4.6.1.1 Melderegister/Einwohnermeldeamt

Wenn man als Zeuge vor ein Strafgericht geladen ist, bekommt man gleich zu Beginn die Frage gestellt: »Mit dem Angeklagten verwandt oder verschwägert?«

Eine solche Frage macht Sinn. Denn offenbar hat die Strafjustiz begriffen, dass verwandtschaftliche Bande, egal ob blutsverwandt oder auf Schwagerbasis beruhend, die Unvoreingenommenheit einer Zeugenaussage bzw. die Wirklichkeitskonstruktion zu beeinflussen vermögen. In der Korruptions- und Klüngelwirtschafts- bzw. soziologischen Netzwerkforschung weiß man das auch. Man spricht dort von Nepotismus (nepos = der Neffe). Und auch Journalisten haben solcherlei Zusammenhänge längst verstanden. Allerdings: Solche Informationen unterliegen in Deutschland dem Datenschutz und sind weder für die Justiz geschweige denn für Journalisten erreichbar.

Mit diesem Missverhältnis zwischen der sozialen Bedeutung von Informationen und ihrer Zugänglichkeit müssen recherchierende Journalisten leben (lernen) – beziehungsweise damit umgehen (können).

Der Umstand, dass hier zu Lande jeder verpflichtet ist, einer eigenen Behörde (nach Geburtsregister und Standesamt) persönliche Daten einschließlich der offiziellen Haupt- und Nebenwohnsitze zu melden, ist im Melderechtsrahmengesetz (MRRG) geregelt. Jedes Bundesland sich hat darauf aufbauend ein eigenes Meldegesetz verordnet, das in Verbindung mit dem Rahmengesetz die jeweilige Grundlage darstellt, nach der die Meldebehörden verfahren. Nutzer sind vor allem andere Behörden, beispielsweise das Finanzamt (Lohnsteuerkarten, Zweitwohnsteuer), das Wahlamt (Wählerlisten), die KFZ-Zulassungsstelle, Passamt oder auch die Polizei.

Für normale Menschen sind die Auskunftsmöglichkeiten beschränkt. Was geht und was nicht (mehr) geht, ist im Prinzip im § 21 MRRG geregelt bzw. in den jeweiligen landesweiten Meldegesetzen. Generell gilt bundesweit, dass jeder mittels einer »einfachen Melderegisterauskunft« (z.B. § 28 I Meldegesetz Berlin bzw. § 28 I MRRG) fünf Informationen erfahren darf: 1) Familiennamen, 2) Vornamen, 3) akademische Grade, 4) gegenwärtige Anschriften und 5) ggf. die Tatsache, dass jemand verstorben ist.

In einer »erweiterten Meldeauskunft« (vgl. § 21 II MRRG bzw. z.B. § 28 II Meldegesetz Berlin) lassen sich darüber hinaus folgende Daten erfahren: 6) Tag und Ort der Geburt, 7) frühere Vor- und Familiennamen, 8) Familienstand (verheiratet oder nicht), 9) Staatsangehörigkeit, 10) frühere Anschriften, 11) Tag des Ein- und Auszugs, 12) gesetzlicher Vertreter, 13) Sterbetag und Ort des Todes.

Allerdings: Dies funktioniert erstens nur bei Darlegung eines berechtigten Interesses, und zweitens wird im Fall einer erweiterten Auskunftserteilung der »Betroffene« davon (nachträglich) in Kenntnis gesetzt. Eine Ausnahme von letzterer Praxis ist dann möglich, wenn man glaubhaft darlegen kann, dass man die erweiterten Daten deshalb benötigt, um Rechtsansprüche geltend zu machen (und man den Betroffenen nicht unbedingt vorwarnen möchte).

Gleiches muss im Prinzip möglich sein, wenn Journalisten eine solche Auskunft begehren und sich dabei auf ihre öffentliche Aufgabe, konkret das öffentliche Interesse ihrer Recherche berufen. Das öffentliche Interesse gilt als berechtigtes Interesse. Ebenso sollte man darauf drängen, dass der Betroffene nicht von der erweiterten Meldeauskunft erfährt, um den Rechercheerfolg nicht zu gefährden.

