3.5.1.3.2 – Fallbeispiel: 2) ‚WTB wurde von vorne bis hinten betrogen‘

Fallbeispiel, Teil 2: ‚WTB wurde von vorne bis hinten betrogen‘

  • Die beiden Fallbeispiel-Texte entsprechen den Kapiteln 10 und 11 des Buches Wirtschaftskriminalität – Schleichwege zum Großen Geld“ von Johannes Ludwig, erschienen 1992 im Verlag S. Fischer, Frankfurt.
    Sie beziehen sich auf einen Vorgang Anfang und Mitte der 80er Jahre. Im Mittelpunkt:
    der ‚Lebemann‘ und „Bauträger“ Bernd BERTRAM aus München sowie die Fa. WTB aus Augsburg, die heute Walter Bau AG heißt und inzwischen Deutschlands größter Baukonzern ist.
  • Hier kann man diesen Text auch als pdf-File downloaden:
artikel_69_1033045820wtb-bb-kapitel11.pdf

„WTB wurde von vorne bis hinten betrogen“.
Einblicke in die Geschäftspolitik von Deutschlands drittgrößtem Baukonzern, 2.Teil (Kapitel 11)

Die „Ergebniskalkulation“ der Fa. WTB (siehe vorigen Teil bzw. Kapitel) datiert vom 12. Juni 1985, als sämtliche Aufträge und Unteraufträge durch Deutschlands drittgrößten Baukonzern längst vergeben sind – zu Festpreisen. Passieren – hinsichtlich des „Ergebnisses“ – kann so gut wie nichts mehr, sieht man von kleineren Mängelbeseitigungen und Nachforderungen ab, die WTB vorsichtshalber mit 419.000 DM miteinberechnet.

Für runde 287 DM pro Kubikmeter umbauten Raumes werden die Gebäude errichtet. Zirka 385 DM hatte WTB zum Zeitpunkt der ersten Auftragserteilung an Kosten kalkuliert<1>. Differenz: knappe 100 DM pro Kubikmeter „UR“ (Kubikmeter umbauten Raumes). 100 DM Differenz multipliziert mit endgültig gebauten 251.167 Kubikmetern bedeuten runde 25 Millionen DM Differenz zwischen kalkulierten und tatsächlich angefallenen Kosten – ein „Ergebnis“, das sich sehen lassen kann. Die offiziell von der Wohnungsbau-Kreditanstalt anerkannte Kostenobergrenze hätte sogar bei etwa 500 DM gelegen. So gesehen hatte man natürlich Geld verschenkt. Andererseits: WTB und Bertram wollten ja etwas „billiger“ sein. Nichtsdestotrotz: 16 Millionen sind immer noch mehr als üppig. Denn in dieser Gewinnmarge sind nicht nur die ausgewiesenen „Vertragskosten“ längst abgezogen, sondern Deutschlands drittgrößter Baukonzern hatte außer den 380.000 DM für das Bertramsche Bauherrenmodell im Münchner Vorort Olching nochmals einen Betrag in gleicher Höhe für eine weitere WTB-Baustelle in der Münchner Augusten-/Ecke Gabelsberger Straße mit in den Berliner Sozialen Wohnungsbau hineingerechnet beziehungsweise als Kosten ebenfalls längst abgezogen <2>.
Aber auch das ist nicht der letzte Stand: zu den „380.000 DM Olching“ und dem gleichen Betrag nochmals für die Augusten-/Gabelsbergerstraße kommen weitere 150.000 DM, die Bertram für „erbrachte Planungsleistungen betr. Bauvorhaben Olching“ der WTB in Rechnung stellte. WTB notiert auf der Rechnung: „umgebucht auf Berlin – Neudecker Weg“ <3>. Jetzt stecken 910.000 DM Münchner Baukosten im Berliner Neudecker Weg – für WTB eine geradezu lächerliche Summe, auch wenn neunhundertundzehntausend Mark 20 Jahresverdiensten eines Bauarbeiters entsprechen. Für WTB bleiben immer noch 16 Millionen beziehungsweise 16 Prozent Rohgewinnmarge.

WTB-Chef Ignaz Walter drei Jahre später dazu, als er den Berliner Abgeordneten des dann tagenden parlamentarischen Untersuchungsausschusses „zur Aufklärung der Hintergründe von öffentlichen Entscheidungen“ (nicht zur Aufklärung dessen, was tatsächlich passiert ist) helfen möchte, „hier mal hinter die Kulissen zu leuchten“ : „Der Preis, den wir zunächst offeriert hatten war kein guter, aber noch machbarer Preis für WTB. Dass der Preis später dann hinten und vorn nicht mehr reichte, liegt nicht an dem Einheitspreis (gemeint: Festpreisangebot, Anm.d.Verf.), sondern daran, dass diese Menschen, die daran betrogen haben, die Firma WTB ausgenommen haben. … Insofern war der Preis zum Schluß also nicht mehr kostendeckend“ <4>.

Einen Preisspiegel über die weiteren Subunternehmerpreise oder gar eine Kalkultation möchte Walter den untersuchenden Parlamentariern nicht herausgeben. Da könnte ja jeder kommen!

Und jeder, der ein wenig des Rechnens fähig ist, könnte feststellen, dass das, was der „Professor Doktor honoris causa“ da gerade zum besten von sich gibt, nicht so ganz den Tatsachen entspricht. Da man einen solch honorigen Mann nicht vereidigt und man in diesem unseren Lande vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht unbedingt die Wahrheit sagen muß, geben sich die Volksvertreter mit diesem Erkenntnisstand zufrieden: der Preis war zum Schluß „also nicht mehr kostendeckend“.

„Kostendeckend“ kalkuliert zumindest waren die nachträglich seitens WTB der „Stadt und Land“ abgepressten „Außenanlagen“, die in dieser „Ergebniskalkulation“ nicht mehr aufgeführt werden; sie sollen – so die Planung der Jahre 1984/85 – bekanntlich ins nächste Bauvorhaben von „Stadt und Land“ mit WTB, Sozialwohnungen diesmal in der Wißmannstraße (Bezirk Neukölln), hineingerechnet werden – zehn Millionen.
80 Millionen soll die Auftragssumme sein und 9,5 Millionen will Bertram dabei kassieren. 4 Millionen davon möchte der „Baubetreuer“ bereits jetzt: vor Vertragsunterzeichung mit „Stadt und Land“ und vor Erteilung einer Baugenehmigung seitens der Behörden. „Bauobjekt Wißmannstraße“ heißt es am 13. Mai 1985 auf der WTB-Vorstandssitzung „04/85“. „Da der Baubetreuer vier Millionen DM Vorauszahlung will“, so trägt das technische Vorstandsmitglied Friedrich Harbauer, der unter anderem für die Niederlassungen Berlin und München zuständig ist, seinen Kollegen vor, „werden für die Zahlung dieses Betrages folgende Bedingungen festgelegt“:

  • entweder schriftliche Auftragsvergabe für das neue Bauvorhaben „Wißmannstrasse“ „oder alternativ“
  • eine „verbindliche Regelung über die Bezahlung der Außenanlagen“ in Rudow. Und unter „Erledigung beziehungsweise weitere Veranlassung“ notiert das Vorstandsprotokoll: „Harbauer“.

Harbauer veranlaßt dies: Bertram soll noch am selben Tag eine neuerliche „Freistellungserklärung“ für WTB als zusätzliche Interpretationshilfe für den „GU-Vertrag“ von vor drei Jahren anfertigen, dessen § 5 so abgefasst worden war, dass sich „Stadt und Land“ in dem festen Glauben wähnte, die Kosten für die „Außenanlagen“ auf den Rudower Feldern seien im Festpreis mitenthalten.

Das war zumindest solange geglückt, bis der Münchner Niederlassungsleiter Link in einer Baubude im Mai 1984 dem „Stadt und Land“-Direktor Blasek die Pistole auf die Brust gesetzt hatte: Wenn wir uns nicht einigen, dann steht ab sofort die Baustelle still!
Als Blasek das Bertramsche Vermittlungsangebot abgelehnt hatte, die unbezahlten „Außenanlagen“-Kosten einfach mit dem nächsten Projekt zu verrechnen, hatte der smarte „Baubetreuer“ der „Stadt und Land“ anschließend im Namen eben dieser „Stadt und Land“ den angeblichen Gesprächsverlauf in Form eines Briefes an WTB so zusammengefasst, dass er „unter ausdrücklicher Bezugnahme“ auf das Baubudengespräch zu erkennen gab, dass „Stadt und Land“ diese Kosten gesondert bezahlen würde. Link hatte diesen Brief sogar eigenhändig korrigiert und nach seinen juristischen Wünschen handschriftlich ergänzt, auf dass es im Falle eines Falles vor Gericht die Position der Fa. WTB beweisen könne.

