Renate DAUM: Börsenschwindel & Bilanzbetrug – Ergänzung zum Kapitel 3.2

Am 10.April 2002 wusste es jeder – bei den Nachrichtenagenturen lief es als über den Ticker: eine Prüfung durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte ergeben, dass die Fa. ComRoad AG, eine der ‚Großen‘ des Neuen Marktes, die sogar im Auswahlindex NEMAX 50 notiert war, ihre offiziell ausgewiesenen Umsätze aufgebauscht, sprich getürkt hatte. Nicht 100%, wie das Unternehmen behauptete, und auch nicht höchstens 10% davon, wie ich nach langen Recherchen recherchiert, geschätzt und veröffentlicht hatte. Nein, der Umsatz betrug de facto ganze 1,4 %: Statt 93,6 Millionen Euro nur 1,3 Millionen. Alles andere war heiße Luft.

Mit dieser offiziellen Bestätigung war einer der größten Bilanz- und Betrugsskandale am Neuen Markt besiegelt. Ich war diejenige, die das maßgeblich mit ausgelöst hatte. Gegen den Widerstand des Unternehmens ComRoad und regelmäßig von giftigen Blicken und unfreundlichen Bemerkungen vieler ComRoad-Aktionäre umgeben hatte ich unbeirrt an dem weiter gearbeitet, was mir merkwürdig aufgefallen war: Unstimmigkeiten und Widersprüche bei einem Unternehmen, das von einigen anderen Medien regelmäßig in den Himmel gelobt wurde. Die Recherchearbeit gestaltete sich vielfach zäh. Ich hatte aber Rückendeckung durch meinen Arbeitgeber: BÖRSE ONLINE, eine Zeitschrift, in deren Redaktion ich seit längerem arbeite, hat meine Arbeit ständig unterstützt. So konnte ich den Druck aushalten, der sich immer wieder aufgebaut hatte. Denn weder beim Firmengründer, Bodo SCHNABEL, noch bei seinen Aktionären, die er (wie auch sich selbst) glücklich gemacht hatte, weil der Aktienkurs stieg, waren Fragen oder Kritik, geschweige denn öffentliche kritische Berichterstattung erwünscht.

Bodo Schnabel sitzt seit März 2002 im Gefängnis – im November 2002 rechtskräftig verurteilt zu 7 Jahren Haft. Meine Geschichte und meine Recherchen hatten ziemlich genau 3 Jahre früher begonnen.

Der Name „ComRoad“ stand in der Zeit der New-Economy für eine der vielen Erfolgsstories – trotz meiner vielen kritischen Artikel. Der allgemeine Rausch über offenbar unendlich steigende Aktienkurse und die Chancen ungewöhnlicher Spekulationsgewinne in dieser Goldgräber-Hype setzte bei vielen – ansonsten völlig vernünftigen – Menschen rationale Überlegungen außer Funktion. Günstige Voraussetzungen für Schwindler und Gauner.

ComRoad verkaufte, so der Emissionsprospekt von 1999, Bordcomputer für Fahrzeuge und Computerserver – sogenannte Telematikzentralen – an „Partnerunternehmen“, und zwar auf der ganzen Welt. Die Abnehmer kümmerten sich um die Vermarktung an lokale Endkunden wie beispielsweise Speditionen oder Betreiber von ganzen Fahrzeugflotten. Über solche zentralen Computerserver und deren via Satellit und Mobilfunk verbundenen Bordcomputer ließen sich blitzschnell alle möglichen Informationen übertragen, die wichtig waren wie etwa Wegbeschreibungen oder neue Fahrtaufträge. Eine moderne Technik also bzw. ein Markt, von dem man sich hohe Wachstumsraten versprach.

ComRoad verkaufte solche Anlagen, erhielt aber auch für die Nutzung der installierten Zentralserver Lizenzgebühren. Mit diesem Geschäftsmodell erzielte die Aktiengesellschaft sensationelle Wachstumsraten bei Umsatz und Gewinn. Mir erschien das alles viel „zu schön, um wahr zu sein.“

Dies ist die Rekonstruktion meiner Geschichte und meiner Recherchen


Erste Zweifel: Vor dem Börsengang entdecke ich dunkle Flecken in der ComRoad-Biografie

Mitte November 1999 landete Informationsmaterial der ComRoad AG auf meinem Schreibtisch bei der „Süddeutschen Zeitung“, für deren Finanzteil ich damals schrieb. Ich sollte das Unternehmen vor seinem Börsengang vorstellen. Die Aktieneuphorie näherte sich ihrem Höhepunkt, und unsere Seiten waren voll mit Porträts der Börsenaspiranten. Experten bescheinigten der Verkehrstelematik phantastische Aussichten, und ComRoad stand am Anfang einer sensationellen Wachstumsstory, wie „der international führende Verkehrstelematik-Spezialist“ in seiner Werbung über sich selbst behauptete: Jedes Jahr sollten sich Umsatz und Gewinn gegenüber Vorjahr vervielfachen. Im Jahr 1998 hatte ComRoad nur 4,6 Millionen DM Umsatz gemacht. 1999 sollten die Erlöse schon bei 18 Millionen DM stehen und für das Jahr 2002 wurde eine gar eine Viertel Milliarde DM prospektiert.

Hier eine Werbeanzeige con ComRoad aus dem Jahr 1999:

Anl02Prospekt-a

Solch aggressive Prognosen fielen selbst in der damals überoptimistischen Atmosphäre aus dem Rahmen. Das machte mich stutzig. Also versuchte ich, Anhaltspunkte dafür zu finden, ob es plausible Gründe für ein solch expansives Wachstum gab.

Ich suchte in den Unterlagen nach dem Namen eines Partnerunternehmens, an das ComRoad die eigenen Produkte verkaufte. Meine Wahl fiel auf Skynet in Großbritannien. Dort rief ich an. „Wir haben eine sehr enge Beziehung zu ComRoad“, erfuhr ich aus London. Jahre später fand ich heraus, dass ich ausgerechnet an eine der wenigen Firmen geraten war, mit der ComRoad zu dieser Zeit tatsächlich Geschäfte machte. Entsprechend positiv fiel die Auskunft aus.

Trotzdem: Der Emissionsprospekt warf immer noch viele Fragen auf. Ein Emissionsprospekt, dies muss man wissen, ist ein Dokument, das alle Börsenkandidaten vorher veröffentlichen müssen. Die Unternehmen und auch die Banken, die den Sprung an die Börse begleiten, haften für den Inhalt. Daher weisen sie in einem solchen Prospekt („Prospekthaftung“) – im Gegensatz zu Werbematerial – sehr viel eher auf unvorteilhafte Dinge hin. Mehrere Punkte fielen mir auf:

  1. Aus den Angaben (Seite 40, 41 und 57; insgesamt 97 Seiten Umfang) ergaben sich merkwürdig niedrige Löhne und Gehälter für die „durchweg hochqualifizierten Mitarbeiter“. Fünf Festangestellte hatte ComRoad, für sie waren 1997 gerade mal 144 000 DM verbucht, also gerade mal 28.800 DM pro Kopf. Die Summe stieg 1998 auf 405 000 DM bzw. auf 81.000 für jeden Festen an.
  2. Im Aufsichtsrat der ComRoad saßen die Ehefrau des Firmengründers SCHNABEL, der eigene Steuerberater und der Emissionsberater. Niemand in dem Kontrollgremium war damit unabhängig vom Unternehmen. Das ist nicht gerade selten in Deutschland, trotzdem ist es ein Warnzeichen. Für kritische Journalisten allemal.
  3. Auch die Geschichte mit „Information Storage“ stieß mir auf. Das war ein Computerunternehmen, das laut Emissionsprospekt, Seite 65, 1998 mit ComRoad verschmolzen war. Es hatte also aufgehört, als selbständiges Unternehmen zu existieren, seine Umsätze, Gewinne oder Verluste wurden der ComRoad AG zugeschlagen. „Information Storage“ hatte mit Unix-Computerspeichern zu tun, nichts mit Telematik. Bei der Aufgliederung der Umsätze von ComRoad auf Seite 33 fand ich aber keine Kategorie, in die die Erlöse von Information Storage passten.

Mehrere offene Fragen also. Ich musste Bodo SCHNABEL mehrmals löchern, bis er mir am Telefon eine Erläuterung dazu gab: Die Umsatzerlöse von „Information-Storage“ in Höhe von etwa einer Million DM seien einfach auf die Telematikumsätze verteilt worden, wie sie im Abschnitt „5.3.3“ auf S. 65 ausgewiesen seien!

In der Tat, jetzt bemerkte ich, dass ein Teil davon sogar unter der Umsatzrubrik „Fahrzeugendgeräte“ auftauchte, immerhin fast ein Fünftel dieses Segments, obwohl das ja nun wirklich etwas anderes als Telematik ist. Wie auch immer: Die ComRoad jedenfalls hatte demnach weit weniger Geschäfte mit der Telematik gemacht als es die Zahlen im Emissionsprospekt suggerierten. Mir gefiel es nicht, dass die Anleger nirgendwo darauf hingewiesen wurden.

Außerdem: Auf Seite 53 war darüber hinaus von einer gescheiterten Privatplatzierung, also einem Aktienverkauf vor einem Börsengang, die Rede. Die Privatanleger mussten im Vergleich zu den Altaktionären den fünffachen Preis bezahlen und wurden im Endeffekt überhaupt nicht Anteilseigner, weil ComRoad gesetzliche Vorschriften nicht eingehalten hatte. Das konnten die Privatanleger aber erst ein Jahr später merken, weil sie seitens ComRoad darüber nicht bzw. falsch informiert worden waren.

Genau das war auch dem Journalisten Christian SCHIFFMACHER aufgefallen, der im Email-Service seines Blattes „GoingPublic“ die merkwürdigen Umstände dieses Vorgangs genauestens beschrieb. Die betroffenen Anleger fühlten sich getäuscht.

Wer sich für die Details dieses merkwürdigen Vorgangs interessiert, kann hier das besagte E-Mail studieren: SCHIFFMACHER-Emailservice181199

Meine eigenen Recherchen bestätigten die Angaben des Kollegen. Nun hatte ich erst recht das Gefühl, dass hier ein potenzieller Skandal-Laden an die Börse drängte, denn wer einmal Investoren über den Tisch gezogen hat, tut dies häufig wieder, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.

