‚Das Asphalt-Kartell‘ – Über eine lose ‚Kooperation‘ zwischen Medien und Bundeskartellamt

‚Das Asphalt-Kartell‘ – über eine lose ‚Kooperation‘ zwischen Medien und Bundeskartellamt

Am 1. Dezember 1994 erschien im stern (Nr. 49) eine groß aufgemachte Geschichte:„Das Kartell. Ein Kronzeuge packt aus“. Drei Tage zuvor, an einem Montag, hatte das Bundeskartellamt eine seiner erfolgreichsten Durchsuchungsaktionen durchgeführt: Während in der Stuttgarter Hohenzollernstraße 25, dem Sitz des Fachverbandes Bau Württemberg e.V., mehrere Herren in geschlossener Runde Aufträge und vor allem Preise auskungelten, tauchten in der Geschäftsstelle unerwartet mehrere Kartellwächter, begleitet von mehreren Beamten der Kriminalpolizei auf, und überraschten die Kartellbrüder mitten in ihrer Arbeit und inmitten ihrer vielen Unterlagen, die ausgebreitet auf dem großen Konferenztisch lagen. Besser konnten es die Wettbewerbshüter nicht haben.

Mit im Gefolge der Anti-Kartellbeamten aus Berlin: Ein Journalist vom stern sowie ein Kamerateam von stern-tv, die bereits mehrere Stunden zuvor eingetroffen waren. Die Fernsehfassung der Aktion ging am Mittwoch über den Sender, die Illustrierte stern erschien tags drauf.

Was die Kartellbrüder nicht bemerkt hatten: Seit rund zwei Monaten wurden sie beobachtet; von einem Fotografen im Auftrag des stern und verdeckt fotografiert aus einem Wohnmobil heraus – der stern wollte genau wissen, ob die Informationen, die ihm seitens eines Informanten zugetragen worden waren, immer noch zutreffend waren: dass Vertreter des Kartells der vier Firmen, die in Stuttgart und Umgebung die Asphaltbranche dominieren (Straßen, Brücken, Parkhäuser), tatsächlich immer montags verschwörerisch zusammentrafen, um ihre Auftraggeber – darunter Firmen wie Daimler Benz oder Bosch oder auch die Stadt Stuttgart – mit überhöhten Preisen zu betrügen.

Die strafrechtliche Abwicklung sowie das Bußgeldvefahren hatte mehrere Jahre gedauert und die betroffenen Firmen zahlten schließlich widerspruchslos. Möglich wurde die Aktion überhaupt nur durch eine ungewöhnliche, aber absolut funktionstüchtige lose ‚Kooperation‘ zwischen dem Medium stern und stern-tv sowie der Behörde Bundeskartellamt. Ausgelöst hatte sie ein Informant, ein ehemaliger Insider aus dem Kartell, der sich als Kronzeuge gemeldet hatte: nicht bei der Behörde, sondern bei der Redaktion des stern.

Genau das will die Rekonstruktion dieser Geschichte zeigen: Dass es möglich ist und erfolgreich sein kann, mit derlei Informationen auch an ein professionelles Medium heranzutreten – beispielsweise dann, wenn sich ein Informant bei der Presse besser aufgehoben fühlt als beim Auspacken gegenüber einer Behörde. Oder wenn jemand – aus welchen Gründen auch immer – eine gewisse finanzielle Aufwandsentschädigung benötigt, etwa um daraus einen Anwalt zu bezahlen. Denn ein solcher war in dieser ‚Kooperation‘ dabei. Er hatte den Informanten rechtlich beraten, der als ausgestiegener Insider ja immerhin lange genug mitgemacht hatte – mitgehangen ist mitgefangen. Aber über Verjährungsfristen und darüber, wie man eventuelle ‚Verhandlungen‘ bzw. Arrangements mit dem Bundeskartellamt führt, wissen fachlich spezialisierte Rechtsanwälte besser Bescheid als Informanten oder Journalisten. Außerdem fiel es auch der stern-Redaktion leichter, den notwendigen Kommunikationsaustausch offiziell über eine neutrale dritte Person laufen zu lassen.