Doch jetzt hat Link seinen Job bei WTB gerade eben aufgegeben <5> und nunmehr obliegen Friedrich Harbauer kommissarisch auch dessen Niederlassungspflichten. Das im Zweifel gerichtsverwertbare Schreiben von Bernd Bertram beziehungsweise seiner Firma „SB“ aus dem Jahre 1984 ist Harbauer juristisch zu dürr. Bertram soll eine neue Version liefern – ohne „ausdrückliche Bezugnahme“ auf das Baubudengespräch und mit der klaren Zusage „im Namen der Stadt und Land“: „Die Außenanlagen werden in der nachgewiesenen Höhe über die Schlußrechnung abgerechnet.“

Harbauer soll mit seiner Vorsorgestrategie recht behalten: Als 1986 alles platzt und der Name Bertram in aller Munde ist, wird sich „Stadt und Land“ weigern, dieser Zahlungsverpflichtung nachzukommen. WTB wird vor Gericht ziehen und mit ihren gerichtsverwertbaren Papieren vermutlich auch recht bekommen – der Prozess läuft <6>: es ist ein Zivilprozess, und da zählt nur, was an gerichtsverwertbaren Beweisen auf dem Richtertisch serviert wird.

Bertram liefert, wie vom Vorstand Harbauer gewünscht, pünktlich, denn eine weitere Eigenschaft dieses Briefes besteht darin, dass nunmehr eine erste „Bedingung“ des WTB-Vorstandsbeschlusses vom 13. Mai 1985 hinsichtlich seiner Provisionsvorauszahlungen in Sachen Wißmannstrasse erfüllt ist: die Außenanlagen für die Rudower Felder werden bezahlt. Die zweite Bedingung kann Bertram ebenfalls erfüllen: eine schriftliche Auftragsvergabe in Form eines „GU-Vertrages“ für das Bauvorhaben Wißmannstrasse. Von dem ahnt zu dieser Zeit „Stadt und Land“ noch nichts, aber Bertram hat als „Baubetreuer“ für die staatliche Wohnungsbaugesellschaft schließlich Vollmacht. Zwei Tage nach der Vorstandssitzung unterschreibt Bertram in den Geschäftsräumen der WTB den Vertrag und kassiert im Gegenzug zwei Millionen in bar. „Zur Zahlung angewiesen: Harbauer“, heißt es auf der Auszahlungsquittung.

Weitere zweimillionensechshundertundvierundsiebzigtausend Mark liquidiert Bertram einen Monat später. Insgesamt 4,7 Millionen. Konzernboss Walter im Jahre 1988 vor dem Berliner Untersuchungsausschuss dazu: „4,7 Millionen, die absolut widerrechtlich ausbezahlt wurden, ohne Rechtsgrundlage und gegen einen ganz klaren Vorstandsbeschluss.“
Der Abgeordnete der Alternativen Liste <7>, fragt nochmals nach: „Gegen einen ganz klaren Vorstandsbeschluss?“
„Ja“, notiert das Wortprotokoll die Antwort des Zeugen, Prof. Dr. h.c. Ignaz Walter, Firmenchef der WTB – Walter-Thosti-Boswau Bau AG <8>.

Mit „Provisionen“ tut sich Walter schwer – verbaliter, denn Begriffe wie „Provisionen“ oder „nützliche Aufwendungen“ sind im offiziellen WTB-Firmenvokabular nicht vorgesehen. Der Firmenchef sorgt höchstpersönlich dafür, indem er die Vorstandsprotokolle gleich selbst zu Diktat gibt. über „Provisionen“ schreibt man nichts, sondern man spricht allenfalls darüber und kassiert oder verteilt sie. Daher hieß es auch in dem firmenoffiziellen Kurzprotokoll der Vorstandssitzung vom 17. Februar 1982, als zum erstenmal das Berliner Bauvorhaben Rudower Felder auf der Tagesordnung stand: „Das Angebot der Niederlassung München über Architekt Bertram an eine Berliner Bauträgergesellschaft wurde diskutiert.“ In einer nichtoffiziellen Mitschrift eines der früheren Vorstandsmitglieder liest sich dies ein wenig konkreter: „Es wurde darüber gesprochen, dass Bertram eine Provision von 6 Millionen DM will.“

Walter vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss dazu: er, Walter, habe von Provisionszahlungen erst viel später erfahren. Bertram habe von „Vorkosten, nicht von ‚Provision‘ gesprochen“, klärt der WTB-Mann die Parlamentarier auf. „Im nachhinein habe ich aber gelesen, dass da dieser Vertrag ein Provisionsvetrag war.“

Die betont vornehme Zurückhaltung gegenüber „nützlichen Aufwendungen“ wird den Baukonzern allerdings nicht davon abhalten, an Bertram bis zum Juni 1985 insgesamt siebzehnmillionenfünfhundertunddreiundsiebzigtausendfünfhundertundzweiundzwanzig Mark und sechzig Pfennige zu löhnen, wie WTB in einer Aufstellung „Provisionsrechnungen“ genauestens zusammenrechnet. Und auch die unterschiedlichen Verrechnungswege sind dort detailliert festgehalten, denn wenn schon 17.573.522,60 DM nützlich aufgewendet werden, dann sollen sie wenigstens als „Betriebsausgaben“ Gewinn und Steuer kürzen.

WTB pflegte dabei eine Verrechnungstechnik, gegen die Bernd Bertram wenig einzuwenden hatte – Verrechnung über Dritte lautete der Abwicklungsmodus. Vorteil für den Provisionsempfänger: die Provisionen lassen sich mit Hilfe eines Strohmannes verdeckt, das heißt, am Finanzamt vorbei kassieren. Zusätzlicher Vorteil für WTB: Der Baukonzern kann das „Betriebsausgabe“ absetzen, sondern obendrein die Mehrwertsteuer als sogenannte Vorsteuer kassieren.

Auf dreimillioneneinhundertundsechsunddreißigtausendsiebenhundertundneunundachtzig Mark und sechzig Pfennige lautet der erste Provisionsanspruch, den Bertram nach Unterzeichnung des „GU-Vertrages“ zwischen ihm – als „Baubetreuer“ für „Stadt und Land“ – und WTB am 26.Mai 1982 vom Baukonzern geltend macht. Die ungerade Summe – 3.136.789,60 DM statt der vertraglich vereinbarten 6 Millionen <9> für die ursprünglich geplanten 1.000 Wohnungen – erklärt sich aus der ersteinmal reduzierten Auftragshöhe.

Das Auszahlungsritual läuft wie geschmiert: der Münchner Niederlassungsleiter Ronald Link sagt seinem als technischer Oberbauleiter fungierendem Angestellten, Werner Dickel, Bescheid, der wiederum den Oberbuchhalter, Johann Reichherzer, informiert: Bertram erhält heute soundso viel Mark.
Buchhalter Reichherzer telefoniert daraufhin mit der Filiale der Bayerischen Vereinsbank in der Sonnenstrasse und bittet freundlichst um Bereitstellung des Geldbetrages in kleineren Scheinen, während Link-Mitarbeiter Dickel einen weiteren Telefonanruf tätigt: bei einem Rentner, den sich WTB für derlei Zwecke hält – einen Rentner mit Geschäftsbriefbogen. „Ernst Grünler – Versicherungen, Finanzierungen, Vermittlung von Bauaufträgen, SPEZIALIST f.Beratung b. Baubehörden“.
Der weit über 70jährige Rentner Grünler hatte sich nur aus dem allgemeinen Erwerbsleben verabschiedet – gegen sechs Prozent in bar bezogen auf die gewünschte Rechnungssumme steht der „SPEZIALIST“ „stets gern zu Diensten“.

„26.Mai 1982 – Betrifft: Sozial-Wohnungen in Berlin-Rudow. Sehr geehrte Herren, hiermit stelle ich Ihnen den vereinbarten Betrag in Rechnung und bitte um möglichst umgehende Begleichung: 2.371.886,04 DM. Mit freundlichen Grüssen – Ernst Grünler“, tippt Herr Grünler auf seiner Schreibmaschine als Rechnungstext für den Baukonzern. „Vereinbart“ war nur dieser Betrag, denn den Rest der Provisionssumme, 764.903,56 DM, stellt Bertram selbst über seine Firma „IMM.- Service Bertram GmbH“ in Rechnung, indem er sich getreulich an die Regel hält: nur nicht alles übertreiben! Wenn schon Gewinn und Steuern hinterziehen, dann nur im Rahmen einer Mischkalkulation.