Ende November 1999 berichtete ich über all die Punkte, die mir als merkwürdig und widersprüchlich aufgefallen waren. Hier geht’s zum Artikel in der SZ: DAUM_SZ-ad-ComRoad

Nun muss man wissen, dass in der damaligen New-Economy-Hype negative Artikel über Börsenneulinge bei jenen, die schnell reich werden wollten und bei den Journalisten, die solchen Leuten dabei helfen wollten, einfach nicht angesagt und nicht gefragt waren. Einer dieser Kollegen, ein Börsenjournalist, titulierte mich und meinen Kollegen als „Redakteure mit Profilierungssucht“. Und wörtlich: „Zwar ist gerade am Neuen Markt eine kritische Berichterstattung unbedingt notwendig, dennoch darf dies nicht auf Kosten der Objektivität gehen.“

Zunächst schien es tatsächlich so, als hätte ich mich geirrt. Auf dem Höhepunkt des Börsenbooms Anfang 2000 katapultierten die Unterschleißheimer ihre ohnehin ambitionierten Wachstumsziele mehrfach nach oben, um sie danach Quartal für Quartal sogar zu übertreffen. Die Aktie entwickelte sich zu einem der begehrtesten Papiere. Folge: Der Kurs stieg weiter unaufhaltsam nach oben – bis auf 65 Euro für eine 1 Aktie (die nominal nur 1 Euro repräsentiert). Hier die Kursentwicklung seit November 1999 bis November 2003 als zweiseitige PDF-Tabelle: Aktienkurse_ComRoad

 

Wachsendes Unbehagen: Ich stoße auf Widersprüche im Asiengeschäft

Im April 2000 wechselte ich von der SZ zu „BÖRSE ONLINE“ und übernahm dort die Berichterstattung über Asien. ComRoad beobachtete ich einige Monate lang nur noch am Rande. Irgendwie erschienen mir die von Quartal zu Quartal veröffentlichten Erfolgszahlen einfach zu regelmäßig. Denn trotz steigender Gewinne wies das Unternehmen bei genauerer Betrachtung der vielen Zahlen in der so genannten Kapitalflussrechnung einen negativen „Cash Flow“ aus. Darin sind alle Zahlen erfasst, hinter denen tatsächliche Geldflüsse stehen. Ein negativer Cash Flow Quartal für Quartal bedeutete daher: Quartal für Quartal floss Geld aus dem Unternehmen ab.

Wenn ständig Geld aus einem Unternehmen abfließt, ist dies ein Warnzeichen. Denn eine Firma rutscht leicht in eine Liquiditätskrise, wenn es in seinem angestammten Geschäftsfeld nachhaltig weniger Geld in die Kasse bekommt als es aus der Kasse herausnimmt. Davon abgesehen: Umsatz- und Gewinnzahlen lassen sich türken. Liquide Geldmittel hingegen kann man aber nicht so leicht herbeizaubern, und auch Bodo SCHNABEL konnte kein Geld drucken. Die Kapitalflußrechnung zu studieren, macht daher nicht nur für einen Anleger Sinn, sondern natürlich auch für Journalisten. Wer Bilanzen daraufhin nicht checken kann, sollte einen Fachmann fragen.

Und noch ein potenzielles Warnsignal war vorhanden. Die Quartalsbilanzen enthielten unter „Aktiva“ mal hohe Forderungen, mal waren die Anzahlungen enorm hoch. Im ersten Quartal 2001 wies ComRoad zum Beispiel Forderungen in Höhe von 13,6 Millionen Euro und Anzahlungen über 6,1 Millionen Euro aus. Diese Summe überstieg den Quartalsumsatz von 14,3 Millionen Euro bei weitem. Bedeutete: Stets befanden sich Millionenbeträge irgendwo auf der Welt, nur nicht auf den Konten von ComRoad. Bodo SCHNABEL, darauf angesprochen, begründete das mit dem „schnellen Wachstum“. Das war an sich eine plausible Erklärung. Ich konnte mir aber immer noch nicht vorstellen, warum die Firma so extrem hohe Anzahlungen leistete.

Für Anzahlungen, bei denen man noch nichts erhalten hat, gibt man nur dann (soviel) Geld aus, wenn der Lieferant nur unter dieser Bedingung zu liefern bereit ist. Oder wenn man Geld abziehen, sprich beiseite schaffen möchte. Egal wie:

Um mehr Klarheit über all diese Ungereimtheiten zu erhalten, brauchte ich mehr Informationen. Also fing ich wieder an, mich mit dem Thema ComRoad intenisver zu befassen. Ich begann, alles über ComRoad und die gesamte Telematikbranche zu sammeln. Zunächst ohne mit dem Unternehmen selbst Kontakt aufzunehmen. Dabei fiel mir auf, dass die meisten Unternehmen dieser Branche mit Verlusten kämpften und weit niedrigere Wachstumsraten auswiesen als erwartet: Grund: Die Kunden hielten sich mit Bestellungen zurück. Nur bei ComRoad war alles anders.

Auf Telematik-Fachkongressen und in der Automobil-Fachpresse musste Bodo SCHNABEL daher eigentlich ein gefeierter Redner oder ein gefragter Interviewpartner sein, dachte ich. Das war aber ganz und gar nicht der Fall. ComRoad tauchte manchmal am Rande, meist aber überhaupt nicht auf. Nur auf den Wirtschafts- und Finanzseiten einiger Tageszeitungen, bei typischen Anlegermagazinen und Börsenbriefen waren die „Erfolge“ von ComRoad regelmäßig Thema. Entdeckten die Fachjournalisten der Fahrzeugbranche das Juwel ihrer Branche nicht? Wohl kaum. Ließen sich die Wirtschafts- und Finanzjournalisten, die sich meist nicht mit den praktischen Aspekten der Branche auskannten, etwa um den Finger wickeln? Das schien mir schon sehr viel wahrscheinlicher.

Mein ungutes Gefühl wuchs, aber ich hatte noch zuwenig Hinweise oder konkrete Informationen, um dubioses Verhalten zu belegen. Manchen Kollegen ging es wie mir. Einige veröffentlichten erste Zweifel. Der Journalist Gerd RÜCKEL vom Börsenbrief „Platow Brief“ etwa vermutete in seiner Ausgabe v. 13.4.2001, der britische ComRoad-Partner „Skynet“, mit dem ich bereits 1999 telefoniert hatte, nehme „Einheiten bewusst ohne die Chance auf einen Weiterverkauf“ ab. Um ein „Ausbluten“ des Partners zu verhindern, habe sich ComRoad finanziell an dem Unternehmen beteiligt. Das hätte bedeutet, dass ComRoad eigene Umsätze mit „Skynet“ finanzierte.

Hier lässt sich der „Platow-Brief“-Artikel als PDF öffnen: Anl11platowbrief

SCHNABEL wehrte sich heftig – gegen alle, die Zweifel hegten und diese auch zu Papier brachten: „Die Anschuldigungen haben sich in Luft aufgelöst, weil sie nicht beweisbar waren“, sagte er wenig später auf der Hauptversammlung für das Jahr 2000 Ende Mai 2001. Beweisbar waren sie tatsächlich nicht. Noch nicht.

Ich plante im Mai 2001 eine Reise zu zwei Konferenzen mit Präsentationen asiatischer Unternehmen, einmal Schanghai, einmal Hongkong. Wann immer es das Tagungsprogramm zulassen sollte, wollte ich die „Töchter“ deutscher Unternehmen vor Ort zu besuchen. Unter anderem wollte ich in Hongkong herausfinden, wie das Asiengeschäft von ComRoad lief und ob sich das Unternehmen auch am Geschäftspartner vor Ort beteiligt hatte wie bei „Skynet“ in Großbritannien. Den Namen des Hongkonger Partners, „GTS“, hatte ich in Pressemitteilungen von ComRoad gefunden. Im Visier hatte ich also sowohl die ComRoad-eigene Tochter als auch das Partnerunternehmen GTS.

Bodo SCHNABEL höchstpersönlich teilte mir die Telefonnummer seines Asienchefs in Hongkong mit. Ich könne nicht ins Büro kommen, sagte der ComRoad-Mann, als ich ihn dort anrief: „Wir haben in Hongkong nur ein virtuelles Büro.“ Er meinte einen Briefkasten. „Das wirkliche Büro ist in Shenzhen.“ Das ist die Nachbarstadt in der Volksrepublik China. Auch dort sei gerade niemand, ergänzte er: Alle drei Mitarbeiter seien gerade zu einer Messe nach Schanghai geflogen.

Also trafen wir uns in meinem Hotel. Er schilderte mir die Geschäfte in der Region. In Hongkong und in Malaysia waren „Telematikzentralen“ bei Partnern installiert, also Computerserver, über die Fahrzeuge mit Informationen versorgt werden konnten. In China gab es noch keine Endkunden. Referenzkunden? Geheim! Die Anschrift des Büros in Shenzhen? „Die fällt mir gerade nicht ein!“ Auch auf dem Stadtplan konnte er mir die Adresse nicht zeigen. Zum Abschied versuchte er mir auszureden, den Briefkasten von ComRoad in Hongkong zu inspizieren. Kein Wunder: Es gab das Postfach zu dieser Zeit schon längst nicht mehr. Als ich den Namen „ComRoad“ vergebens auf der Eingangstafel eines Büroservice-Anbieters in einem der feinsten Wolkenkratzer suchte, teilten mir die Damen am Empfang mit, der Briefkasten sei zum 30. April 2001 gekündigt worden.

Mein Misstrauen legte sich etwas, als ich den Chef des Hongkonger Partnerunternehmens „GTS“ von ComRoad besuchte, das für die Vermarktung und die Betreuung der Endkunden zuständig war. Adresse und Telefonnummer hatte mir der ComRoad-Asienchef gegeben. Der Markt sei schwierig, die Umsätze gering, berichtete der Geschäftsmann. Seine Angaben deckten sich mit dem, was auch der ComRoad-Asienchef erzählt hatte. Als Referenzkunden nannte er zwei Speditionen, deren Namen ich in den Gelben Seiten fand. Diese Angaben schienen zu stimmen.