Bevor die Entstehungsgeschichte dieser Geschichte hier rekonstruiert wird, sei zunächst die Lektüre der stern-story empfohlen. Sie enthält bereits viele Informationen auch darüber, wie sie zu Stande gekommen ist. Eine Woche später (stern 50/1994) erschien dann nochmals ein kleinerer Bericht auf zwei Seiten: „Das sind keine Peanuts“, der die sechsseitige Story der Vorwoche mit weiteren Informationen zum Ablauf dieser Geschichte ergänzt. Im Anschluß daran seien dann einige Überlegungen angestellt, was man bei solchen Geschichten und ‚Kooperationen‘ beachten sollte.

Mit freundlicher Genehmigung des stern präsentieren wir zunächst die beiden Stories des Hamburger stern-Journalisten Norbert HÖFLER:

artikel_141_1039034706stern_daskartell_hoefler-01.pdf
artikel_141_1039034778stern_daskartell_hoefler-02.pdf

 

Von den rund 2.000 dokumentierten Fällen, die der Kronzeuge säuberlich gesammelt und zunächst dem stern, dann aber auch dem Kartellamt mit allen relevanten Informationen überlassen hatte, waren im stern (49/1994) mehrere größere Bauprojekte beispielhaft mit Fotos belegt: Objekt und Ort, Auftragswert sowie der Auftragnehmer, dem dieses Objekt von der montäglichen Asphalt-Connectionrunde zugesprochen wurde.

Hier die im stern ausgewählten Objekte:

Daimler-Benz AG, Konzernzentrale in Stuttgart-Möhringen
2.686.638 DM
Fa. Baumgärtner & Burck

Verlags- und Druckzentrum Stuttgart
374.631 DM
Fa. Deutsche Asphalt GmbH

Sporthalle des Schulzentrums in Stuttgart-Degerloch
80.000 DM
Fa. Lautenschlager & Kopp

Autobahn A6 zwischen Einsiedlerhof und Landstuhl
962.550 DM
Fa. Deutsche Asphalt GmbH

Polizeidirektion Böblingen
53.826 DM
Fa. Lautenschlager & Kopp

Fluggastabfertigungsgebäude Flughafen Stuttgart
386.120 DM
Fa. Baumgärtner & Burck

Autobahn A8, Unterführung der L 1214
327.556 DM
Fa. Deutsche Asphalt GmbH

Allgeier-Werke in Uhingen
88.999 DM
Fa. Baumgärtner & Burck

Kultur- und Kongreßzentrum Stuttgart
397.092 DM
Fa. Lautenschlager & Kopp

Kindertagesheim Eberbacher Strasse in Stuttgart
49.644 DM
Fa. Deutsche Asphalt GmbH

Robert Bosch GmbH, Werk Schwieberdingen
29.634 DM
Fa. Deutsche Asphalt GmbH

Landesärztekammer in Stuttgart-Degerloch
20.465 DM
Fa. Lautenschlager & Kopp

Parkhaus Bormannspfad in Saarbrücken
568.167 DM
Fa. Lautenschlager & Kopp

Sporthalle in Marbach
221.555 DM
Fa. Baumgärtner & Burck

Parkhaus am Krankenhaus in Sindelfingen
593.331 DM
Fa. Lautenschlager & Kopp

 

Zur Enstehungsgeschichte und zum Produktionsablauf der Story:

Das Motiv des Informanten war eindeutig: bald sechzigjährig wollte der Insider aus dem stressigen Geschäft mit Teer und Asphalt aussteigen, um sich mit seinen Ersparnissen in wärmeren und billigeren Gefilden den letzten Abschnitt seines Lebens zu organisieren. Der Anruf beim stern bezog sich daher auf das grundsätzliche Interesse der Redaktion nach Insiderinformationen, etwaigen finanziellen Arrangements (Informationshonorar bzw. Gegenleistungen) sowie auf die Frage, wie „fair“ sich dies alles bewerkstelligen ließe.

