiapparates galt, gleichzeitig aber auch im Vorstand der staatlichen Berliner Hypothekenbank agierte (Bankgesellschaft Berlin) und sich auf diese Weise in jeder Funktion selbst „kontrollieren“ konnte, wurde die Firma „Aubis“, wenn sie Geld baruchte, mit Krediten nur so gefüttert – mit 700 Millionen DM und dies gegen jegliche Vorsichtsmaßnahmen, gegen alle bankenrechtlichen Vorschriften und gegen den Widerstand der zuständigen (‚kleinen‘) Kreditsachbearbeiter. LANDOWSKY & Co agierten vielmehr frei nach dem Motto: Eine staatliche Bank, die man selbst kontrolliert, kann nicht pleite gehen (Und falls doch, dann betrifft es ja nicht das eigene Geld).

Letztlich ging die Berliner Bankgesellschaft dann doch „k.o“. Das aber kam erst heraus, als eine andere, vergleichsweise banale Geschichte ans Licht der Öffentlichkeit kam: eine 40.000 DM-Spende des „Aubis“-Kreditnehmers und Ex-LANDOWSKI-Mannes an Klaus Rüdiger LANDOWSKI, CDU. Diese vergleichsweise geringe Geldsumme war letztlich der Auslöser für die seit Anfang 2001 dräuende Affäre, die zunächst einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss initiiert hatte, die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief, innerhalb derer jetzt 12 (!) Ermittler diesen Komplex aufzutröseln versuchen, und die im Sommer 2001 die Große Koalition aus CDU und SPD zum Platzen brachte. Seither wird Berlin rot-rot regiert.

Aufgrund der parlamentarischen Konstellation und der dramatischen finanziellen Haushaltslage (Berlin musste eine so genannte Risiko-Abschirmung in Höhe von rd. 22 Milliarden Euro abgeben, damit die Bank mit ihren 16.000 Angestellten nicht von heute auf morgen durch die Aufsichtsbehörde geschlossen wurde, und darüber hinaus jetzt jährlich Milliardenverluste der Bank ausgleichen) sind die Politiker entschlossen, nicht nur diesen Skandal aufzuarbeiten, sondern die Verantwortlichen auch finanziell zur Rechenschaft zu ziehen.

Schlechte Aussichten also für alle, die in dieser Affäre verwickelt sind. Und noch schlechter die Aussichten für jene, die viel zu verlieren hatten.

‚Gute Aussichten‘ indes versprach sich offenbar der Systemadministrator der Fa. „Aubis“, der auf Grund seiner Funktion und seiner EDV-Kenntnisse an alle Daten herankam, die es in dem Unternehmen gab. Der EDV-Experte wollte sein Wissen und mehrere kopierte Disketten zu Geld machen. Dazu kam es nicht (mehr). Eines nachts hing er nackt und tot im Baum.

Olaf JAHN, vormals Reporter bei der Berliner Morgenpost, danach frei arbeitender Journalist („Handelsblatt“, „Kontraste“/SFB) und heute Geschäftsführer der Berliner Journalisten Schule sowie sein (damaliger) Kollege, Jens ANKER, hatten die beiden Geschichten recherchiert und geschrieben, deren Präsentation die Berliner Morgenpost bzw. der Axel Springer Verlag uns auf dieser Website genehmigt haben.

Die beiden Berichte zeigen den Stand der damals gewonnenen Erkenntnisse, aber auch die Versäumnisse von Staatsanwaltschaft und Polizei. Die beiden Reporter hatten durch ihre eigenen Recherchen sehr viel mehr herausbekommen und gefunden (z.B. Disketten) als die offiziellen Ermittler.

Die beiden Geschichten zeigen aber auch – indirekt – die Überlegungen und Fragen, vor denen die beiden Journalisten jeweils standen, wenn es um die nächsten Rechercheschritte ging. Denn ganz offensichtlich konnte es kein Selbstmord sein, sondern irgenjemand musste nachgeholfen haben. Dafür sprachen auch schon alle anderen seltsamen Ereignisse und Details, die sich in den beiden Veröffentlichungen wiederfinden:

Chronik eines rätselhaften Todes, Teil 1

Chronik eines rätselhaften Todes, Teil 2

Hier jedenfalls nochmals eine Grafik, wie man

  • potenzielle Zusammenhänge und
  • notwendige Rechercheschritte, um mögliche Zusammenhänge zu erhärten

graphisch organisieren und darstellen kann. Dabei geht es nicht so sehr um die ästhetische Aufbereitung, sondern vor allem um

  • das sytematische Durchdenken potenzieller Zusammenhänge
  • und die Option, nichts dabei zu übersehen. Bzw. zu vergessen.

Just dies ist Sinn & Zweck solcher Mind-Mapping-Methoden. Dass dann auch noch alles optisch übersichtlicher wird, ist ein weiterer angenehmer Vorteil dabei:

MindMap-Grunewaldtoter_Page_1

Wer diese mysteriöse Geschichte vollständig nachlesen will, kann das in folgender Buchveröffentlichung tun: Olaf JAHN/Susanne OPALKA: Tod im Milliardenspiel. Der Bankenskandal und das Ende eines Kronzeugen. Berlin: Transit Verlag, 222 S., 18,80 €