Um auf Nummer sicher zu gehen, machte ich einen Besuch im Hongkonger Handelsregister – ich wollte wissen, wer genau hinter „GTS“ steht. Bzw. ob es auch hier eine direkte oder indirekte finanzielle und managementmäßige Verbindung zu ComRoad gab.

Ergebnis dieser Handelsregisterrecherche, die bei Firmenrecherchen immer unverzichtbar ist: 4 Firmen sind Gesellschafter. Darunter auch eine Fa. „Essential Management“, die 25 Prozent der Anteile hält. Hinter ihr steckte Bodo SCHNABEL. SCHNABEL war gleichzeitig auch „Director“ von „GTS“. Und: „Director“ war aber auch sein Asienchef. Das „Partnerunternehmen“ konnte also letztlich von ComRoad beeinflusst werden. Damit war es möglich, dass GTS von ComRoad Endgeräte abnehmen musste ohne Chance auf Weiterverkauf. Anders formuliert: ComRoad konnte auch den Preis diktieren, zu dem GTS abnehmen musste. Und damit wiederum könnte ComRoad seine Umsätze frisieren.

Hier können Sie einen Blick in die Gesellschafterliste werfen, wie sie von „GTS“ sogar selbst veröffentlicht wurde, und zwar über den „Secretary of Company“ – eine Institution, die es nur in Hongkong gibt: Die Firmen machen ihre zu veröffentlichenden Angaben nicht nur dem Handelsregister über, sondern beauftragen damit zusätzlich eine private Firma, die darauf achtet, dass dies auch a) vollständig und b) regelmäßig und c) pünktlich geschieht:

Chart99-03

 

Ich vermutete, dass es ähnliche Konstruktionen auch bei anderen ComRoad-Partnerunternehmen gab. Das hieß, dass die Unterschleißheimer wohl in großem Stil eigene Umsätze künstlich „produzierten“.

Mit dieser Arbeitshypothese war eine weitere Frage verbunden: Wenn es so wäre, wie ich inzwischen nicht mehr ausschließen konnte, dann würde dies bedeuten, dass ComRoad eine Unmenge von Endgeräten von Drittfirmen hätte produzieren lassen, aber auch bezahlen müssen, bevor ComRoad die Geräte an seine (eigenen?) Partnerfirmen weiterverkaufen konnte. Und das wiederum hätte bedeutet, dass ComRoad große Ausgaben haben, also viel Geld aus dem Unternehmen heraus an die Hersteller abfließen müsste. Wenn ComRoad auf der anderen Seite zwar seine Partnerfirmen beliefert, die aber nichts verkaufen und damit auch kein Geld bei ComRoad abliefern (können), dann müsste es bei ComRoad finanziell ziemlich klamm aussehen: hohe Ausgaben, keine Einnahmen. Den Quartalsberichten nach gesehen floss tatsächlich viel Geld aus dem Unternehmen, aber nicht soviel, um selbstfinanzierte Umsätze in großem Stil zu erklären.

Sollte sich alles noch ganz anders verhalten? Waren die hohen Umsätze vielleicht gar nicht künstlich finanziert, sondern vielleicht sogar frei erfunden? Standen sie etwa einfach nur so auf dem Papier?

Mit dieser letzten Arbeitshypothese wären keine Ungereimtheiten und Widersprüche verbunden. Denn: Papier ist bekanntlich geduldig. Aber: Eine solche Annahme ist reichlich kühn. Schreiben kann man so etwas nicht. Es sei denn, man kann es konkret belegen. Oder man findet Indizien oder Ungereimtheiten, die man konkret benennen kann, und die Antworten auf die offenen Fragen provozieren.

Ich fuhr also wieder zurück in die Heimat.

 

Das große Problem: Wie weise ich nach, dass es etwas nicht gibt?

Nach meiner Rückkehr im Mai 2001 nahm ich mir den ComRoad-Geschäftsbericht für das Jahr 2000 vor, der gerade erschienen war. Mich traf der Schlag: ComRoad wollte fast die Hälfte seiner Erlöse in Asien erzielt haben! Und zwar ein Vielfaches von dem, was sich aus der Schilderung des Asienchefs ergab.

Wenige Tage später war die Aktionärs- bzw. Hauptversammlung von ComRoad. Ich ging hin. Bodo SCNABEL schwärmte vom tollen Geschäft in der Region: „Asien ist sehr stark gewachsen. Wir hatten also sehr gute Partner.“ Er präsentierte eine Weltkarte, auf der Telematikzentralen in 30 Ländern eingezeichnet waren:

anl14weltkarte

 

In Asien gab es, so SCHNABEL, acht Partner, die jeweils eine Telematikzentrale betrieben. Ich hatte aber vor Ort nur von zweien erfahren: eine in Hongkong und eine in Malaysia. Das passte alles nicht zusammen, dachte ich, umringt von Aktionären, die zumeist des Lobes voll waren über das tolle Unternehmen. Über die Medien, die den Aktienkurs „niedergeschrieben“ hatten, fanden sie nur unfreundliche Worte.

Wieder zurück in der Redaktion fand ich eine Studie von Bankanalysten über ComRoad. Darin enthalten: eine Liste mit den Namen und Ländern der Partnerunternehmen, die nach Angaben von ComRoad erstellt worden war. Australien und Neuseeland waren dabei Asien zugeschlagen. Ich erstellte daraus eine eigene Liste, und zwar mit genau den 8 Asienpartnern, von denen die Rede war. Der Firmenchef SCHNABEL bestätigte mir per E-mail, dass meine Liste so korrekt war:

 

ComRoad-Partner                              Land

Global Telematic Service                     Hongkong

Shenming                                           China

Likom                                                  Malaysia / Hongkong

Globalwatch                                        Thailand / Malaysia

China Telematics                                 China

Fleetwood                                            Australien

T-Asia                                                  Philipinen

Guardian                                             Neuseeland / Australien

 

Mit dieser offiziellen Bestätigung kamen wieder Fragen auf: Warum hatte der Asienchef nur zwei Firmen erwähnt? GTS war ganz klein, der Partner in Malaysia war noch sehr neu. Die beiden konnten niemals für fast die Hälfte der ComRoad-Umsätze verantwortlich sein. Warum also hatte der Asien-Mann in der Region die anderen sechs mit keinem Wort erwähnt?

Ich konfrontierte SCHNABEL mit dieser Frage. Die Asien-Tochter sei „nur für neue Kunden in China zuständig“, schrieb er. Der Asienchef könne nur über das Neukundengeschäft in China Auskunft geben.

Es erschien mir wenig plausibel, dass der Asienchef keine Ahnung vom Asiengeschäft haben sollte, selbst wenn er nur für ein einziges Land zuständig war.

SCHNABEL’s ausflüchtende Antwort verstärkten meine Zweifel, die sich während meiner Asientour gemeldet hatten – hier konnte wirklich etwas nicht stimmen. Wie aber ließ sich das beweisen?

Mir fielen zwei mögliche Recherchewege ein, um die vorhin entwickelte Arbeitshypothese verifizieren zu können:

  • Entweder über die Hersteller der Bordcomputer, die an ComRoad lieferten
  • Oder über die ComRoad-Kunden, also die Partnerunternehmen.

Wenn man z.B. aufzeigen konnte, dass gar nicht so viele Bordcomputer produziert oder geliefert worden waren, wie ComRoad behauptete, dann war klar, dass die Zahlen im Geschäftsbericht nicht stimmen konnten.

So plausibel diese beiden Ansätze schienen, so schwierig waren sie umzusetzen. Lieferanten nämlich äußern sich so gut wie nie über den Umfang der Geschäftsbeziehungen mit ihren Kunden. Eine direkte Anfrage bei den beiden bekannten Herstellern war daher sinnlos. Und von den meisten Partnerunternehmen war nur der Name und das Land bekannt, nicht aber die Anschrift. Eine offzielle Anfrage war mit diesen Angaben nicht möglich.

 

Über Umwege und mit viel Geduld kam ich dennoch ans Ziel

In einem Fall ließ sich aus Angaben in Branchenreports eine Höchstmenge für die Produktion herleiten. Im zweiten Fall fand ich einen Insider, der mir die Zahl der tatsächlich hergestellten Geräte verriet. Daraus ergab sich nur ein Bruchteil der von ComRoad auf der Hauptversammlung angegebenen Stückzahlen.

Damit schien das Rätsel gelöst. Kurz vor meiner geplanten Veröffentlichung erklärte Bodo SCHNABEL in einem Interview, es gebe noch einen dritten Hersteller in China – allerdings ohne Namen oder eine Adresse zu nenen. Damit brach meine Geschichte vorerst zusammen. Ich musste die unbekannte Firma finden. Als ich endlich herausfand, dass damit ein Unternehmen namens „VT Electronics“ gemeint war, das es in Wirklichkeit gar nicht gab, hatte ich längst über die Suche nach den Kunden von ComRoad Erfolg gehabt. Jetzt konnte ich nachweisen, dass die Partnerunternehmen in Asien gar nicht so viele Bordcomputer abgenommen hatten, wie ComRoad behauptete.

Und dies war der Weg, wie ich diese Arbeitshypothese ‚wasserdicht‘ machen konnte:

Die Namen und die zugehörigen Länder der 8 Asienpartner hatte ich ja in der Liste der Bankanalysten gefunden und Bodo SCHNABEL hatte sie mir bestätigt. Auf der Hauptversammlung und gegenüber Analysten hatte Bodo SCHNABEL zudem erklärt, wie lange es dauerte, bis ein Partner nach Vertragsabschluss auf Kundensuche gehen konnte und wie viele Testgeräte er bis dahin gewöhnlich abnahm. Nun musste ich noch herausfinden, wer wann Partner geworden war, um eine eigene Umsatzschätzung dafür zu erstellen, wer wann überhaupt wirklich Umsatz machen konnte.

