Unterschiedliche Interessen bei Bundeskartellamt und Landeskartellbehörden
Im Gegensatz zum Bundeskartellamt, dessen „Beschlussabteilungen“ wie unabhängige Gerichte agieren (können), sind die „Landeskartellbehörden“ in den Bundesländern Abteilungen bzw. Referate in den jeweiligen Wirtschaftsministerien. Sie sind in der Regel mit nicht sehr vielen Mitarbeitern besetzt.
Da ein „Fachreferat“ in die politische Administration einer Behörde eingepasst ist, unterstehen die Landeskartellbehörden der ministerialen Weisungshierarchie – im Zweifel durch den Minister persönlich bzw. im vorauseilenden Gehorsam auch freiwillig. Ein Wirtschaftsminister nämlich muss sich, wenn er wiedergewählt werden will, um die heimische Wirtschaft kümmern und auf deren Bedürfnisse und Wünsche eingehen. Solcherlei verständliche Interessen können jedoch im Zweifel mit den Wirkungsweisen eines freien Wettbewerbs kollidieren: Auf der einen Seite steht der innovationsfördernde Konkurrenzdruck und die wettbewerbliche Auslese, auf der anderen die heimischen Arbeitsplätze.
Solche Fälle werden selten publik und solche Interessenskonflikte noch viel seltener, denn keiner hat daran Interesse: meist nicht die regierenden Politiker und am wenigstens die betroffenen Firmen, wenn es aus formalrechtlichen Gründen zu einem „Verfahren“ kommen muss.
Die Gesetzeslage sieht vor, dass bei Kartellen, die sich innerhalb der Landesgrenzen abspielen, die eigene Landeskartellbhörde zuständig ist. Kommt es zu einem förmlichen Verfahren, z.B. weil irgend ein Informant einen gezielten Tipp gegeben hat, versuchen meist ausgebuffte Anwälte der beschuldigten Firmen, bereits im Vorfeld darauf hin zu wirken, dass das Verfahren im eigenen „Ländle“ bleibt, selbst wenn der Einzugsbereich des Unternehmens, das bei „verbotenen“ Preisabsprachen erwischt wurde, über die territoriale Landeshoheit hinaus geht – den Anwälten ist dabei jede Argumentation recht, und je nach dem, wie geschickt sie agieren und sich politisch vermitteln können, bleibt das Verfahren tatsächlich in der Regie des eigenen Wirtschaftsministers.
Nur wenn ganz offenkundig die Kartellfolgen über die Landesgrenze hinausgehen, ist das Bundeskartellamt zuständig. Dies ist bei praktisch allen großen Unternehmen der Fall, wohingegen kleine und mittelständische Unternehmen meist nur in die heimische Zuständigkeit fallen. So kann dann auch schnell die Situation entstehen, dass ein „kleines“ Unternehmen letztlich Tochter eines national agierenden Großkonzerns ist. Sind die Absprachen nur auf das kleine Tochterunternehmen beschränkt oder offizielle Firmenpolitik? Für die ‚richtige‘Antwort stellen dann die Anwälte die passenden Argumente und Zahlen zusammen
Auch aus diesem Grund besteht zwischen Landeskartellbehörde und Bundeskartellamt eine wechselseitige Unterrichtungspflicht.
Bevor zu diesem Problem ein Beispiel vorgestellt wird, seien zwei weitere Hinweise gegeben:
- Die Adressen der Landeskartellbehörden stehen auf der Website des Bundeskartellamtes und sind dort unter dem Link „Landeskartellnehörden“ auffindbar:
www.bundeskartellamt.de |
Wie sehr konkrete Hinweise auf flächendeckende Preisabsprachen einer ganzen Branche und dies innerhalb eines gesamten Landstriches bei der regionalen Landeskartellbehörde ins Leere laufen können, zeigt ein Fall aus den 80er Jahren. Der Informant, der als Kalkulator des mittelständischen Baukonzerns Alfred Kunz aus München lange Jahre selbst in derlei Kartellpraktiken verstrickt war, bot, nachdem er aus anderen Gründen gekündigt worden war, seine Unterlagen der Münchner Landeskartellbehörde an: ingesamt 12 prall gefüllte Aktenordner mit lückenlosen Nachweisen, dass der so genannte Allgäuer Kreis bei seinem Preis- und Absprachekomplott Kommunen und Private um Millionensummen abgezockt hatte: neben der Firma Kunz auch so bekannte Namen wie Hochtief, die Strabag oder auch die Augsburger Firma Thosti (die danach in WTB – Walter Thosti Boswau umbenannt wurde und heute Walter Bau AG heißt). Der weitere Ablauf gestaltete sich so, wie es nicht viel anders zu erwarten war: Der Wirtschaftsminister erhielt Kenntnis im Monat Mai (1979); abholen ließ die Kartellabteilung die Unterlagen im November – ein halbes Jahr später. Ende Januar (1981) reicht die Landeskartelbehörde die Akten an die Staatsanwaltschaft Augsburg weiter. Dort ermittelt die Kripo schnell und gezielt, doch die Ergebnisse bleiben bei der Staatsanwaltschaft liegen – ein