Der stern-Journalist, Norbert HÖFLER, konnte entsprechend antworten. Zuästzlich empfahl er dem aussteigenden Insider, einen Anwalt seines Vertrauens hinzuzuziehen, um kartellrechtliche Verjährungsfristen abzuklären bzw. gegebenenfalls entsprechende Arrangements mit der Kartellbehörde auszuhandeln. Das Bundeskartellamt hat im Gegensatz zu Staatsanwaltschaften sehr viel größere Ermessensspielräume. Inzwischen gibt es ja sogar eine Kronzeugenregelung für reuige Kartellsünder. Damals, 1994, indes noch nicht.

Ein fachlich versierter Anwalt, der sich mit Wettbewerbs- und Kartellrecht beschäftigt, kennt sich in solchen Fragen aus und kann über seine Rolle als Vertreter des Mandanten hinaus zudem als Moderator nach beiden Seiten hin agieren, falls dies notwendig werden sollte. Dies war hier nicht der Fall, denn die von nun an beginnende Kooperation zunächst zwischen dem Informanten und dem Medium verlief, da ein hohes Maß an Interessensidentität zwischen beiden Partnern bestand, ohne jegliche Probleme.

Der stern prüfte die überlassenen Dokumente und Informationen, checkte die Firmen im Handelsregister, beauftragte einen auf ‚Abschüsse‘ spezialisierten Fotografen, der zwei Monate lang jeden Montag aus verdeckter Position alle Personen fotografierte, die in das Gebäude des Fachverbandes Bau Württemberg e.V. hinein- und nach mehreren Stunden wieder hinausmarschierten und die der Informant wiederum namentlich und der Funktion nach (Firmenzugehörigkeit) identifizieren mußte. Kartellwächter hätten dies nicht machen können und die Polizei würde für die Beobachtung möglicher Wettbewerbsvergehen, die zunächst als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wohl kaum Zeit und Personal investieren.

Journalisten sind da flexibler. Parallel dazu fotografierte der stern beispielhafte Bauobjekte, zog unauffällig Erkundigungen über die Identität zwischen der Kartellliste bzw. den tatsächlich beauftragten Asphaltfirmen ein, checkte diese Informationen wiederum mit dem Informanten gegen und zog zusätzlich externe Fachleute zu Rate: wie weit überhöht die dokumentierten Preise bzw. wie hoch die Preise in vergleichbaren, aber nicht abgesprochenen Fällen waren usw.

Parallel dazu nahm der Informant, der sich dem stern gegenüber ge-outet hatte, über seinen Anwalt Kontakt mit dem Bundeskartellamt auf. Solches funktioniert dort ausgesprochen problemlos. Zum einen wissen die Wettbewerbshüter, dass sie an Informationen, die zur Aufdeckung von Kartellabsprachen führen, nur über Insider herankommen. Entsprechend freundlich und unbürokratisch werden whistleblower behandelt. Und auch aus diesem Grund hat das Bundeskartellamt entsprechende Entscheidungs- und Handlungsspielräume.

Im vorliegenden Fall war das ‚Vergehen‘ des Informanten, nämlich aktive Teilnahme an einem Kartell, das in Deutschland rechtlich (nur) als Ordnungswidrigkeit geahndet wird, gerade verjährt. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so wäre auch dies kein ernsthaftes Problem: Das Kartellamt kann in solchen Fällen Kronzeugen auch nur mit einer Minimalbuße belegen – zum Beispiel in Höhe von 5 (!) Euro. Dies juckt niemanden und der Form nach wäre allen rechtlichen Anforderungen Genüge getan. Für alle anderen, die Nicht-Aussteiger bzw. die Mitmacher, würde das natürlich teurer – Kartellbehörden sind inzwischen dazu übergegangen, Kartelle mit hohen Bußen in Millionenhöhe zu belegen, um die rechtswidrig kassierten Gewinne abzuschöpfen.