Ich durchforstete alle Pressemitteilungen, Werbebroschüren, Geschäftsberichte von ComRoad. Daraus ergab sich, dass GTS aus Hongkong seit 1999 dazu gehörte und alle anderen Asienpartner erst ab Sommer 2000. Das bestätigte mir auch die Pressestelle von ComRoad. Nun versuchte ich, diese Informationen aus unabhängigen Quellen zu verifizieren, etwa durch Presseberichte. Das gelang aber nur bei „GTS“ aus Hongkong und bei „Globalwatch“ aus Malaysia. Im Internet fand ich Artikel über eine Pressekonferenz im Mai 2001 mit dem „Globalwatch“-Chef. O-Ton: „Globalwatch hat eine exklusive Lizenz von ComRoad für Malaysia gesichert.“ Merkwürdig: Für Malaysia und Hongkong gab es laut SCHNABEL-Liste aus der Bankanalysten-Studie noch einen zweiten Partner, die Fa. „Likom“ (siehe Tabelle vorhin). Was machte die wohl, wenn GTS und Globalwatch Exklusiv-Lizenzen hatten?

Über die anderen 6 Unternehmen fand ich nichts. Die Suche gestaltete sich mühsam, denn außer dem Firmenamen und dem jeweiligen Land, in dem die Firmen domizilierten, gab SCHNABEL nichts preis, auch nicht den Namen der Städte, geschweige denn eine genaue Adresse: „Die mit den Kunden abgeschlossenen Verträge und Vereinbarungen unterliegen der Vertraulichkeit.“

Wie sollten Endkunden aber die Partner finden, wenn die Anschriften geheim waren? Als ich diese Frage Bodo SCHNABEL stellte, brach er den Kontakt zu mir ab.

Ein Kollege und ich versuchten daher, die Asienumsätze für das Jahr 2000 mit den vorhandenen Informationen nachzuvollziehen. Wir fütterten eine Excel-Tabelle mit allen Angaben aus unterschiedlichen Quellen über das ComRoad-Geschäft mit den Bordcomputern bzw. Endgeräten. Ziel dieser Auftstellung war es, eine Art Obergrenze für das Umsatzvolumen zu finden, das ComRoad maximal gemacht haben konnte. Diese Zahlen wollten wir dann mit den Zahlen aus dem Geschäftsbericht vergleichen.

Die Umsätze von „GTS“ kannten wir von meinem Besuch in Hongkong, bei „Globalwatch“ ließ sich eine Umsatzhöchstgrenze auf Basis der Medienberichte schätzen. Bei den anderen sechs Partnern nahmen wir an, dass es sie gab und dass sie seit Sommer 2000 „Partner“ waren.

Im ersten Jahr einer Partnerschaft lieferte ComRoad nach eigener Aussage in der Regel 100 Bordcomputer und den Computerserver, also die Telematikzentrale. Die Preise für die Geräte waren aus offiziellen Preislisten bekannt. Außerdem bekam ComRoad zehn Prozent des Bruttogewinns der Partner als Lizenzeinnahmen. Von der Höhe der Lizenzgebühren hatte ich durch mein Gespräch mit dem „GTS“-Chef und den Presseberichten über „Globalwatch“ eine klare Vorstellung. Die Gesamtumsätze addierten sich daher aus

  1. den Umsätzen in den Telematikzentralen
  2. der Anzahl der verkauften Bordcomputer und
  3. den Lizenzeinnahmen.

Ergebnis unserer sehr vorsichtigen Schätzungen: ComRoad konnte allerhöchstens einen Umsatz in Höhe von 8,795 Mio Euro gemacht haben (vgl. in der Tabelle unter (3)). Die Umsatzlücke zwischen offiziell ausgewiesenem Jahresumsatz (19,9 Mio €) und unseren Zahlen (8,8) betrug demnach 11,1 Millionen Euro – mehr als das, was wir überhaupt an maximalem Umsatz hochgerechnet hatten.

Hier können Sie unsere Schätzungen und Rechnungen nachvollziehen: Es handelt sich um besagte Excel-Tabelle als PDF-File: DAUM_Exceltabelle

Wir wollten SCHNABEL unbedingt mit unseren Ergebnissen konfrontieren. Wir wollten immer noch nicht ganz ausschließen, dass wir doch irgendwie falsch liegen könnten. Auch wenn wir das eigentlich nicht mehr so richtig glaubten. Trotzdem: Wir waren gespannt, wie er uns diese Widersprüche erklären würde.

SCHNABEL konterte: Die „Pilot-Installationen“, die im Normalfall mit 100 Bordcomputern angesetzt waren, könnten sich auch zu mehreren Tausenden addieren. Das war zwar völlig unrealistisch, denn kein Unternehmen der Welt würde mehrere Tausend Testgeräte abnehmen und bezahlen, bevor es mit der Vermarktung beginnen kann.

Wir blieben daher bei den 100 Bordcomputern und rechneten weiter. Wir wählten aber stets die für ComRoad günstigsten Annahmen, etwa den vorteilhaftesten Wechselkurs im gesamten Jahr. Selbst wenn wir unrealistisch optimistische Annahmen zu Grunde legten, wie etwa, dass die ComRoad-Partner keine Kosten hatten, kamen wir auf Umsatzerlöse von höchstens 8,8 Millionen Euro für ComRoad. Das war weniger als die Hälfte der im Geschäftsbericht ausgewiesenen Asien-Erlöse: Dort standen 38 Millionen DM bzw. 19 Millionen Euro. Da auf Asien fast die Hälfte des gesamten Geschäfts entfiel, musste das gesamte Umsatzvolumen – unter der Annahme, dass wenigstens die Umsatzzahlen aus den anderen Regionen stimmten – um mindestens ein Viertel zu hoch ausgewiesen worden sein. Hier die Rechnung nochmals, und diesesmal in Euro:

 

Umsatzerloese nach Regionen_600px

 

Diese Rechnung veröffentlichten wir am 13.Juni 2001 in BÖRSE ONLINE. Hier können Sie den Artikel aufrufen. Wegen eingearbeiteter Fotos usw. ist er allerdings 203 KB ‚schwer‘ – obwohl wir ihn ‚ge-zippt‘ haben. Wenn Sie dieses File downloaden, können Sie die Datei danach als PDF öffnen: ComRoad2501

Bodo SCHNABEL musste reagieren. Unser Blatt hatte zu diesem Zeitpunkt eine Auflage von über 200.000 Exemplaren wöchentlich und darunter natürlich viele Aktionäre. SCHNABEL schrieb seinen Aktionären einen Brief, den er per Email noch am selben Tag übermitteln ließ. Tenor vor allem: „dass bei dem kurzen Ausflug von Frau Daum nach Hongkong die Recherche zu kurz gekommen ist. Wie früher wollte sie nur einen kurzen Sensationsartikel schreiben.“

Diesen Brief sollten Sie unbedingt lesen. Sie können sich damit in die Lage versetzen, wie einem investigativ arbeitendem Journalisten zumute ist, der lange recherchiert hat und sich seiner Sache bzw. Fakten sicher ist, sich aber jetzt trotzdem wieder mit Verwirrspielen seines ‚Gegenüber‘ auseinandersetzen muß. Hier ist der e-mail-Rundbrief aufzurufen: ComRoad_adBO120601

Meine Berechnungen seien allein deshalb falsch, weil die Partnerschaft mit „Shenming“ aus China schon seit August 1998 und mit „T-Asia“ aus den Philippinen seit Oktober 1999 bestand und nicht erst seit Sommer 2000, konterte Bodo SCHNABEL. Ich war sauer auf den Pressesprecher von ComRoad, denn ich war die Reihenfolge, wann wer Partner geworden war, vorher mit ihm durchgegangen und er hatte meine Angaben bestätigt. Nun entschuldigte er sich bei mir: „Das habe ich auch nicht gewusst.“

Egal: „Shenming“ und „T-Asia“ mussten sehr bedeutende „Partner“ sein, wenn sie die von mir errechnete Umsatzlücke – immerhin die Hälfte der gesamten Asienumsätze – füllen sollten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet der Telematikmarkt in China und auf den Philippinen so ‚heiß‘ sein sollte.

 

Der Streit eskaliert: Ich finde „Phantompartner in Asien“ und lande vor Gericht

ComRoad machte mir ein Angebot: Man wollte mir den Asienumsatz aufschlüsseln. Adressen und Ansprechpartner würden aber nicht genannt. Klang gut, hatte aber einen Haken: Ich hätte keine Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt dieser Angaben zu überprüfen. Das Unternehmen schlug darauf hin vor, mir Einsicht in die Bücher zu gewähren. Voraussetzung: Ich müsse eine Vertraulichkeitserklärung unterzeichnen. Mein Chef warnte mich: „Was ist, wenn Du tatsächlich Ungereimtheiten findest und Dir dann die Hände gebunden sind?“

Ich vermutete, dass ComRoad absichtlich Bedingungen stellen wollte, von denen man annahm, dass sie für mich nicht akzeptabel waren. Denn wenn ich die Offerte ablehnen würde (wovon man offenbar ausging), konnte das Unternehmen stets erklären, ich sei auf das Angebot einer Klärung nicht eingegangen. Das wiederum hätte meiner Glaubwürdigkeit geschadet.

Ich musste diesen Plan durchkreuzen. Ich sagte zu. Darauf war ComRoad nicht gefasst: „Was haben Sie denn davon, wenn Sie nicht darüber berichten dürfen?“ ComRoad zog sein Angebot zurück. Diesen (Schach-)Zug hatte ich gewonnen.

 

Trotzdem blieben Fragen:

Warum nur hatte mir Bodo SCHNABEL im November 1999 auf meine Frage nach dem Asiengeschäft nichts von „T-Asia“ oder „Shenming“ erzählt? Vor einem Börsengang stellen sich Unternehmen so positiv wie möglich dar. Da ComRoad nach dem letzten Vorfall nicht mehr antworten wollte, musste ich „T-Asia“ und „Shenming“ selbst fragen. Und am sichersten würde es sein, wenn ich alle Asienpartner kontaktieren würde, mit denen ich noch nicht gesprochen hatte.

Die Suche nach diesen nur dem Namen und den Ländern nach bekannten, aber ansonsten unbekannten 6 „Partnern“ glich der Jagd nach einer Stecknadel im Heuhaufen. So kannte ich z.B. die chinesischen Schriftzeichen nicht, und es gab Dutzende von Kombinationen, um allein das Wort „Shenming“ zu schreiben.