Der weitere Ablauf ist ebenso praxisnah organisiert wie der gesamte steuertechnische Verrechnungstrick:

  • Rentner Grünler bestellt sich ein Taxi und wirft die Rechnung in den heimischen Briefkasten des Link-Mitarbeiters Werner Dickel, der ganz in der Nähe wohnt.
  • Dieser nimmt den Briefumschlag am nächsten Morgen mit auf den Weg zu WTB und gibt ihn vorher im Büro von Bertram ab, der nur wenige Meter von der Lessingstraße 14 entfernt domiliziert. In einigen Monaten wird auch dieser Weg noch kürzer: Bertram zieht gleich in den ersten Stock des WTB-Hauses ein.
  • Auf seinem Schreibtisch findet der geschäftstüchtige Baubetreuer bereits die auf den Baukonzern ausgestellte „Rechnung“ vor, begibt sich mit dieser zum Niederlassungsleiter Link, der daraufhin den Oberbuchhalter Reichherzer zu sich bittet, auf dass dieser in seiner Funktion den Scheck ausstelle und auf der rosa Auszahlungsquittung die vereinbarte Summe zur Zahlung anweise.
  • Link selber zeichnet sowohl die firmeninterne „Auszahlungsquittung“, den Scheck und die Grünler-Rechnung ab. Bertram quittiert den Empfang des Geldes ebenfalls: auf der „Auszahlungsquittung“ wie auf der Grünler-Rechnung, die WTB zu ihren Buchhaltungsunterlagen nimmt. Es muß schließlich alles seine Ordnung haben.
  • Baubetreuer Bertram und Buchhalter Reichherzer sowie ein dritter Firmenangehöriger, zum Beispiel Link-Mitarbeiter Dickel, der als Verbindungsmann zwischen WTB und Bertram fungiert, begeben sich zur Bank, die alles vorbereitet hat, Bertram öffnet sein Louis Vitton – Lederköfferchen und verstaut die Geldbündel feinsäuberlich: dreimillioneneinhundertundsechsunddreißigtausendsiebenhundertundneunundachtzig Mark nebst 60 Pfennigen abzüglich einhundertundachtundachtzigtausendzweihundertundsieben Mark, das Honorar für Strohrentner Grünler.
  • Während Oberbuchhalter Reichherzer zu seinem Schreibtisch zurückeilt, um die gerade eben aus dem Firmenkonto ausbezahlten Millionen als „Betriebsausgabe“ unter „Firma Grünler“ abzubuchen, läßt sich WTB-Aufpasser Dickel auf dem bequemen Beifahrersitz des Bertramschen Rolls Royce nieder, mit dem das Duo auf der Autobahn ins österreichische Kufstein braust.

Die „Raiffeisen-Zentralkasse Tirol“ bürgt für das österreichische Bankgeheimnis in Sachen Nummernkonten nicht minder diskret und pflichtbewußt als die konkurrierenden Eidgenossen. Darauf kommt es an und der Weg dorthin beträgt nur knappe 40 Rolls-Royce-Minuten.

Bertram teilt das Geld: 50 Prozent nimmt er sich zur freien Verfügung – zwecks Finanzierung seiner Lebenshaltungskosten sowie zur kapitalträchtigen Anlage auf seinen diversen Nummerkonten, zum Beispiel mit den Ziffern 60.731 oder 60.749.

Aus der anderen Hälfte finanziert der Baubetreuer zunächst die Spesen, nützliche Aufwendungen und Schmiergelder für den Berliner Senats-, Polit- und Wohnungsbauapparat; den Rest der über den Strohrentner verrechneten und vereinnahmten Gelder zahlt Bertram in einen sogenannten Provisionstopf ein, der aus Sicherheitsgründen zur Bedienung von – Gott verhüt’s – unerwartet anfallenden Steuern und sonstigen unerwarteten Ausgaben vorgesehen ist – Bertram schleust den größten Teil seiner Einnahmen schließlich am Finanzamt vorbei.

Für den Fall, dass es einmal „knallen“ sollte, hatte Bertram die Verwaltung des Provisionstopfes in ganz uneigennütziger Absicht dem WTB-Angestellten Werner Dickel übertragen, der eventuell benötigte Geld für ihn „einbunkern“ soll. Damit auch juristisch einwandfrei geklärt ist, wem das Geld gehört, haben Bertram und sein Anwalt mit dem WTB- Angestellten Werner Dickel darüber eine schriftliche Vereinbarung abgeschlossen.

Da die Fremdenverkehrswerbung nicht übertreibt, genehmigen sich Bernd Bertram und Werner Dickel noch einen angenehmen Tag im Österreichischen.
Diesen Weg wird das Duo noch häufiger nehmen, auch wenn Bertram später die Kufsteiner Raiffeisenkasse mit der „Stadtsparkasse Innsbruck“ in Leutasch tauscht.

Tauschen – seinen luxuriösen Lebensstil- gegen ein etwas bescheideneres Ambiente muß Bertram an einem Freitag, der als 13. Dezember 1985 in den Annalen festgeschrieben ist: Bertram wird nach „Stadelheim“ transportiert, einem Münchner Stadtteil, der seinen Bekanntsheitsgrad mehr der dortigen Justizvollzugsanstalt als seinen Sehenswürdigkeiten verdankt.

Justitia hat zugeschlagen. Nicht deren waches Auge ob der vielen Ungerechtigkeiten auf der Welt schickt Bertram die Polizei ins Haus, sondern eine anonyme Anzeige bei der Steuerfahndung – irgend jemand muß Bertrams üppigen Lebensstil in mißgönnerischer Weise beargwohnt haben.

Am Montag drauf beziehungsweise drei Tage später knöpft sich die Steuerfahndung auch die WTB-Oberen Harbauer, Link und Reichherzer vor. Die Herren wissen natürlich von nichts und sind ob der steuerlichen Missetaten ihres Geschäftspartners Bertram recht betrübt. Auch der Berliner Niederlassungsleiter Günter Wolf, der am gleichen Tag von der Berliner Steuerfahndung ins Gebet genommen wird und der noch vor einem Jahr eine Provisionsvereinbarung mit Bertram für ein ganz anderes Bauvorhaben unterschrieben hatte <10>, bestätigt den Finanzbeamten: „Von Sonderzahlungen ist mir nichts bekannt.“

WTB-Verbindungsmann zu Bertram, Werner Dickel, wird zwei Wochen später erstmals verhört – nicht mehr von der Münchner Steuerfahndung, sondern von Staatsanwalt Stähler, dessen Name in politischen Kreisen der bayerischen Landeshauptstadt wohlgelitten ist.
Der WTB-Angestellte Dickel gibt offen Auskunft – er war ausschließlich der „Verwalter“.
Aber auch der „Stadt und Land“-Baubetreuer, der nicht nur von seinem Berliner Auftraggeber, sondern auch vom Münchner Auftragnehmer WTB reichlich Provisionen abgegriffen hatte, öffnet dem Münchner Staatsanwalt gegenüber, mit dem er nicht nur die Parteizugehörigkeit, sondern auch so manche Freunde teilt <11>, seinen Mund: fast nichts von dem ganzen Geld sei ihm verblieben; so gut wie alles habe er an andere weiterleiten müssen. Vor allem an den WTB-Mann Dickel. Zehn Millionen habe der von ihm kassiert.

Bertrams Hinweis auf den von WTB verwalteten „Provisionstopf“ genügt. Da auf diesem Topf der Deckel der Verschwiegenheit in Form eines österreichischen Nummernkontos liegt, gestattet der Münchner Staatsanwalt dem WTB-Oberbauleiter Dickel, nach Österreich zu fahren, um die dort deponierten Unterlagen und Bankauszüge herbeizuschaffen. Nach München kehrt Dickel vorerst nicht zurück: die WTB-Konzernleitung beschwört in täglichen Telefonkontakten ihren Angestellten, genau dies nicht zu tun; er solle noch etwas warten, bis sich die Lage weiter geklärt habe. Und um ihrem inzwischen per Haftbefehl gesuchten Mitarbeiter im Ausland Kostenersparnis und Schutz vor polizeilicher Ausspähung in Hotels zu gewähren, vermittelt die WTB-Konzernleitung ihrem Angestellten ein kostenfreies Kost & Logierangebot im Eigenheim einer ihrer Schweizer Geschäftsfreunde.

Lebemann Bertram ist derweil wieder auf freiem Fuß – Bertram, CSU-Mitglied, hat im Bayerischen einflußreiche Freunde.

Einen Tag, nachdem WTB Werner Dickel schriftlich mitteilt, er solle sich „nach Rückkehr aus seinem unbezahlten Urlaub“ sofort mit seiner Firma in Verbindung setzen, „damit weitere Regularien besprochen werden können“, trifft Bertram Dickel am 28.Januar 1986 in Zürich, wohin der WTB-Mitarbeiter auf Bertrams Geheiß den Provisionstopf transferiert hatte.

Er habe ganz im Einvernehmen mit WTB alle Schuld und Missetat auf sich geladen und auch seine Steuerhinterziehung in größerem Stil gebeichtet, so dass jetzt größere Nachzahlungen auf ihn zukämen, erklärt Bertram sein plötzliches Erscheinen. Dickel möge ihm doch bitteschön die für solche Fälle vorgesehenen drei Millionen aus dem „Provisionstopf“ aushändigen.