Ein solches Argument hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2000 erstmals in die Waagschale geworfen. Bei diesem wegweisenden Beschluss ging es um journalistische Auskunft in einem sehr viel stärker reglementierten Register, dem Grundbuchamt. Die Verfassungshüter hatten argumentiert, dass eine behördlich initiierte Inkenntnissetzung bzw. eine Anhörung des Betroffenen »zu einem Mittel würde«, das »ihn vor Presserercherchen warnt und in der Folge die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Presse gefährden könnte«. Genau dies widerspreche dem verfassungsrechtlichen Gedanken der Pressefreiheit und könne/dürfe deshalb nicht sein (ausführlich dazu: S. 274 f).

Mit den Daten einer erweiterten Melderegisterauskunft ist zumindest eine Identitätsüberprüfung möglich, um in Zweifelsfällen ganz sicher zu gehen, dass das OdR auch wirklich das Objekt der eigentlichen Recherche ist. Auch dieses Argument ließe sich ggf. anführen, dass man beruflich und rechtlich verpflichtet ist, die journalistische Sorgfaltspflicht einzuhalten, um nicht versehentlich Unbeteiligte in eine Recherche bzw. kritische Veröffentlichung hineinzuziehen. Üblicherweise muss man sich beim Vorbringen solcher Argumente auch darauf einstellen, dass man solche Diskussionen erfolgreich nur mit den zuständigen Vorgesetzten und nicht mit den ›kleinen Sachbearbeitern‹ führen kann.

Bei Identitätsüberprüfungen sollte man auch den Umstand berücksichtigen, dass seit der letzten Familiennamensrechtsreform inzwischen auch Männer ihren Namen wechseln bzw. ändern können, indem sie beispielsweise den Mädchennamen ihrer Ehefrau annehmen und jetzt – ganz plötzlich – ganz anders heißen. Bevorzugt machen das all jene, die glauben, einen (›guten‹) Grund dazu zu haben. Bei An- oder Nachfragen sollte man ggf. auf einen solchen möglichen Umstand hinweisen, um Negativauskünfte zu vermeiden. Die können dadurch zu Stande kommen, dass man, um Auskunft zu erhalten, selbst einige Daten bereits haben bzw. nennen muss: wahlweise Namen (Vor- und Zuname) mit genauer Adresse oder Namen und vollständiges Geburtsdatum. Erst dann erhält man alle restlichen Informationen. Da die Meldebehörden mit elektronischen Datenträgern arbeiten, läuft aber ein solches Identifizierungsmerkmal (Namensänderung) automatisch im Hintergrund mit. So gesehen dürfte es zu keiner ›Panne‹ kommen.

Geht es nur um eine Überprüfung der (richtigen) Identität, so kann man dies ggf. auch anders anstellen. Personen, die offizielle Vertretungsfunktionen bei handelsregisterlich eingetragenen Unternehmen ausüben, sind in der Regel auch mit Geburtsdatum und Anschrift im Handelsregister notiert (vgl. nächsten Kapitelabschnitt). Andere Möglichkeit: Die Einschaltung einer so genannten Auskunftei (vgl. S. 291). Ansonsten kann im Zweifel bzw. auf die Schnelle auch ein überfallartiger Überraschungsanruf per Telefon bei der zu überprüfenden Person weiterhelfen (»Sind Sie XY, der früher Geschäftsführer der Firma Soundso war?« Oder: »Sind Sie XY, der früher mal dort-und-dort gewohnt hat?«)

Einer der spannendsten, weil wichtigsten Punkte indes bleibt über diese offizielle Quelle ungeklärt: die Frage nach verwandtschaftlichen Beziehungen zweiten und dritten Grades, über die sich so vieles andere definiert. Aber solche Informationen haben die Meldeämter nicht. Derlei Daten lassen sich nur über das Geburtenregister und das Standesamt rekonstruieren.

Aus diesem Grund ist es ausgesprochen vorteilhaft, wenn man neben den offiziellen Wegen über weitere Möglichkeiten der Informationsgewinnung verfügt.