Als beide Seiten mit ihren Vorbereitungen fertig waren – der stern hatte seine Geschichte zu Ende recherchiert und das Bundeskartellamt hatte wegen der geplanten Durchsuchung bereits Kontakt mit der Kripo Stuttgart aufgenommen – hatte man nur noch einen Termin arrangieren müssen, einen Montag natürlich, um die Asphalt-Connection auf frischer Tat zu überführen. Die Wahl fiel auf Montag, den 28. November 1994.

Selbstverständlich können Kartellbeamte offiziell Journalisten und Kameraleuten keinen Zutritt zu Amtshandlungen gewähren, also auch nicht den Zutritt zu einer Durchsuchungsaktion. Andererseits können sie dies auch nicht verhindern, wenn die Medienvertreter beherzt und entschlossen genug agieren und sich an ein Durchsuchungsteam anhängen, ohne die eigentliche Aktion zu stören oder zu gefährden. Aus diesem Grund existieren Bilder von dieser Durchsuchung, die stern tv zwei Tage darauf, am 30.11.94, unter dem Titel „Bauskandal“ gesendet hatte.

Was daraus wurde:

Wie es so ist, hatte es mehrere Jahre gedauert, bis diese Geschichte auch kartellrechtlich abgearbeitet war. Zunächst hatte sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft eingeschaltet – wenn Unternehmen Preise absprechen, und zwar einfach so, gilt dies hier zu Lande als Ordnungswidrigkeit wie beispielsweise falsches Überholen. Wenn Absprachen hingegen auf Grund einer Ausschreibung hin geschehen, die den Zweck hat, das beste und kostengünstigste Angebot zu ermitteln, können Preisabsprachen zusätzlich auch als Betrug im strafrechtlichen Sinne gewertet werden.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft jedenfalls war mit diesem Fall offensichtlich überfordert. Nichts geschah. Als sich einer der Kartellbeamten, der mit diesem Fall befasst war, in Stuttgart angesagt hatte, um das weitere Vorgehen zu besprechen, wurde er nicht empfangen – der zuständige Staatsanwalt hatte angeblich keine Zeit.

Wie auch immer: Viele der überführten Fälle begannen nach und nach zu verjähren, weil die Stuttgarter Strafverfolger auf ihren Akten saßen, die sie vom Bundeskartellamt abgefordert hatten und nicht mehr rechtzeitig zurückgaben – die Wettbewerbsbehörde konnte damals zeitlich erst nach der Staatsanwaltschaft ermitteln bzw. tätig werden, nachdem die strafrechtlichen Aspekte abgearbeitet waren. So kam es, dass die Mühlen der Justizbehörden so langsam mahlten, dass die Bußgelder, die das Kartellamt zuletzt noch festsetzen konnte, nur noch für wenige bzw. noch nicht verjährte Fälle von Preisabsprachen verhängt werden konnten. Andererseits sah sich die Staatsanwaltschaft nicht in der Lage, den Betrugstatbestand nachzuweisen bzw. aufrecht zu erhalten – strafrechtlich blieben die betrügerischen Absprachen daher folgenlos.

Der Gesetzgeber indes hatte – nicht zuletzt aus diesem Fall – gelernt: Mit der Strafrechtsreform 1998 hatte der Bundestag einen neuen Paragraphen in das Strafgesetzbuch eingefügt, den § 298 StGB, der klipp und klar regelt, dass Absprachen bei Ausschreibungen (Submissionen) Betrug darstellen und entsprechend geahndet werden (bis zu 5 Jahren Gefängnis). Außerdem stellt ein neuer § 82 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sicher, dass die Kartellbehörde in solchen Fällen Bußgeldbescheide verhängen kann und zwar unabhängig von den Ermittlungserfolgen auf Seiten der Staatsanwaltschaft.

Inwieweit die Betroffenen, also die betrogenen Firmen, Institutionen und Stadtkämmerer ihrerseits auf zivilrechtlichem Wege oder im Rahmen eines Vergleichs von den Asphaltfirmen finanzielle Wiedergutmachung bzw. Schadensersatz eingefordert haben, hat bis heute niemand recherchiert. Selbst das Bundeskartellamt weiß dies nicht.