Dickel, dem das ein wenig spanisch vorkommt – was Bertram und die WTB-Manager vor der Staatsanwaltschaft ausgesagt haben, kann er nicht wissen – besteht auf einer Gegenleistung: Bertram solle ihm in einer notariell beurkundeten Erklärung bestätigen, dass er, Dickel, von Bertrams kassierten Provisionsmillionen keinen Pfennig erhalten habe. Dann würde er ihm als offizieller Provisionstopf-Verwalter das gesamte Geld übergeben.

Acht Tage später empfängt Dickel in Zürich gleich zweimal Besuch:

  • erst den Justitiar von WTB, Hans-Ulrich Großeschmidt, in Begleitung des WTB-Hausanwalts. Beide raten ihm eindringlichst, weiter im Ausland zu verharren;
  • nachmittags taucht der Baubetreuer mit seinem Louis-Vitton-Lederköfferchen auf.

Die von Bertram zugesagte Notarurkunde befindet sich nicht darin; sie sei aber schon unterzeichnet und er habe sie nur vergessen. Auf Bertrams Drängen und sein „Ehrenwort“ übergibt Dickel ihm 2,5 Millionen. Die restliche halbe Million, so vereinbaren beide, gibts nur im Austausch gegen die notarielle Erklärung.

Vier Tage später beantragt der Münchner Staatsanwalt Stähler einen erneuten Haftbefehl gegen Werner Dickel, der offiziell als „flüchtig“ gilt und inzwischen nach Paris gefahren ist, wohin er sich auf telefonische Bitte von Bertram begeben hatte – zwecks šbergabe der Urkunde gegen das restliche Geld. Am Mittwoch, den 12. Februar treffen sich dort beide erneut, deponieren die halbe Million im Hotelsafe, weil Bertram am nächsten Tag vor einem Notar die vollständige Auszahlung des Provisionstopfes quittieren soll.

Zu dem vereinbarten Treffen am Donnerstag erscheint Bertram nicht. „Bereits abgereist“, lautet die Auskunft des Hotels. Das angemietete Fach des Hotelsafes ist leergeräumt. Seinen Entschluss, entgegen dem Wunsch der WTB am kommenden Montag, den 17. Februar nach München zurückzukehren, kann Dickel nicht mehr in die Tat umsetzen – er wird am Freitag, einen Tag nach Bertrams plötzlicher Abreise, verhaftet. Die Staatsanwaltschaft München muß von irgendjemandem die Adresse erfahren haben.

Während die Justiz Dickel endlich in ihren Fängen hält, will WTB ihn jetzt plötzlich loswerden – Dickel wird fristlos gekündigt. Das Kündigungsschreiben landet in Dickels Hausbriefkasten. Bis er den Brief in Händen halten wird, wird die Einspruchsfrist längst abgelaufen sein.

Doch das ist WTB nicht genug – der Bauriese tritt einen Schadensersatzprozess gegen Dickel los. Irgendjemand muß schließlich als „schwarzes Schaf“ herhalten beziehungsweise das Geld vereinnahmt haben. Geld, was nach Meinung der WTB dem Arbeitsgericht gegenüber ihr zustünde, da die Provisionen an Bertram erheblich geringer, sprich preiswerter, ausgefallen wären, wenn der WTB-Angestellte davon nicht zehn Millionen abgegriffen hätte.
Doch um einen dinglichen Arrest in das „Vermögen“ des WTB-Angestellten zu erwirken, dafür fehle noch eine eidesstattliche Versicherung, wie der Arbeitsrichter am 11. März 1986 „in einer persönlichen Rücksprache“ dem WTB-Justitiar gegenüber erklärt.

„V.ha. (gemeint: Vorstand Harbauer, Anm.d.Verf.) wird versuchen, eine deartige Erklärung von Herrn Bertram zu beschaffen“, notiert sich der WTB-Justitiar Großeschmidt in einem internen Brief unter anderem an Vorstandsboss Walter.

Bertram, der den WTB-Managern gegenüber und auch dem Staatsanwalt lauthals verkündet hatte, wohl um sich damit freizukaufen, dass der WTB-Bauleiter von seinen eigenen Provisionen zehn Millionen selber abkassiert habe, mag dies vor Gericht jedoch nicht beeiden. Wenn man vor Gericht nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge auftritt, muß man die Wahrheit sagen; anderfalls schwört man einen Meineid. Bertram tritt etwas kürzer – aus der „Eidesstattlichen Versicherung“ seitens Bertram für WTB wird ersteinmal nichts.

Aber auch WTB-Justitiar Großeschmidt arbeitet eine Nummer kleiner. Vor drei Wochen erst hatte er noch für seinen Arbeitgeber in einem anderen Gerichtsverfahren – dieses Mal WTB gegen die Bertram-Firma „SB“ auf Herausgabe von längst ausbezahlten Provisionsgeldern – „an Eides statt“ erklärt, Bertram habe erklärt, zirka neun Millionen an Dickel weitergeleitet zu haben <12>. Vor dem Arbeitsgericht mag der Justitiar diese Erklärung jedoch auch nicht mehr wiederholen – das Ganze ist zu heiß.

Dafür präsentiert der firmeneigene Hausjurist dem Arbeitsgericht eine „beglaubigte Kopie des gegen Dickel erwirkten Haftbefehles vom 10.2.1986“, den Staatsanwalt Stähler nach einem telefonischen Anruf des WTB-Justitiars dem großen und einflussreichen bayerischen Unternehmen freundlicherweise und zur gefälligen Verwendung überlassen hatte <13>. Und obwohl der Staatsanwalt dem Justitiar noch mitgeteilt hatte: „Wie Sie wissen, befindet sich Dickel zur Zeit in Auslieferungshaft in Frankreich“, legt der Justitiar dem Arbeitsgericht zusätzlich eine eigene „Eidesstattliche Versicherung“ mit anbei, mit der WTB dem Hohen Gericht genau das Gegenteil glaubhaft machen möchte, dass Dickel nämlich „von der Staatsanwaltschaft gesucht wird“ <14>.

Der Hinweis, dass der ehemalige Angestellte flüchtig ist und „gesucht wird“ (obwohl er längst in Auslieferungshaft einsitzt), ist für WTB sehr wichtig: Außer einer inhaltlichen Begründung benötigt WTB auch einen Vorwand, um für das beantragte Arrestverfahren gegen Dickel die Eilbedürftigkeit beziehungsweise die drohende Fluchtgefahr der eingeklagten Provisionsmillionen zu belegen. Und wer einsitzt, kann über sein Vermögen bekanntlich nicht verfügen.

Der Arbeitsrichter gibt dem Arrestbegehren nicht statt – ein Haftbefehl ist ein Haftbefehl, aber noch lange kein Beweis für eine darin vorgeworfene Straftat.
Das Landesarbeitsgericht, das über die Beschwerde seitens WTB entscheiden muss, sieht das anders und verhängt gegen Dickel einen dinglichen Arrest in Höhe von 5,5 Millionen DM.
Begründung: Der durch den Haftbefehl glaubhaft gemachte Sachverhalt rechtfertige die Annahme, dass WTB 5,5 Millionen zustünden. Auf einen „erlittenen Schaden“ bei WTB käme es nicht an, sondern ausschließlich darauf, daß es sich hierbei um „Schmiergelder“ handele, „die dem Arbeitgeber nach §§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2, 667 BGB herauszugeben sind.“

Die Bedeutung eines Unternehmens wie WTB in Bayern ist groß – nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet. WTB – Bayerns größter privater Arbeitgeber – gilt in Bayern und der Landeshauptstadt als das bayerischste Unternehmen überhaupt, in dessen Aufsichtsrat untadelige Honorationen sitzen – unter anderem der ehemalige (und inzwischen verstorbene) Bundesinnenminister Hermann Höcherl. Aber auch der Aufsichtsratsvorsitzende, Dr. h.c. Rudolf Eberhard, früher bayerischer Landwirtschaftsminister und heute Chef der Bayerischen Vereinsbank, ist landesweit eine polit- ökonomische Persönlichkeit, der man blindlings vertrauen kann. Die WTB-Geschäftspolitik ist daher über jeden Zweifel erhaben – in der Politik, bei der Wirtschaft und vor Gericht, der dritten Gewalt im Staate.

Um dieses vollautomatische Image nicht zu beschädigen, haben die WTB-Manager hinter ihren geschlossenen Türen alle Hände voll zu tun, den Steuerhinterziehungsskandal unter dem Tisch zu halten.

Um mehr als Steuerhinterziehung geht es – zur Zeit -noch nicht. Doch Steuern zu Lasten der Allgemeinheit zu kürzen ist kein Kapitalverbrechen, sondern allenfalls ein Kavaliersdelikt. Ärgerlich nur, dass man nachzahlen muss. Aber auch das vollzieht sich im Stillen und Geheimen, wie der Steuerbetrug an der Mehrheit der redlichen Steuerzahler an sich: Steuerkürzungen etwa durch Scheinrechnungen via Dritte fallen unter den Mantel behördlicher Verschwiegenheit, wie es das Steuergeheimnis nach Ý 30 der „Abgabenordnung“ vorschreibt.