Der Name des zweiten China-Partners, „China Telematics“, ließ sich zwar wörtlich übersetzen. Aber der chinesische Name kann von der englischen Version abweichen. Weder Branchenvertreter noch die Handelsvertretungen Chinas in Deutschland und Handelsvertretungen Deutschlands in China konnten mir ohne die korrekten Schriftzeichen weiterhelfen. Über eine japanische Journalistin einer Zeitung in Tokyo, bei der ich mein Praktikum gemacht hatte, lernte ich chinesische Journalisten kennen. Aber auch sie fanden weder eine Firma „Shenming“ noch „China Telematics“.

Ich rief den Asienchef an. Er wurde unruhig, als ich ihn nach den beiden Partnern in China fragte. Er wisse nichts darüber, und im übrigen müsse er das Telefonat jetzt abbrechen. Der Mann, der „für Neukunden in China zuständig“ war (O-Ton/SCHNABEL), sollte keine Ahnung von den Geschäften zu haben, die sich angeblich seit über zwei Jahren just in diesem Land abspielten?

Mein Verdacht bekam neue Nahrung: Ich ahnte, dass die beiden Firmen Phantompartner sein mussten.

Mit „T-Asia“ auf den Philippinen hatte ich ebenfalls Probleme. Ich suchte nach „T-Asia“, „T Asia“, „Tasia“. In Datenbanken war nichts zu finden. Das Handelsregister in Manila hatte eine T-Asia zu bieten – aber die war erst im Oktober 2000 ins Handelsregister als Groß- und Einzelhandel von Lebensmitteln, Getränken und anderen Waren eingetragen. Ich fand eine „Trans-Asia Oil”. Sie dementierte, etwas mit Telematik zu tun zu haben. Mit den übrigen drei Partner in der Region – „Likom“ in Malaysia/Hongkong, „Fleetwood“ in Australien und „Guardian“ in Neuseeland – erging es mir genauso. Ich fand Unternehmen mit zu ComRoad passendem Geschäftsfeld, keines machte aber Geschäfte mit ComRoad.

Das Handelsregister in Malaysia stellte mich vor eine besondere Aufgabe: Es forderte zur Begleichung der Gebühr für Registerauszüge einen von einer malaysischen Bank in Malaysia ausgestellten Scheck in lokaler Währung. Es dauerte Wochen, bis mir eine Idee kam, wie ich das bewerkstelligen konnte: Ich zahlte den Betrag auf ein Konto der zuständigen deutschen Außenhandelskammer ein, die die Bezahlung dann für mich erledigte.

Immer wieder grübelte ich, ob ich nicht intensiv genug nach den nicht auffindbaren Unternehmen gesucht hatte. In China etwa gab es kein zentrales Handelsregister. Realistischerweise konnten die Partner nur in reichen Metropolen ihren Sitz haben. Vielleicht steckten sie aber doch im Hinterland? Ich suchte über Wochen und dokumentierte meine Telefonate, Emails, Faxe, Gespräche akribisch, aber es blieb dabei: Ich fand nur Belege für die Existenz von zwei ComRoad-Partnern, die Telematikzentralen betrieben und Bordcomputer vermarkteten: Es waren „GTS“ und „Globalwatch“, die ich bereits kannte. Sie konnten aber höchstens zwei Millionen Euro Umsatz gemacht haben. Das hatte ich in meiner Excel-Tabelle (Anlage 16, Seiten 3 und 4) als realistischen Asien-Umsatz der beiden ermittelt. Das waren aber nur zehn Prozent des ausgewiesenen Asienumsatzes. Am 2. August 2001 schrieb ich über die „Phantompartner in Asien“.

Dies war der Text der kurzen Meldung (16 Zeilen):

BÖRSE ONLINE Nr. 32 v. 2.8.2001:

Phantompartner in Asien

Beim Münchner Telematikunternehmen ComRoad erhärtet sich der Verdacht, dass der Jahresabschluss 2000 auf falschen Zahlen beruht. Vorstand Bodo Schnabel behauptet, ComRoad habe in Asien neben der seit Juli geführten Shanghai Unicom Shihua acht Partner, die Servicezen-tralen betreiben und Fahrzeugendgeräte an Kunden vermarkten. BÖRSE-ONLINE-Recherchen ergaben jedoch nur Hinweise auf die Existenz von zwei Partnern, GTS und Globalwatch. Wir schätzen den ralen Asienumsatz statt der ausgewiesenen 19,9 Millionen auf weniger als zwei Millionen Euro. ComRoad gab keine Stellungnahme ab.

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Nun ging ComRoad in die Offensive. Alle paar Wochen forderte uns ein Rechtsanwalt auf, irgendetwas zu unterlassen – sogar die Wiederholung von Dingen, die wir nie behauptet hatten. Die notwendige Reaktion darauf kostete Zeit, die mir für Recherchen fehlte. Vor dem Landgericht Berlin erwirkte ComRoad eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung. Bodo SCHNABEL versicherte „an Eides statt“, dass es die 8 Asienpartner gab. Falls wir wiederholten, was ich geschrieben hatte, war ein Ordnungsgeld bis zu 500 000 DM oder Ordnungshaft fällig.

Wir legten Widerspruch ein. Vor Gericht präsentierte ComRoad daraufhin eine (neue) Liste mit den Namen und Anschriften der 6 nicht auffindbaren Unternehmen. Diese neue Liste zeichnete sich durch eine Besonderheit aus: sie wich von der Aufstellung aus der „Eidesstattlichen Versicherung“ ab. Firmen hießen anders, aus „T-Asia“ wurde zum Beispiel „Telematics-Asia“, manche waren anderen Länder zugeordnet, ein Unternehmen wanderte von Australien nach Neuseeland.

Hier können Sie selbst vergleichen. Dazu noch folgende Bemerkung: Wenn Menschen anfangen zu lügen und dabei nicht besonders ‚ausgeschlafen‘ sind, bedeutet das meistens „Vorteil“ für recherchierende Journalisten. Denn ganz schnell verfangen sich jene, die die Unwahrheit sagen, in eigenen Ungereimtheiten oder Widersprüchen, die sie als solche gar nicht bemerken bzw. erkennen können, wenn sie nicht exakt Buch darüber führen – also sich genauestens notieren, wann sie was wem gegenüber wie gesagt oder erklärt haben. Eine solche Situation muss man sofort kreativ nutzen. Zum Beispiel vor Gericht wie im konkreten Fall. Oder mit einer neuen Geschichte.

Hier zunächst der Vergleich:

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Auch die Richter erkannten diese Widersprüche. Sie hoben die einstweilige Verfügung auf. Das hinderte ComRoad aber nicht daran, den eigenen Aktionären in einem Brief den Sachverhalt ein wenig zu spitzfindig darzulegen: „In der im November 2001 stattgefundenen Verhandlung vor dem Landgericht Berlin hatte ComROAD dargelegt, dass die Partner in Asien existent sind und die aufgestellten Vermutungen des Börsenmagazins unbegründet sind.“ Dass wir gewonnen hatten, ließ das Unternehmen weg. Es entstand vielmehr der Eindruck, wir seien unterlegen. Dies wiederum ließ sich mein Verlag nicht gefallen. Von nun an drehte BÖRSE ONLINE den Spieß um und ergriff rechtliche Schritte gegen ComRoad. Die Richter entschieden auf voller Linie für uns. Das Unternehmen musste eine Richtigstellung an alle Aktionäre schicken und durfte seine Behauptungen nicht wiederholen.

 

Urlaub als Entdeckungsreise: Jagd nach den Phantompartnern in Asien

Ich hatte nun durch den Gerichtsstreit einen Zettel mit 6 (bisher unbekannten) Anschriften asiatischer Unternehmen. Ob sie tatsächlich Geschäfte mit ComRoad machten, war damit nicht gesagt. Nachweise lieferte die Telematikfirma nicht. Erneut stellte ich Anfragen an Handelsregister, Gewerbeämter, Datenbanken. In Neuseeland konnte ich wegen der Zeitverschiebung (12 Stunden!) nur gegen Mitternacht, in den asiatischen Ländern nur früh oder vormittags anrufen. Was ging, erledigte ich per Email oder Fax, um schriftliche Belege samt Sendebestätigung zu haben. Meine Recherchen füllten mehrere Ordner. Beim Handelsregister in Auckland, Neuseeland, kam ich gut per Email und Internet weiter, auf den Philippinen forderte ich per Fax neue Handelsregisterauskünfte an, und wie beim ersten Mal erließen mir die Sachbearbeiter zum Glück die fällige Gebühr und halfen mir schnell. (Ein Auszug kostet umgerechnet nur wenige Euro, die Überweisungsgebühr auf die Philippinen war um ein Vielfaches höher.)

Von den beiden Adressen der Partner in Neuseeland ließ ich Fotos schießen. Einer residierte in einem Einfamilienhaus. Der Ansprechpartner sagte mir am Telefon, er habe eine Vereinbarung mit ComRoad geschlossen, die aber noch nicht vollzogen wurde. In den Jahren 2000 und 2001 gab es also noch keine Umsätze. Das andere Unternehmen war in der Niederlassung von Ford Neuseeland zu finden. Es befand sich aber laut Handelsregisterauszug in Liquidation. Durch einen Anruf erfuhr ich, dass es nur Gespräche mit ComRoad geführt, aber keine Geschäfte gemacht hatte.

Auf den Philippinen suchte ein von mir beauftrager Kollege Informationen über „Telematics-ASIA“ bzw. „T-Asia“, ohne Kontakt mit dem Unternehmen aufzunehmen. Er fand nichts. „Ich vermute, dass es ein Schwindelunternehmen ist“, schrieb er mir.

Es war besser, weil vor Gericht sicherer, wenn ich selbst vor Ort recherchierte. Zufällig hatte ich eine Urlaubsreise nach Südchina geplant. Drei der 6 Adressen lagen ohnehin auf meiner Reiseroute, die Philippinen nahm ich kurzerhand noch auf. Kurz vor Jahreswechsel 2001/2002 flog ich los.