inzwischen neuer Mitarbeiter muss sich erst in die Materie einarbeiten, so dass der erst im Dezember einen Abschlußvermerk einbringen kann: die von der Münchner Landeskartellbehörde vermuteten Betrugstatbestände lassen sich nach (damals!) geltendem Strafrecht nicht erhärten. Im darauf folgenden Januar (1981), ein Jahr nach Abgabe der Akten an die staatlichen Ermittler in Augsburg, beharrt die Landeskartellbehörde auf ihrem (aussichtslosen) Standpunkt. Diverse Schriftwechsel und Telefonate hin und her lassen weitere Monate vergehen und als die Staatsanwaltschaft die Akten endgültig nach München zurück beordern lässt, weil ein Betrugsstraftatbestand einfach nicht nachweisbar ist, vermerken die Münchner Kartellwächter, dass es für ein reguläres Preisabspracheverfahren (Ordnungswidrigkeitsverfahren) zu spät ist – das Ganze ist inzwischen (erwartungsgemäß) verjährt: „z.d.A.“ vermerken die Wettbewerbshüter: „zu den Akten“ werden die gesamten Unterlagen abgelegt, die mit 558 Fällen, begangen von 122 Firmen, den „größten und best dokumentierten Baupreisabsprachen-Komplex in der bayerischen Geschichte“ repräsentieren, wie wenig später ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss konstatieren wird. Dass es nicht dazu kommt, dass der Fall auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung verschwindet, ist dem zügig und engagiert ermittelnden Kripo-Beamten aus Augsburg zu verdanken. Der alarmiert, nachdem er merkt, wie und wohin der Hase läuft, das Bundeskartellamt. Die Beamten der Bundesbehörde ziehen nicht nur sofort die Ermittlungen an sich, sondern fordern auch die Rechtsprechung heraus – und gewinnen. Die Uhr, die letztlich die dreijährige Verjährung auszählt, fängt nicht schon bei der illegalen Verabredung der Kartellbrüder zu ticken an, sondern erst mit der Erstellung der Schlußrechnung, wenn das Unternehmen sein Geld sehen möchte. Ergebnis nach knapp vier Jahren: Ein Großteil der beteiligten Baufirmen wird mit einem Bußgeld belegt. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss „zur Prüfung des Vorgehens von Behörden und Einzelpersonen im Zusammenhang mit möglichen unzulässigen Baupreisabsprachen“ kommt mehrheitlich zu dem Schluß, dass eigentlich nichts falsch gelaufen sei. Es ist die gleiche Mehrheit, auf die sich auch der amtierende Wirtschaftsminister im Plenum stützen (und verlassen) kann, der letztlich auch dem Fachreferat „Kartellbehörde“ im eigenen Ministerium vorsteht. Liest man den Abschlussbericht des PUA nur zu jenem Teil, der die große Mehrheit fand, so wird man tatsächlich auf keine Anhaltspunkte aufmerksam, dass da nicht ordentlich gearbeitet worden wäre. Erst wenn man den Minderheitenbericht der Oppositionspartei, der SPD, studiert, fallen die ganzen Widersprüche und Merkwürdigkeiten auf – der mehrheitsfähige Hauptbericht verzichtet genau auf die Darstellung jener Details und Fakten, die zum Grübeln Anlass geben könnten. Die Tatsache, dass sich die Landeskartellbehörde in Bayern nur „mit Manschetten“ an diesen Fall begeben wollte, mag noch einem anderen Umstand geschuldet sein. Die fragliche Firma Alfred Kunz hatte sich – aus welchen Gründen auch immer – einen Aufsichtsrat geleistet, etwas was viele Unternehmen aus der Bauwirtschaft machen. Und wie es auch andere Firmen dieser Branche sehr gerne praktizieren, sitzen in solchen Gremien recht häufig „verdienstvolle“ (ehemalige) Politiker und sonstige (nützliche) Personen des öffentlichen Lebens. Im Fall der Fa. Kunz war dies der langjährige Ministerpräsident (1962-1978) von Bayern, Alfons GOPPEL, CSU. Die Geschichte dieser Geschichte ist damit noch nicht am Ende. Sie wird derzeit weiter recherchiert und fortgeschrieben werden. Wer sich dafür interessiert, ist herzlich eingeladen. Wie häufig üblich, ist auch die bisherige Geschichte nicht komplett irgendwo nachlesbar dokumentiert. Der 15seitige „Schlussbericht“ des erwähnten PUA hat die Landtags-Drucksachennummer 10/3240 v. 14.3.1984 und kann in jeder Landtagsbibliothek eingesehen werden (wechselseitiger Dokumentationsaustausch). Die kartellrechtliche Abarbeitung ist offiziell in zwei Tätigkeitsberichten 1983/84 und 1984/85 des Bundeskartellamtes sehr knapp zusammengefasst: Bundestagsdrucksachen 10/3550, S. 95 f sowie 11/554 S. 83 f. Sehr viel ergiebiger sind einige Presseberichte: stern 48/1983: 220 f; DIE ZEIT 42 v. 11.10.1985. Weitere Quellen (sofern noch auffindbar) werden hier im Lauf der Zeit ergänzt. |