„Anruf Dr. Walter“, notiert sich Ex-Niederlassungsleiter von München, Roland Link, am 11. März 1986 handschriftlich: „Hinweis auf Scheinrechnungen und Steuernachzahlung MWSt von Finanzamt in Höhe 1,2 Millionen“ – es geht um die Rechnungen des Strohrentners Grünler. „Wenn Scheinrechnungen ich als ‚Geschäftsführer‘ haftbar. B hat laufend erklärt im Beisein Wa (gemeint: Walter, Anm.d.Verf.), Niedermeier, Harbauer, dass keine Provisionen, sondern Kosten für ihn. Können die 3 bezeugen. Ich soll Erklärung … unterschreiben, dass keine Scheinrechnungen“, hält Ex-WTB-Mann Link schriftlich fest. Wenig später erhält der Link Besuch: von WTB-Justitiar Großeschmidt, der seit Wochen ständig auf Achse ist: Hauptverwaltung Augsburg – Niederlassung München – Gerichtstermine München – früher Treffen mit Dickel im Ausland – dazwischen wieder „Besprechungen mit Bertram“ und jetzt ein Termin bei Roland Link. Großeschmidts Job im Baukonzern: die Affäre unter Kontrolle zu halten.

„Lange Unterhaltung über alles, Vorlage Steuernachzahlung an WTB (Summe bereits einbehalten)“, notiert sich Link hinterher. „Vorlage Eidesstattliche Erklärung …, soll unterschreiben. Habe nicht unterschrieben“.

Die Unterschrift unter die von WTB vorbereitete eidesstattliche Erklärung ist dem Ex-WTB-Mann Link wohl doch zu heiß. Vorbereiteter Eidestext des Baukonzerns: „Wenn mir bekannt geworden wäre, dass es sich bei den an die Niederlassung gestellten Rechnungen der Firma Grünler nur um sogenannte Scheinrechnungen handelte, wären die Rechnungen von mir nicht zur Zahlung freigegeben worden.“

WTB ist sauer – dieses Mal auf Link ob der nicht unterzeichneten eidesstattlichen Versicherung. Dass Link damit einen Meineid schwören würde, weiß WTB. Denn nur einen Tag später hält der Justitiar dem Münchner Ex-Chef vor, dass er durch Abrechnung einer eigenen „Sondergratifikation“ via Grünler den Verdacht der Steuerfahnder auf „Gefälligkeitsrechnungen“ geradezu produziert habe.

Und in einem „internen Brief“ mit dem zusätzlichen Vermerk „Vertraulich“ teilt der Justitiar unter anderem seinem Vorstandsboss Walter mit, dass Link zwar die Unterzeichnung der vorbereiteten eidesstattlichen Versicherung verweigere, er aber als „Zeuge“ im Steuerverfahren „die Chance einer Kooperation“ habe, um „mögliche Schadensersatzansprüche von WTB gegen ihn gering zu halten“.

„Zeugen“, die man unter Druck setzen kann, sind schließlich gute Zeugen. Und unter Punkt 2.5. schlägt der Justitiar vor: „Herr Dr. Link soll sich auf eine Besprechung in Augsburg einrichten.“

Die findet mit Konzernboss Walter am 20.März 1986 statt:

„Situation Bertram: Rechnungen keine Scheinrechnungen. Im Verfahren als Zeuge zu benennen, ich stehe dazu“, vermerkt sich Link hinterher wieder schriftlich: „B stellt alles anders dar, bezichtigt Harbauer und mich, gibt an, wie leicht wir es ihm gemacht hätten.“

Und zur weiteren Strategie notiert er sich:

„Verlangen W, dass Dickel im Regen stehen lassen und keine korrekte Aussage. Drohung gegenüber mir, wenn Aussage nicht entsprechend.“

Entgegen der Anordnung des Konzernchefs hält Link weiter handschriftlich fest: „Aussage Walter, dass kein Brief geschrieben wird über Unterhaltung.“

„Dies ist unzutreffend“, schreibt Justitiar Großeschmidt am 13. Mai 1986 dem Finanzamt Augsburg Stadt zu der Behauptung, es habe sich nur um „Scheinrechnungen von Grünler“ gehandelt. Ganz im Gegenteil: selbstverständlich seien immer entsprechende Leistungen erbracht worden. Denn „entscheidend für die Bezahlung der Rechnungen war immer, dass die Vermittlungstätigkeit der Firma Bertram und der ihr nahestehenden Firmen zum Erfolg führte. Erfolg war die Erteilung des Bauauftrages. Eine bessere Bestätigung … war für uns nicht denkbar“, erklärt der Justitiar den Finanzbeamten. „Der Umstand, dass kein Leistungsaustausch vorliegen soll, ist uns mithin neu. Unserer Gesellschaft war zu keinem Zeitpunkt bekannt, dass die Firma Grünler gefälligkeitshalber Scheinrechnungen erstellt haben soll. … Mit freundlichen Grüßen – WTB.“

Die Angelegenheit läuft in Augsburg und in München als „Steuersache“. Ihre Berliner Kollegen klärt die Staatsanwaltschaft nicht auf, obwohl der Anlass von 17 Millionen DM Provisionszahlungen und entsprechenden Steuerkürzungen auf Berliner Baustellen zu suchen ist. WTB ist ein bayerisches Unternehmen und diesem steht als juristische Person wie jedem anderen bayerischen Landesbürger auch Fürsorgepflicht und Schutz des Landesvaters und des „Freistaates Bayern“ zu.

Nach Berlin gelangt die Geschichte doch noch – als die Geschichte eines Mannes, „der Berlin kaufte“ <16>.

Die Veröffentlichung im „Stern“ vom 10. Juli 1987 und die Rekonstruktion von Schmiergeldern an den „Stadt und Land“- Geschäftsführer Blasek sowie einen Makler, einen funkelnagelneuen BMW für einen Senatsangestellten, ein 14.000 Mark teures Klavier für einen weiteren staatlichen Wohnungsbaugeschäftsführer beziehungsweise dessen Freundin sowie die Beschreibung eines gemeinsamen Feriensitzes in Tirol der Ehefrauen Bertram und der eines Staatssekretärs, der gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der „Stadt und Land“ ist, schlägt wie eine Bombe ein, gleichwohl Berlin zu diesem Zeitpunkt Bombenalarm längst gewohnt ist: Berlins größter Bauskandal hält die ganze Stadt in Atem.

Sechs Tage darauf werden Bernd Bertram, Adolf Blasek und Ronald Link verhaftet. Ex-Niederlassungsleiter Link kommt nach einer Woche frei und wird später mit einem Strafbefehl in Höhe von 32.400 DM belegt. Bertram und Blasek allerdings bleiben in Haft. Werner Dickel, inzwischen von Frankreich an die Bundesrepublik ausgeliefert und in München einsitzend, wird vorübergehend an die Berliner Justiz ausgeliehen – zwecks Aufklärung der Affäre, die jetzt etwas mehr als nur eine „Steuersache“ ist.

„Frechheit v. Dickel“, notiert sich Staatsanwalt Stähler handschriftlich an den Rand eines Schriftsatzes, in dem Dickels Rechtsvertreter zur Entlastung seines Mandanten auf diesbezügliche Veröffentlichungen im „Stern“ hinweist.

Wieder in München zurück werden Dickels Kenntnisse über den Ablauf der Geschehnisse von Staatsanwalt Stähler innerhalb zweier Monate nur ein einziges Mal als für eine Aussage von Interesse befunden. Um in Bayern, der Heimat von WTB, nicht völlig „schwarz“ zu werden, möchte Dickel lieber in Berliner U-Haft sitzen, wohin ihn die bayerische Justiz liebend gern überstellt – nur weg mit dem „Nestbeschmutzer“.

Zugestellt – ein Schreiben der Berliner Wohnungsbaugesellschaft „ARWOBAU“ – erhält in der Zwischenzeit die Berliner Niederlassung der WTB. „Sehr geehrter Herr Wolf,“ beginnt der ARWOBAU-Brief vom 1.7.86, „aus gegebener Veranlassung bitten wir Sie, uns schriftlich zu bestätigen, dass aus Anlass oder Zusammenhang mit dem Abschluss des Generalunternehmervertrages keinerlei Zahlungen Ihrerseits an Herrn Bertram und/oder an die SB-Baubetreuungs-GmbH geleistet wurden, die als Provision oder aus sonstigen Gründen als unzulässig anzusehen wären“.