ComRoad hatte die Partner sicher vorgewarnt, dachte ich. Mir war nicht ganz wohl in meiner Haut. Auf der vor Gericht vorgelegten Adressliste waren keine Telefonnummern aufgeführt. Von den Unternehmen in Hongkong, China und auf den Philippinen hatte ich von Deutschland aus auch keine Nummern herausbekommen. Daher blieb mir nichts anderes übrig, als die Adressen auf gut Glück aufzusuchen. Es war abzusehen, dass die zuständigen Gesprächspartner nicht da oder beschäftigt waren. Ich konnte Termine daher erst vor Ort ausmachen und musste dann zur vereinbarten Zeit erneut vorbeikommen. Damit konnte ComRoad leicht meine Reiseroute verfolgen. Wer würde Verdacht schöpfen, wenn ich dabei – rein zufällig – Opfer eines Verkehrsunfalls oder bei einer Schlägerei verletzt würde?

Auf den Philippinen begann meine erste Vor-Ort-Recherche in Quezon City: „T-Asia“ bzw. „Telematics-ASIA“. Im Erdgeschoss des Hauses waren deutsche Motorsägen und Gartengeräte ausgestellt. Und die Firma hieß ganz anders. Die Empfangsdame gab sich auf meine Fragen hin ratlos. Dennoch bekam ich drei Tage später einen Termin mit dem „Chef“, war aber darauf eingestellt, dass das Gespräch schnell eine unerfreuliche Wendung nehmen könnte. Ich reichte ihm die Liste von ComRoad. Sein Name war an erster Stelle zusammen mit „Telematics-ASIA“ genannt. „Das ist mein Name,“ sagte er schließlich langsam. „Und das ist meine Adresse – aber ich habe noch nie von dem Unternehmen Telematics-ASIA gehört.“ Er erzählte mir, welche Unternehmen er wirklich hatte. Das deckte sich mit den Angaben aus dem Handelsregister.

„Ich habe Bodo Schnabel vor einigen Jahren zufällig im Flugzeug kennengelernt“, sagte er. „Ich habe nie einen Vertrag unterzeichnet und nie Geschäfte mit ComRoad gemacht.“ Er wirkte schockiert. Ich hatte einen kurzen Fragebogen entworfen, den ich während des Gespräches ausfüllte, und bat ihn, das Papier zu unterzeichnen. Damit wollte ich sicherstellen, dass ich in Deutschland glaubhaft belegen konnte, was ich hier gehört hatte. Zu meiner Erleichterung unterzeichnete er den Bogen und bestätigte mir damit auch schriftlich, dass es niemals Geschäftsbeziehungen zu ComRoad gegeben hatte:

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In Hongkong teilten sich laut Liste die zwei Partner „Likom“ und „China Telematics“ ein- und dieselbe Adresse. Sie hatten demnach sogar den gleichen Präsidenten. Es handelte sich allerdings nur um ein Repräsentanzbüro von mehreren asiatischen Unternehmen, in dem zwei junge Chinesinnen arbeiteten. Hier sehen Sie die Eingangstür des Likom-Büros:

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Sie kannten nur „Likom“. Von „ComRoad“ oder „China Telematics“ hatten sie noch nie gehört. Ihr Chef bestätigte mir per Email, dass er ein Vertriebsabkommen mit ComRoad geschlossen hatte, das aber bereits wenige Wochen später beendet worden war.

„China Telematics“ war weder im Handelsregister noch im Gewerbeamt eingetragen. „Wenn das Unternehmen nirgends in Hongkong registriert ist, dann existiert es nicht“, erklärte mir ein Behördenmitarbeiter.

Nun blieb noch „Shenming“, der Partner in Shenzhen in der Volksrepublik China. Ratlos blickten die Chinesen, die ich um Hilfe bat, auf die Liste von ComRoad. Ein hilfbereiter Mann fand heraus, wo das Problem lag: ComRoad hatte den Namen in lateinischen Buchstaben falsch geschrieben. Wenig später stand ich vor dem Eingang von „Shenming“.

Zufällig ging ein Mitarbeiter vorbei und zog die Tür langsam hinter sich zu. Hinterher! – schoss es mir durch den Kopf. Wenn ich klingeln müsste, würde es mir mit meinen Sprachkenntnissen, die sich in drei Sätzen „Touristen-Chinesisch“ erschöpften, kaum gelingen, mein Anliegen zu erklären. Und es war zweifelhaft, ob man mich überhaupt hereinlassen würde. Ich ergriff die Chance und schlüpfte hinter ihm durch die Tür. Es war ihm anzusehen, wie er fieberhaft überlegte, was er jetzt tun sollte. Ich lächelte freundlich und zeigte ihm den Zettel mit der chinesischen Adresse. Er nickte. Ja, das war hier. Nun überreichte ich ihm meine deutsche Visitenkarte – eine chinesische hatte ich nicht.

Er bedeutete mir, zu folgen. In einem Büro lieferte er mich bei zwei Chinesinnen ab und verschwand. Wir lächelten uns an, auch sie sprachen kein Englisch. Minuten um Minuten verstrichen, meine ‚Gastgeberinnen‘ überlegten sicher genauso wie ich, was jetzt weiter passieren könnte. Zum Glück hatte ich vorher die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass niemand bei „Shenming“ Englisch sprechen würde. Daher hatte ich die englische und die chinesische Internetseite des Hongkonger ComRoad-Partners „GTS“ genau studiert und die Zeichen abgeschrieben, die „ComRoad“, „Telematikzentrale“, „Bordcomputer“ und ähnliches bedeuten mussten. Nun zog ich diese Liste aus der Tasche, fragte auf Chinesisch „gibt es…?“ und deutete jeweils auf eine der Vokabeln. „Mei you“ lautete die Antwort stets, also „nein!“.

Nun wussten sie, was mich interessierte. Eine der Chinesinnen gab mir Prospekte, in denen ein Bordcomputer abgebildet war. Es war kein Modell von ComRoad. Das Unternehmen war zwar in der Telematikbranche tätig, allerdings nicht oder nicht mehr als „Partner“ der Unterschleißheimer. Bevor ich ging, wurde ich nach dem Namen meines Hotels gefragt, dessen chinesische Schriftzeichen ich mir zum Glück gemerkt hatte.

Draußen holte ich tief Luft – das taten die beiden Chinesinnen jetzt sicher auch. Ich fragte mich, was wohl geschehen würde, wenn eine Chinesin ohne Ankündigung in einem kleinen Betrieb in einem deutschen Gewerbegebiet aufkreuzen würde, ohne des Deutschen oder einer anderen Sprache mächtig zu sein, die dort jemand verstand. Sie wäre vielleicht nicht so geduldig und höflich behandelt worden wie ich hier.

Abends rief ein Mitarbeiter von „Shenming“ im Hotel an. „Ich habe gehört, dass Sie heute Nachmittag bei uns waren“, sagte er in hervorragendem Englisch. „Die anderen Mitarbeiter haben nicht genau verstanden, was Sie bei uns wollten.“ Das konnte ich mir gut vorstellen! Wir vereinbarten ein erneutes Treffen einige Tage später mit ihm und dem Präsidenten von „Shenming“.

Der Mitarbeiter, der mich einige Tage zuvor im Hotel angerufen hatte, übersetzte unser Gespräch. Es war der Sohn des Präsidenten. „Wir haben 1997 einen Vertrag mit ComRoad geschlossen“, sagte der Präsident. Er sei aber 1998 ausgelaufen, „weil wir die Absatzziele wegen des hohen Preises nicht erreicht hatten.“ Es habe nur 1997 und 1998 Zahlungen an ComRoad gegeben, danach nicht mehr. Jetzt sei ein kanadisches Unternehmen Partner von „Shenming“. Das trug ich in meinen Fragebogen ein. Der Präsident ließ sich den Inhalt übersetzen, machte einige Anmerkungen, die ich einfügte, und unterzeichnete ihn dann. „Richten Sie Bodo Schnabel einen schönen Gruß von mir aus. Er soll uns mal wieder besuchen“, gab mir der Präsident zum Abschied mit. Das tat ich. Als ich Wochen später einen Brief nach Shenzhen schickte, war allerdings schon klar, dass es mit dem Besuch für längere Zeit nichts werden würde.

Als ich ComRoad nach meiner Rückkehr um Stellungnahme bat, hieß es, ich müsse „mit ernsten Konsequenzen rechnen“, wenn ich so weitermache. „Was soll denn da noch kommen?“, fragte ich zurück. „Sie haben sich doch schon bei der Chefredaktion über mich beschwert und Rechtsmittel eingelegt.“ – „Wir haben da schon noch Ideen“, war die kryptische Antwort. Ein Branchenkenner hatte mich schon zuvor gewarnt, ob ich wisse, mit wem ich mich da anlege. Der Chefredakteur bot mir an, die ComRoad-Artikel unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. Dafür war es aber zu spät, weil ComRoad ohnehin wusste, wer dahinter steckte. Sicherheitshalber begann ich ab sofort, alles um mich herum, auf den Strassen und erst recht nachts, etwas genauer zu beobachten. Menschenleere Orte vermied ich völlig.

Ende Januar 2002 schilderte ich in einem Artikel meine Rechercheergebnisse aus Asien, zweifelte die Höhe der Umsätze für 2000 und auch für 2001 an und äußerte den Verdacht, dass Bodo Schnabel eine falsche „Versicherung an Eides statt“ abgegeben hatte. Hier der Artikel: ComRoad602

Die Aktie knickte allein am Erscheinungstag des Magazins (31. Januar 2002) um 20 Prozent ein, Aktionäre beschwerten sich. Da war die Rede von Schadensersatzforderungen gegen uns, von Beziehungen, die genutzt würden, „um Ihr Blatt zur Strecke zu bringen“. Uns wurde vorgeworfen, wir wollten nur den Kurs „niederschreiben“, um selbst billig einsteigen zu können. Etliche Schreiber und Anrufer vermuteten, ich müsse persönlich etwas gegen ComRoad oder Bodo SCHNABEL haben, sei beleidigt und wolle meinen Frust abreagieren. Auch über Defizite in meinem Intimleben wurde spekuliert. Hier war nach Ansicht der Briefeschreiber „eine Journalistin aus dem Ruder gelaufen“. So hatte es auch ComRoad einige Monate zuvor formuliert und unseren Verlag gebeten, einen anderen Redakteur mit der Berichterstattung über das Unternehmen zu beauftragen.