Niederlassungsleiter Wolf, der zwei Jahre zuvor mit Bertrams Firma „SB“ eine entsprechende „Vereinbarung“ unterschrieben hatte, nach der die WTB an SB 750.000 DM aus der GU- Vertragssumme „für erbrachte Leistungen“ für den Bau eines Arbeitnehmerwohnheimes in der Laubacherstrasse zu zahlen hatte, schreibt der „ARWOBAU“ am 15.7. ganz unverblümt zurück:

„Wir bestätigen Ihnen hiermit, dass an Herrn Bertram und/oder die SB-Baubetreuungs GmbH weder Provisionen noch aus sonstigen Gründen unzulässige Zahlungen geleistet wurden.
Mit freundlichem Gruß. WTB – Niederlassung Berlin.“

Zwei Wochen später annonciert Deutschlands drittgrößter Baukonzern in mehreren großen Tageszeitungen eine „Presseerklärung“ unter dem Motto „WTB stellt richtig“ – WTB bejammert in aller Öffentlichkeit, das ihr „widerfahrene Unrecht“.

Das „Verlangen W (gemeint ist Konzernchef Walter, Anm. d.Verf.), dass Dickel im Regen stehen lassen“, wie es sich der Münchner Ex-WTB-Chef Link heimlich notiert hatte, bedeutet, dass WTB, jetzt, da der Skandal doch noch auf öffentlicher Ebene ausgeglitten ist, nach außen hin zwei Missetäter braucht einen, der für die „Schmiergelder“ verantwortlich war und WTB über den Tisch gezogen hatte: Bernd Bertram, und einen weiteren Mann, der firmenintern die nichtsahnenden Manager mit Hilfe Bertrams getäuscht und betrogen hatte: Werner Dickel. Dem wird nun alles Restliche angehängt:

„Um den Zufluss zu verschleiern, stellten Dickel und Bertram u.a. über die Liechtensteiner Firma Dolana Aktiengesellschaft … Rechnungen an WTB. Am 2.12.1981 hatte Dickel ohne Wissen der Geschäftsleitung der Thosti Bauaktiengesellschaft, heute WTB Bau AG, unter mißbräuchlicher Verwendung des Firmenstempels der Thosti mit Dolana eine Vereinbarung über die Zahlung einer Provision in Höhe von 4,2 Millionen getroffen“, beeidet Justitiar Großeschmidt im Gerichtsverfahren gegen den Ex-WTB-Angestellten.

Tatsächlich existiert eine solche „Vereinbarung“, die die Unterschrift von Werner Dickel für die Firma Thosti trägt. Und auch eine passende Rechnung der Dolana vom 3.8.82 in Höhe von 565.000 DM, als „erste Abschlagsrechnung“, kann WTB präsentieren – eine Rechnung, die sich ausdrücklich „auf die am 2.12.1981 … geschlossene Vereinbarung“ bezieht.

Doch Papier ist geduldig, insbesondere dann, wenn man einem Mitarbeiter im August 1982 kurz vor Feierabend eine Unterschriftenmappe kurzfristig mit der dringenden Bitte vorlegt, doch bitteschön zu unterschreiben; der Chef käme nach Feierabend ins Büro zurück und würde dann noch gegenzeichnen.

Gegengezeichnet wurde nicht. Dafür wurde das Vertragswerk rückdatiert.

Grundsätzlich kann man damit fast alles machen. Doch auch Rückdatierung bedarf einer gewisser Gedankenlogik. Am 2.Dezember 1981 – das Datum der angeblichen Vereinbarung – hatte es die Firma Dolana im liechtensteinischen Vaduz noch gar nicht gegeben; die Briefkastenfirma hieß damals noch „Exofinanz Export und Finanzierungsanstalt“. Bertram hatte die „Exofinanz“ erst ein halbes Jahr später käuflich erworben und dann umbenannt.

Und noch ein Fehler unterläuft der WTB: die für Zahlungen ins Ausland notwendige statistische Außenwirtschaftsmeldung, die über die Hausbank Bayerische Vereinsbank abgewickelt wird, deren oberster Bankchef den Vorsitz des WTB-Aufsichtsrates mit seinem Namen ziert, ist von Link und dessen Oberbuchhalter Reichherzer persönlich abgezeichnet.

Alles Unterlagen, an die ein in U-Haft einsitzender ehemaliger Firmenangestellter natürlich nicht herankommt und somit Gegenteiliges nicht beweisen kann. Dass in einem Zivilprozess immer nur das gilt, was vor dem Richter als „Tatsache“ verkauft werden kann, weiß WTB-Justitiar Hans-Ulrich Großeschmidt natürlich.

Verkaufen – als Tatsache – will WTB auch eine gefälschte Unterschrift, um das schwarze Schaf in Gestalt Werner Dickels zu entlarven – dem Bauriesen WTB sind alle Mittel recht.

Auf 3.223.619,93 DM lautet eine Rechnung des Strohrentners Ernst Grünler vom 1.Juni 1983 an WTB, mit der Bertram seine zweite Provisionsrate für die Rudower Felder abkassieren möchte. Die ungerade Summe ergibt sich wie bei der ersten Rate wiederum aus den reduzierten Wohnungszahlen. Ernst Grünler, für WTB „stets gern zu Diensten“, bestätigt auf der Rechnung bereits vorab in einem handschriftlichen Zusatz: „Obenstehenden Betrag in bar erhalten, 8.6.1986, Ernst Grünler“.

Die Rechnung geht ihren gewohnten Gang: der Rentner wirft sie in den Hausbriefkasten des WTB-Mitarbeiters Dickel, der sie am nächsten Tag bei Bertram abgibt. Der wiederum taucht bei WTB zwecks Auszahlung damit auf: Dickel zeichnet die von Bertram vorgelegte Rechnung mit seinem Namen ab.
Mit der marschiert Bertram zu seinem Geschäftspartner Link im gleichen Hause. Doch Niederlassungsleiter Link erkennt die Rechnung nicht in voller Höhe an und zieht erst 150.000 DM für einen bereits gewährten Vorschuss ab und dann nochmals weitere 200.000 DM. Neue Summe: 2.873.000 DM. Doch auch das ist nur ein Zwischenergebnis. Link macht Bertram klar, dass er auf die Grünler-Rechnung nur 2,5 Millionen als „a cto Zahlung“ erhalten werde, weitere 250.000 DM müsse er über seine Fa. „IMM.-Service Bertram GmbH“ in Rechnung stellen – Prinzip Mischkalkulation!
Bertram akzeptiert, wie ihm angetragen, und erhält am 8. Juni 1983

  • auf eine Grünler-Rechnung im Nennwert von 3.223.619,93 DM einen Scheck der Bayerischen Vereinsbank im Werte von 2.500.000 DM als „a cto Zahlung“
  • und auf eine Rechnung seiner Firma „IMM“ in Höhe von 250.000 DM einen weiteren Scheck in gleicher Höhe. Zusammen also 2.750.000 DM.
  • Beide Schecks setzt Bertram noch am gleichen Tag in Bargeld um, welchselbiges er in seinem vornehmen Lederköfferchen verstaut, um beides alsdann davonzutragen. Werner Dickel begleitet den Baubetreuer dieses Mal nicht.

Dafür erhält Dickel von Link die Mitteilung, dass Bertram heute nur 2.810.200 DM erhalten habe, da ihm mehr nicht zustünde. Für die neue, geänderte Rechnungssumme benötige er, Link, eine neue Grünler-Rechnung in eben dieser Höhe. Die alte habe er in den Papierkorb geworfen.

Dickel ruft am 29. Juni bei WTB-Strohmann Grünler an und ordert eine neue Rechnung. Grünler liefert am nächsten Tag. Auch diese neue Rechnung unveränderten Datums – 1.Juni 1983 – zeichnet Dickel, als sie auf seinem Schreibtisch landet, am 4. Juli ordnungsgemäß mit seinem Namen ab und reicht sie an Link beziehungsweise den Buchhalter Reichherzer weiter.

Da Dickel im Auftrage Links nicht nur die Berliner Großbaustelle in technischer Hinsicht, sondern auch gleichzeitig den Baubetreuer „betreut“, dem die Münchner WTB-Niederlassung so viel verdankt, nämlich Umsatz und Gewinn in Millionenhöhe, muß der eigene Mitarbeiter die Grünlerschen Bertram-Rechnungen auch gegenzeichnen. Solche Gelder zur Auszahlung anweisen allerdings fällt nicht mehr in das Ressort des technischen Bauleiters – das macht der Buchhalter.