Ich hatte, um sicherzustellen, dass endlich auch ‚offizielle Stellen‘ tätig würden, je ein Exemplar der BÖRSE ONLINE-Ausgabe mit meinem Artikel an die WP-Gesellschaft KPMG sowie an die Staatsanwaltschaft geschickt, und zwar per Einschreiben. Wenige Tage später erkundigte ich mich telefonisch, ob die Sendung auch angekommen sei und ob man meinen Artikel auch gelesen habe. In beiden Fällen lautete die Antwort „ja“. Wirtschaftsprüfer und Staatsanwälte würden nun nicht (mehr) behaupten können, sie hätten von all dem nie und nichts mitbekommen. Über KPMG wusste ich, dass die gerade ohnehin routinemäßig ComRoad „prüfen“ wollten.

ComRoad selbst blieb jetzt nur noch kurze Zeit unbehelligt. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft des Unternehmens KPMG begann jetzt selbst in Asien zu recherchieren. Sie kamen offenbar zu den gleichen Ergebnissen, wie ich sie hatte. Folge: Die Prüfer legten am 19. Februar 2002, also knapp drei Wochen nach meinem letzten Artikel „Navigation ins Nirgendwo“, offiziell ihr Mandat nieder, und zwar fristlos. Das war ein beispielloser Schritt bei einem börsennotierten Unternehmen

Der Börsenjournalist Egbert PRIOR schrieb in seinem Börsenbrief, er habe erfahren, dass bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige eingegangen sei. Auch die wesentlichen Punkte, auf denen sie basierte, teilte er seinen Lesern exklusiv mit. Kein Wunder, dass er davon als erster wusste: Er selbst hatte die Anzeige anonym gestellt. Später behauptete er, er habe den ComRoad-Skandal aufgedeckt, und ging deswegen sogar gerichtlich gegen mich und den Verlag vor, bei dem ich mein Buch über den Fall veröffentlichte. Er erwirkte eine einstweilige Verfügung und stoppte somit für mehrere Wochen die Auslieferung meines Buches. Er störte sich daran, dass es im Klappentext hieß, ich hätte den ComRoad-Skandal aufgedeckt. Die Richter entschieden aber in unserem Sinne und hoben die Verfügung auf.

Wegen PRIOR’s Anzeige musste die Staatsanwaltschaft am Landgericht München I immerhin aktiv werden. Mir hatte der Staatsanwalt zuvor erklärt: „Ein Zeitschriftenartikel ist nicht geeignet, einen Anfangsverdacht zu begründen.“

Das ist so natürlich nicht richtig. Wie Staatsanwälte von möglichen Straftaten erfahren, ist eigentlich egal. Sie müssen von sich aus tätig werden, wenn Sachverhalte bekannt werden, die einen „Anfangsverdacht“ begründen könnten, selbst wenn keine Anzeige eingegangen ist. Solche Vorermittlungen klären dann, ob ein Anfangsverdacht verbleibt oder nicht, und ob konkrete Ermittlungen aufgenommen werden müssen oder nicht.

Im März besuchten dann doch noch staatliche Ermittler das Unternehmen, führten aber nur ein mehrstündiges Gespräch mit Bodo SCHNABEL und kopierten einige Unterlagen. Einige Tage später erhielten sie Hinweise, der Firmenchef wolle sich möglicherweise ins Ausland absetzen. Jetzt wurde SCHNABEL verhaftet. Bis dahin hatte er eifrig Dokumente vernichtet. Das jedenfalls behauptete ‚sein‘ Unternehmen später.

Im Laufe des Sommers 2002 legten neu eingesetzte Wirtschaftsprüfer im Rahmen einer Sonderprüfung das ganze Desaster offen. Die Umsätze waren zum Großteil über ein Hongkonger Unternehmen verbucht worden, von dem Schnabel in der Öffentlichkeit nie erzählt hatte. Die zugehörigen Rechnungen und Unterlagen hatten er und seine Ehefrau gefälscht. Niemand der Verantwortlichen im Unternehmen oder die Wirtschaftsprüfer von KPMG hatten bemerkt, dass es die fragliche Firma überhaupt nicht gab.

Warum aber war SCHNABEL nicht rechtzeitig geflohen? Offenbar rechnete er nicht damit, dass mir der Nachweis über die erfundenen Umsätze gelingen würde. Er spielte Poker, und seine Siegeschancen standen nicht schlecht. Von Deutschland aus war ich mit meinen Recherchen nicht weit gekommen. Wenn ich nicht felsenfest davon überzeugt gewesen wäre, dass etwas gewaltig faul war, hätte ich kaum soviel Zeit und Energie in den Fall investiert. Glück hatte ich auch. Wenn ich einige Ansprechpartner nicht erreicht hätte oder sie mir keine Auskunft gegeben hätten, hätte Schnabel behaupten können, genau diese Partner seien die umsatzstarken. „Man kann ja nicht immer davon ausgehen, dass einem gleich ein Beobachter im Genick sitzt, der dann schlecht über das Unternehmen schreibt“, sagte er, als der Skandal um ComRoad ans Licht kam. Wie wahr. Diesmal hatte er aber das Spiel verloren.

 

Das (vorläufige) Ende dieser Geschichte sei kurz skizziert:

Der Strafprozes begann im November. Zunächst gestand SCHNABEL’s Ehefrau, beim Türken, Fälschen und Betrügen geholfen zu haben. Bodo SCHNABEL reagierte erst, als der Vorsitzende Richter am LG I ihm das Angebot machte, er müsse maximal mit 7 Jahren Freihheitsentzug rechnen, wenn er noch am gleichen Tage ein Geständnis ablegen würde. Jetzt gestand auch der ComRoad-Macher, dass alle Vorwürfe zutreffend seien.

Bodo SCHNABEL wurde am 21. November 2002 wegen a) Kursbetrugs, b) Insiderhandels und c) Betrugs rechtskräftig verurteilt und sitzt seither für 7 Jahre im Gefängnis. Seine Ehefrau bekam als Komplizin „wegen Beihilfe“ nur 2 Jahre „Haft auf Bewährung“.

Dieser Teil der Geschichte endete damit genau drei Jahre später, nachdem ich im November 1999, fast auf den Tag genau, zum ersten Male in der „SZ“ über Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten bei ComRoad geschrieben hatte.

Es war eine zähe Recherche. Dinge nachzuweisen, die andere künstlich fälschen und die selbst im Normalfall durch das „Geschäftsgeheimnis“ und viele andere Barrieren vor anderen berechtigten Interessen geschützt sind, ist ausgesprochen schwierig. Hartnäckigkeit und Geduld sind dabei unverzichtbar. Und noch besser ist es, wenn man Rückendeckung erhält. In meinem Fall vom Chefredakteur und vom Verlag, die beide wissen, dass Recherchieren aufwändig ist, dass ständiges Nachfragen, Nachhaken und gegebenenfalls auch In-Augenschein-Nehmen, egal wohin eine solche Reise geht, Zeit und Geld kosten.

Dafür gibt es in diesem Fall konkrete Ergebnisse: Der ‚Schurke‘ muss büßen. Und die Kontrolleurin, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, hat sich (mal wieder erneut erbärmlich) blamiert und deutlich gemacht, dass auch diese Art von Kontrolle wenig effektiv ist, solange offiziell bestätigte Wirtschaftsprüfer nicht das machen, was Journalisten tun (sollen): genauer hinschauen.

Die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende. Wer wissen will, wie sie weitergeht, kann das über den nächsten Link machen. Dort geht es jetzt um die betrogenen Anleger. Die hatten sich zwar die ganze Zeit nicht für die vielen Hinweise auf Merkwürdigkeiten interessiert, die ich mühevoll recherchiert hatte, sondern mich statt dessen beschimpft. Kaum war das ganze Desaster offenkundig, betrachteten sie sich von heute auf morgen als betrogene Opfer. Von Einsicht in die eigene Kurzsichtigkeit war wenig zu spüren. Statt dessen: lautes Gejammere über die eigenen Verluste.

(Anmerkung: Ich habe allerdings ein gewisses Verständnis für das Verhalten der Aktionäre: Eine Journalistin, die noch nicht einmal eine ausgewiesene Telematik-Expertin war, zweifelt die testierten Jahresabschlüsse an, ohne Einblick in die Bücher zu haben, während sich der ‚renommierte‘ Wirtschaftsprüfer von KPMG, der Einblick in die Bücher hatte, öffentlich hinter das Unternehmen stellte und die Vorwürfe dementierte.

Trotzdem: Irgendwann sollten die Menschen, also auch Aktionäre, begreifen, dass auch die Medien – auf Grund der geltenden Gesetze – immer nur das berichten dürfen, was sie auch ‚handfest‘ machen können, dass also präsentierte Fakten Hand & Fuß haben müssen. Und: Über die Zuverlässigkeit von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben wir in den letzten Jahren ja genügend an Hand von vielen und konkreten (Pleite-)Beispielen erfahren.)

 

Und so ging die Affäre weiter. Bzw. aus: Beraubte Aktionäre – Der Staat reißt sich die Beute unter die Nägel

Für die geschädigten Aktionäre sah es zunächst ganz gut aus. Sowohl die ComRoad AG als auch Bodo SCHNABEL besaßen Wertpapiere und Bargeld – Wert etwa 30 Millionen Euro. In ähnlicher Höhe hatte SCHNABEL von Aktienverkäufen persönlich profitiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Skandalfällen hatten die Anleger hier eine Chance, zumindest einen Teil ihres Schadens ersetzt zu bekommen. Doch der Staat warf ihnen einen Knüppel zwischen die Beine.

Der Pferdefuß im Urteil gegen das Ehepaar Schnabel war auf den ersten Blick nicht erkennbar: Mit der Urteilsverkündung vom 21. November 2002 verfügte der Richter gleichzeitig einen so genannten Verfall der auf ‚krummen Wegen‘ realisierten Vermögensvorteile (§§ 73 I bis III, 73a StGB). Bedeutete: Gut 20 Millionen Euro aus dem Vermögen der Familie Schnabel wurden dem Staat übereignet. Wer einen Schaden habe, könne sich an ComRoad halten, führte der Richter aus. Dem Unternehmen sei es wiederum möglich, die SCHNABEL‘s in Anspruch zu nehmen, falls die Anleger die ComRoad auf Schadensersatz in Anspruch nehmen wollten. „Durch dieses Vorgehen ist gesichert, dass Ansprüche trotz bestehenden Verfalls befriedigt werden können und ebenso dem Täter nicht die Früchte seiner Straftaten erhalten bleiben“, erklärte der Richter. Das klang nach einer fairen Lösung.