Buchhalter Reichherzer macht daher dreierlei:

  1. Auf zwei rosa Auszahlungsquittungen schreibt er die an Bertram ausgezahlten Beträge ein: 2,5 Millionen und 250.000 DM. Bertram unterschreibt beide: die Auszahlungsquittung seiner eigenen Firma „IMM“ mit regulärem Namenszug und die über Grünler abgerechnete Summe mit einer unleserlichen Unterschrift, so wie es WTB bei dieser Art von Rechnungsstellung jeweils wünscht. Zusammen also 2.750.000 DM.
  2. Die ursprüngliche Grünler-Rechnung, lautend auf 3,2 Millionen, streicht Reichherzer durch und setzt handschriftlich die abgeänderte Rechnungssumme daneben: 2.810.200 DM.
  3. Die Differenz zwischen 2,5 Millionen, die Bertram mittels der ersten Grünler-Rechnung als „a cto Zahlung“ kassiert hatte, und der von Grünler neu georderten Rechnung in Höhe von 2.810.200 DM, also 310.200 DM, trägt Reichherzer in das Provisionslistenkonto Konto „Firma Grünler“ ein, wo alle Zahlungen an Grünler aufgelistet werden: „Bar“ ausgezahlt am 8.Juni.
    Der 8.Juni war der Tag, an dem Bertram selbst kassierte – allerdings mittels der Grünler-Rechnung nur 2.500.000 DM.

Diese 310.200 DM „Bar“ haben weder der Strohrentner noch Bernd Bertram je gesehen.

Dafür sieht am 4.Juli die Stadtsparkasse München diesen Scheck, die ihn auch ausbezahlt: der Scheck in Höhe von 310.200 DM trägt die Unterschriften von Buchhalter Reichherzer und Ronald Link: die Unterschriften haben den Verrechnungsscheck nämlich in einen Barscheck verwandelt und darauf gibt es cash: 310.200 DM.

Selbstredend haben weder der Oberbuchhalter noch sein Niederlassungsleiterchef Ronald Link das Geld kassiert, wie beide beteuern. Sie können sich an einen solchen Vorgang überhaupt nicht mehr erinnern und sich alles nicht erklären.
Erklären können sie nur dies:
Da auf der ursprünglichen, aber nicht akzeptierten und daher auch quer durchgestrichenen beziehungsweise auf 2.810.200 DM korrigierten Grünler-Rechnung „anerkannt“ und daneben ein zweites Mal Werner Dickels Unterschrift stünde, habe doch wohl der den ganzen Deal gedreht.

Der Namenszug „Dickel“ ist auf besagter Rechnung tatsächlich ein zweites Mal zu lesen. Sogar neben einem nachträglich mit Schreibmaschine angebrachten Zusatz: „anerkannt“. Nur: die Unterschrift ist gefälscht.
Ebenso gefälscht wie die Namenskürzel „Di“ für „Dickel“ auf den beiden roten Auszahlungsbelegen: Zur Zahlung angewiesen – „Di“ heißt es da.
Doch Dickel hat zum Geldauszahlen überhaupt keine Unterschriftsberechtigung – für zweikommaachtmillionen Mark schon garnicht.

Macht alles nichts – auch bei WTB bleibt die Buchhaltung bei solchen Manipulationen „sauber“:
Insgesamt existieren zwei Grünler-Rechnungen: beide lautend auf 2.810.200 DM. Je nach Bedarf zieht man die erste oder die zweite hervor. Zwar unterscheiden sie sich nicht in der Höhe, wohl aber im Detail:

  • Das zweite und nachträglich ausgestellte Exemplar ist das „offizielle“ Rechnungsstück und belegt Ausgaben in Höhe von 2.810.200 DM. Gleiches ergibt sich aus der Provisionskostenaufstellung von WTB betreffend „Firma Grünler“: zwei Zahlungen bestehend aus 2.500.000 und 310.200 DM.

    Um ganz sicher zu gehen, wird auf der zweiten und „offiziellen“ Rechnung, die Dickel am 29.Juni nachträglich in Auftrag gab und am 3.Juli abzeichnete, das Datum „3.7.“ in „3.6.“ abgefälscht – damit Rechnungsdatum und Auszahlungsbelege zeitlich zusammenpassen. Sollten eines Tages Betriebsprüfer vom Finanzamt kommen, finden sie nichts, was abrechnungstechnisch zu beanstanden wäre.

  • Sollten die Betriebsprüfer stattdessen die nicht ausgewiesenen Empfänger dieser Zahlungen beanstanden, legt man das erste Rechungsexemplar auf den Tisch: „A cto Zahlung erhalten – DM 2.500.000.–“ hatte Bertram bereits mit seinem Namenskürzel quittiert. „Schlusszahlung erhalten“ ist mit einem weiteren unleserlichen Kürzel bestätigt. Zwar stimmt die angegebene Schecknummer nicht mit dem bei der Stadtsparkasse eingereichten und ausbezahlten Scheck überein, aber das macht nichts: das Bankgeheimnis schützt schließlich auch Manipulationen.

Sollte es irgendwie sonstigen Ärger geben, so steht auf allem immer nur der Name „Dickel“. Der muss es dann gewesen sein, falls Bertram einmal merken sollte, dass die Grünler-Rechnung bei WTB zwar mit 2.810.200 DM verbucht und verausgabt ist, er selber aber nur 2.500.000 DM darauf erhalten hat.

Konzernchef Walter über seinen ehemaligen Bauleiter Werner Dickel vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin: „Ich halte ihn für einen der größten Lumpen in der Bundesrepublik!“

Konzernchef Walter über seine Firma WTB Bau AG: „Tatsache ist, dass WTB hier keine unsauberen Geschäfte gemacht hat, sondern dass WTB hier von vorne bis hinten betrogen wurde.“

Walter über Walter: „Ich bin der Hecht im Karpfenteich!“

Nachtrag:

Die „Firma Grünler“ wurde von WTB nicht nur in Sachen Bertram eingesetzt, um Empfänger von Provisionszahlungen zu verschleiern, sondern Ernst Grünler stand dem Bauriesen auch für heimische Bauvorhaben „stets gern zu Diensten“.

Beispiel Bauvorhaben „Karlsfeld Nord und Süd“ sowie die Landsberger Straße 113 + 115 – Objekte der sogenannten Fink-Gruppe, die in ganz München und Umgebung in größerem Stil Bauherrenmodelle hochgezogen hatte und 1984 in Konkurs ging („wegen schlechter Konjunktur auf dem Immobiliensektor“, so Ex-Firmenchef Bernd Fink).

Finks Geschäftsführer „Dr. Dipl. Ing“ Walter Blümlein hatte mit WTB-Mann Link eine globale Absprache getroffen, nach der jede Mark Zusatzgewinn für WTB zwischen der Baufirma und Blümlein privat im Verhältnis fifty:fifty aufgeteilt wurde. Konkret: bei obigen Bauobjekten hatte sich WTB im GU-Vertrag u.a. zum Einbau von Kücheneinrichtungen vertraglich verpflichtet. Blümlein gelang es nun, die im Bauherrenmodell errichteten Wohnungen den Käufern entgegen der Planung und den Verkaufsprospekten ohne Einbauküchen aufzuschwatzen beziehungsweise zu verkaufen. WTB sparte damit Kosten.

In einer schriftlichen „Provisionsvereinbarung“ wurde festgehalten, wie diese Gelder nutzbringend verwendet werden sollten:
„Sofern es bei der Schlußrechnung bei dieser Vereinbarung bleibt u. Thosti keinen Abzug wegen fehlender Küchen erleidet (gemeint ist seitens der Bauherren, Anm.d.A.) werden Herrn Blümlein DM 140.000.- plus MwSt sofort nach Eingang der Schlußrechnung aus beiden Bauvorhaben vergütet.“ Handschriftlich setzt Blümlein dazu: „Einverstanden, wenn Auszahlung noch im März 82“.

WTB-Link, den eine Vorliebe für interne Aktenvermerke auszeichnet, errechnet unter dem Stichwort „Entfall Küchen“ allein für das Objekt „K N“ anteilig einen Betrag in Höhe von 63.840 DM für den Geschäftsführer der auftraggebenden Fink-Gruppe. Zusammen mit anderen „Einsparungen“ profitiert Blümlein diesesmal mit insgesamt 234.869 DM von dieser heimlichen „Provisionsvereinbarung“. Via Grünler-Rechnung („stets gern zu Diensten“), die Link höchstpersönlich mit „Ok – 22.12.83“ abzeichnet, wird der Sonderprofit als gewinnmindernde „Betriebsausgabe“ aus der Baufirma herausgeschleust.

Etwa 2,5 Millionen hat Blümlein auf diese Weise über Jahre kassiert. Der gleiche Betrag kam WTB zugute – auch Link konnte seine eigene Karriere als WTB-Statthalter in München immer nur auf Umsatz & Gewinn aufbauen. Gewinn aber ergibt sich immer nur als Differenz zwischen Erträgen und Aufwand – in diesem Fall reduzierter Aufwand durch Betrug: um 5 Millionen wurde die Fink-Gruppe beziehungsweise die Bauherren geschädigt. Unter dem Aktenzeichen 22 0 23 103/87 läuft vor dem Münchner Landgericht I daher auch ein Prozess: der Konkursverwalter der Fink-Gruppe versucht, dieses Geld gerichtlich einzuklagen. Für Deutschlands drittgrößten Baukonzern nur einer von unzähligen Gerichtsstreitigkeiten.

Prozesstreitigkeiten auch mit dem „stern“. Das Wochenmagazin hatte am 11. Mai 1989 eine Geschichte über Ignaz Walter, seine Firma WTB und deren Geschäftspraktiken abgedruckt, die – in der „stern“-üblichen Ausführlichkeit von 236 Zeilen a 30 Anschlägen (entspräche her drei Buchseiten) – ebenfalls „Manipulationen“ (Landgericht München I) beschreibt, mit Hilfe derer WTB und Bertram den „Millionencoup“ (stern) in Berlin geplant und durchgeführt hatten. Der Baumoloch paukt zunächst eine Gegendarstellung durch, um die Wochenillustrierte in einem zweiten Schritt auf Unterlassung zu verklagen.

Wie es offenbar den Geschäftsusancen von Deutschlands drittgrößtem Bauriesen entspricht, legt WTB dazu eine Eidesstattliche Versicherung des ehemaligen WTB-Mannes Link auf den Richtertisch, die in der Urteilsbegründung (Aktenzeichen 9 0 11 299/89) so berücksichtigt wird: „Offensichtlich in mehreren Punkten falsch“ – die Beweiserhebung „ergibt das Gegenteil dessen, was die Verfügungsklägerin (gemeint ist WTB, Anm. d.A.) behauptet und Dr. Link sogar noch eidesstattlich versichert“.

Was da vornehm in die Sprache des Juristendeutsch gefasst ist, heißt im Klartext: die Eidesstattliche Versicherung, die Link als Zeuge vor der Dritten Gewalt in unserem Lande abgegeben hat, ist in wesentlichen Punkten schlichtweg erlogen. WTB verliert den Prozess in allen wesentlichen Punkten und auch die Berufung vor dem Oberlandesgericht <21>.

Lug & Betrug bei WTB immer im Preis miteinbegriffen ?

Was hatte sich noch der ehemalige Münchner WTB-Statthalter Link nach einem Gespräch mit seinem obersten Konzernherrn Walter schriftlich und heimlich notiert?

„Verlangen W, dass Dickel im Regen stehen lassen und keine korrekte Aussage. Drohung gegenüber mir, wenn Aussage nicht entsprechend.“

Stand der Dinge 1991 (Redaktionsschluß für die 2. Auflage):

Im Sommer 1991 ist der Fall noch lange nicht ausgestanden. In einem weiteren Strafprozeß, in dem die beiden ehemaligen „Stadt- und Land“-Geschäftsführer wegen „Vorteilsannahme“ verurteilt wurden <22>, stellt sich – erstmals vor Gericht – die „Unglaubwürdigkeit“ Bernd Bertrams heraus. Es ist die gleiche Kammer, die Bertram in einem ersten Prozeß verurteilt und sich beim Urteilsspruch auf dessen „Geständnis“ verlassen hatte: Bertram belastete andere gleich mit. Die Tatsache, daß sich die im ersten Strafprozeß getroffenen „Feststellungen“ im zweiten Verfahren nun in vielen Punkten ganz anders herausstellen, ist für die Richter kein Problem: Sie sind „ohne Bindungswirkung“. Soll wohl heißen: Den Anspruch, in einem Gerichtsverfahren die objektiven Gegebenheiten, also „die „Wahrheit“, ausfindig zu machen, erhebt die dritte Gewalt gar nicht mehr.

Die Erklärung für die unterschiedliche Beurteilung im ersten und zweiten Strafprozeß liegt in einer beträchtlichen Anzahl von Aktenordnern mit Beweismaterialien, die seinerzeit bei Durchsuchungen von den Polizeibehörden beschlagnahmt, von der Berliner Staatsanwaltschaft auch ausgewertet, den Richtern später aber nur lückenhaft präsentiert wurden. Das zweite Strafverfahren platzte daher auch erst einmal, kaum daß es in Gang gekommen war, und konnte erst ein Jahr später weitergeführt werden, nachdem die Staatsanwaltschaft auf richterliches Geheiß hin alle Dokumente auf den Richtertisch gelegt hatte.

Für die Darstellungen in diesem Buch hatte dies alles keine Auswirkungen; Die Rekonstruktion der in den Kapiteln 10 und 11 beschriebenen Geschäftspraktiken fußte von Anfang an auf sämtlichen und zweitens auf hinreichend verläßlichen Informationen.

Auswirkungen hatte der zweite Strafprozeß aber für das rechtliche Begehren der „Stadt und Land“, die Rückzahlung von Geldern durchzusetzen, „die als Provisionen in den Baupreis hineingerechnet“ und von WTB an Bertram bezahlt worden waren, der für den gleichen Job aber auch Gelder von „Stadt und Land“ dafür erhalten hatte. Das Berliner Kammergericht hatte sich noch auf den Standpunkt gestellt: „Die Kalkulation dieser Angebotspreise war eine interne Angelegenheit der WTB“ <23>. Der Bundesgerichtshof vermochte dem nicht zu folgen, deklarierte die Provisionszahlungen durchgehend als „Schmiergelder“ und verwies das Verfahren zurück an das Kammergericht. <24> Dort wird jetzt alles von vorne aufgerollt, weil der zweite Strafprozeß – jetzt erstmals auch gerichtskundig – einiges mehr an Geschäftsusancen von Deutschlands drittgrößtem Baukonzern zutage befördert hatte. Vom Ausgang dieses Verfahrens wird wohl auch das rechtliche Ergebnis eines weiteren Rechtsstreits abhängen, bei dem WTB die noch nicht bezahlten „Außenanlagen“ von „Stadt und Land“ einzuklagen versucht. Die sollten bekanntlich über ein ganz anderes Bauvorhaben „verrechnet“ werden, zu dessen Ausführung es aber nicht mehr kam, weil der ganze Deal zwischenzeitlich aufgeflogen war <25>.

Bis der Fall zivilrechtlich abgearbeitet ist, wird es wohl noch Jahre dauern. Ob die inzwischen eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wegen Betrugs, uneidlicher Falschaussage, Verleumdung, Untreue usw. je zu einem strafrechtlichen Ergebnis führen, bleibt abzuwarten. „Gerechtigkeit“ – so der Anspruch der Dritten Gewalt im Staate – hieß schon immer: Warten, warten, warten …


Anmerkungen/Fußnoten zu diesem Kapitel:

1 Kalkulation von R.Link v.27.5.82, mitgeteilt an den Vorstand in Augsburg
2 Aktennotiz der WTB v.18.12.84 „22.rh.10“ und abgezeichnet am 20.12.84 von R.Link
3 Rechnung der Fa. SB-Baubetreungs-GmbH v. 19.7.82
4 Wort-Protokoll v. 3.5.88, S. 23
5 im Februar 1985
6 vorm Landgericht Berlin, AZ: 100.0.28/86
7 Volker Härtig, AL, MdA
8 Wortprotokoll, a.a.O., S. 61
9 „Provisionsvereinbarung“ v. 2.11.81
10 „Vereinbarung“ v. 3.5.84 zwischen WTB-Berlin und Bertrams Fa. „SB“ betreffend das Bauvorhaben Laubacher-/Kreuznacherstrasse, wonach Bertram aus einem „GU-Vertrag“ im Werte von 14 Mio insgesamt 750.000 DM erhalten sollte
11 z.B. den Vorsitzenden des Studienzentrums für Ost-West-Probleme, Rudolf Riemer, CSU und ehem. MdL in Bayern, über dessen politische Kanäle Betrams Vorstellung und Einführung auf dem Berliner politischen Parkett gelang
12 vor dem Landgericht München I, 3. Handelskammer, AZ 3 HKO 920/86, Verhandlung v. 24.2.86
13 mit Schreiben der Staatsanwaltschaft v.25.2.86 an die WTB-Hauptverwaltung in Augsburg
14 EV vom 3.3.86 vor dem Arbeitsgericht, AZ: 2 Ga 43/86
15 Beschluss v. 22.4.86, AZ: 2 Ta 106/86.
16 „Der Mann, der Berlin kaufte“, stern Nr. 28 v. 10.7.86
17 Eidesstattliche Versicherung v. 26.11.86
18 weitere 250.000 DM hatte Bertram über eine Rechnung seiner eigenen Firma „IMM“ kassiert
19 AZ: 22 0 23.103/87
20 AZ: 9 0 11.299/89 v. 30.8.89
21 AZ: 21 11 5984/89 v. 26.1.90
22 AZ: (514) KLs 2 wi 7s 14/86 (13/87), Verfahren vor der 14. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer); Urteil v. 8.6.1990
23 AZ: 10 11 2150/88-23 0 308/87, Urteilsbegründung v. 28.9.89, Seite 18
24 mündl. Verhandlung und Urteilsverkündung v. 14.3.91, AZ: VII ZR 342/89
25 vorm Landgericht Berlin, AZ: 100 028/86