Mir fiel das breite Grinsen des zuständigen Staatsanwalts auf, als er nach Prozessende vor das Mikrofon eines Rundfunkjournalisten trat. Er hob die Millionen für die Staatskasse als besonderen Erfolg hervor. Die Freude über den Geldregen war nachvollziehbar, denn ähnliche Fälle im Jahr 2002 hatten dem Freistaat Bayern weniger als eine Million Euro zusätzlich in die Kassen gespült. Ich dachte mir, dass sich die Strafverfolger wohl auch sehr sicher waren, nichts von der Beute mit den Anlegern teilen zu müssen.

Ein Anlegeranwalt erklärte mir den Haken an der gerichtlichen Regelung. ComRoad hatte nur Zugriff auf den Teil, den sich das Unternehmen vorrangig, also zeitlich vor der Staatsanwaltschaft, im Rahmen eines so genannten Arrest-Antrages gesichert hatte. Das betraf aber weniger als drei Millionen von den 20 Millionen Euro. Der Staat war somit der große Nutznießer dieses Skandals.

Auf der anderen Seite war die Wut der Geprellten verständlich. Schließlich stammte das Geld der Schnabels indirekt von ihnen, und nun kassierte der Staat den Löwenanteil. Sie konnten nur noch versuchen, ihre Ansprüche im Rahmen eines Nachverfahrens anzumelden. Die Zeit drängte. Die Frist dafür lief einen Monat nach der Urteilsverkündung ab. In dieser Zeit lag ihnen noch nicht einmal die schriftliche Urteilsbegründung vor.

Ich telefonierte mir die Finger wund, fand aber keinen Juristen, der mir genau erklären konnte, wie das funktionierte. Denn bei geschädigten Anlegern war das Verfahren noch nie angewendet worden. Der Staatsanwalt räumte ihnen daher nur geringe Erfolgschancen ein. Für sie sei das Verfahren nicht gedacht, erklärte er mir, und in Deutschland habe noch nie ein Aktionär rechtskräftig Schadensersatz zugesprochen bekommen. Im Sinne des Gesetzes gab es daher für ihn und den Richter auch im Fall ComRoad keine „Geschädigten“. (Ein Verfall kann nur angeordnet werden, wenn es keine Geschädigten gibt.) Tatsächlich wies das Gericht alle Anträge ab.

Einige Kläger reichten dagegen Beschwerde beim Oberlandesgericht ein. Bevor es zu einer Entscheidung kam, sprach ein anderes Landgericht einem einzelnen Aktionär einen individuellen Schadensersatz gegen Bodo SCHNABEL zu. Damit konnte eigentlich niemand mehr behaupten, dass es „keine Geschädigten“ gäbe. Logischerweise müsste damit der Verfall des Vermögens an den Staat aufgehoben werden. (Die Entscheidung des OLG lag noch nicht vor, als dieser Text erstellt wurde.) Es wäre ein Sieg mit einem Wermutstropfen: Der Großteil des Vermögens ginge an die ComRoad AG über, die sich entsprechende Vorrechte gesichert hatte. Darauf hätten dann die Aktionäre Zugriff, wenn ihnen ein Gericht rechtskräftig Schadensersatz zusprechen würde.

Doch die Freude der Staatsanwaltschaft erwies sich als voreilig. Eine spezielle Formulierung im Strafprozessurteil bereitete ihr in der Folgezeit viel Ärger: Der verurteilte und inhaftierte Betrüger hatte nämlich weiterhin das Sagen bei der ComRoad AG und bestimmte damit über die Verwendung der Millionen, die das Unternehmen durch seine Straftaten eingesackt hatte. Bodo SCHNABEL hielt zum Zeitpunkt seiner Verurteilung mehr als ein Drittel der Anteile, gemeinsam mit seiner Frau kam er auf mehr als die Hälfte der Aktien. Bei der Berechnung des Vermögens, das „verfallen“ sollte, hatten die Richter vor allem eben diese ComRoad-Aktien von SCHNABEL angesetzt.

Wenn nun die Papiere in das Vermögen eingerechnet wurden, das dem Staat verfiel, dann bedeutete dies, dass der Freistaat Bayern Eigentümer dieser Papiere geworden war. Zuständig war der Leitende Oberstaatsanwalt, also vertrat er nun den Staat als Großaktionär. So einfach sei das nicht, sagte er mir, als ich ihn darauf ansprach. Verfallen sei nur der Wert der Aktien, nicht aber die Aktien selbst. Daher sei nicht klar, ob das Eigentum bereits übergegangen sei. Na und? Wenn das bei einem Luxuswagen der Fall war, kam die Polizei, nahm ihn mit, der Schlitten wurde verkauft und der Erlös floss in die Staatskasse. Fahren durfte der Verurteilte nicht mehr damit. Bei den Aktien ist das noch einfacher. Man konnte sie vor einem Verkauf sogar in Schnabels Depot liegen lassen und trotzdem dem Staat zurechnen.

Aber wer durfte nun die Stimmrechte ausüben? Logischerweise die Staatsanwaltschaft, oder gar niemand, solange die Frage ungeklärt war, dachte ich. Juristen begannen, darüber zu grübeln. Die Staatsanwaltschaft zuckte zurück. Sie betrachte die Aktien nur als „verpfändet“, richtete sie über die ComRoad AG aus. Sie ließ Bodo SCHNABEL die Stimmrechte und der hatte damit das Sagen über das Unternehmen. Hätte sie sich erfolgreich um die Stimmrechte bemüht, dann hätte sie dem Treiben bei ComRoad Einhalt gebieten können. Aber es war ja nur das Geld der Aktionäre, das in Strömen aus dem Unternehmen herauszufließen begann …

Befürchtete die Staatsanwaltschaft da keine Amtshaftungsklage? Als ich den zuständigen Staatsanwalt daraufhin ansprach, zuckte er zusammen.

 

Schon wieder falsche Zahlen: ComRoad bleibt ein Schlaraffenland für Abzocker

Millionen, auf die niemand richtig aufpasst, üben eine magische Anziehungskraft auf viele aus. Der Name ComRoad war in der Wirtschaftswelt verbrannt. Die vernünftigste Lösung wäre es gewesen, das operative Geschäft einzustellen und sich nur noch um die Verwaltung des übrig gebliebenen Geldes inklusive der Schadensersatzzahlungen an Aktionäre zu kümmern. Doch die Führungsriege von ComRoad hatte andere Pläne mit den 20 Millionen Euro an liquiden Mitteln, über die das Unternehmen Ende 2002 noch verfügte.

Nach der Absetzung SCHNABELS führte Hartmut SCHWAMM das Unternehmen allein. Er gehörte dem Vorstand seit dem Börsengang an, und zwar Seite an Seite mit Bodo SCHNABEL. Seit Jahrzehnten arbeitete er mit ihm zusammen und war schon zuvor in merkwürdige Transaktionen verwickelt gewesen. Er behauptete aber, nichts von den jahrelangen, massiven Betrügereien bemerkt zu haben. Das ließ, bei freundlicher Auslegung, auf eine gewisse Blindheit in Geschäftsdingen schließen.

Wer tatsächlich einen Neuanfang für das Unternehmen anstrebte, musste daher den Kopf des Unternehmens auswechseln. Als im Laufe des Jahres 2002 ein neuer Aufsichtsrat ins Amt kam, der SCHWAMM allein am Ruder ließ, schwante mir, dass ComRoad zum Wirtstier für einige Interessenten umgestaltet werden sollte.

Eine erste Spur dafür entdeckte ich im Februar 2003. Per Pflichtmitteilung gab die ComRoad AG bekannt, sie lagere „auf Grund der Ereignisse in der Vergangenheit“ ihren Vertrieb auf eine 100-prozentige Tochtergesellschaft aus, der das Unternehmen im Jahr 2003 insgesamt 1,7 Millionen Euro zur Verfügung stelle. Ich rief an und wollte den Namen und den Geschäftsführer der Vertriebstochter wissen. Vorstand Hartmut SCHWAMM ließ mir ausrichten, der Name werde erst auf der Hauptversammlung bekanntgegeben, damit alle Aktionäre gleichzeitig informiert würden. Aber wie, bitteschön, sollten dann Kunden das neue Unternehmen finden, wenn der Name bis dahin geheim war? Das Muster kannte ich doch schon!

Anfang Mai 2003 entdeckte ich den Namen in der Einladung zur Hauptversammlung: „Phoenix“. Mein nächster Weg führte mich ins Handelsregister. Die Vertriebstochter war so neu, dass es noch gar keine Akte zur Einsicht gab. Nur der Name und die Adresse waren schon im Computer verzeichnet. Die Anschrift kannte ich: Es war die gleiche wie die der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „Rödl & Partner“, die eine Sonderprüfung bei ComRoad durchgeführt hatte und daher den ganzen Laden und seine Vermögensverhältnisse in- und auswendig kannte. Ich sprang in die U-Bahn und fuhr aufs Geratewohl hin. Tatsächlich: Die neue ComRoad-Vertriebstochter „Phoenix“ hatte ihren Sitz in den Büroräumen von „Rödl & Partner“.

 

Die folgende Textpassage, in der die Journalistin schildert, welche Überraschungen a) vor Ort und b) anschließend im Handelsregister auf sie warten, haben wir am 19.3.2006 an dieser Stelle aus dem Netz genommen. Grund ist das nachhaltige Begehren der Münchner Rechtsanwaltskanzlei SCHWARZ – KELWING – WICKE – WESTPFAHL im Auftrag jener Firma, auf die die Journalistin bei dieser Vor-Ort-Recherche ebenfalls gestoßen war. Die Anwaltskanzlei droht andernfalls mit Gericht und Prozess, ist aber nicht bereit, uns vorher die Tatsachen zu benennen, die angeblich nicht korrekt sein sollen.

Da Gerichtsverfahren, in denen es potenziell um Schadensersatz gehen könnte, von Anwälten gerne mit hohen Streitwerten versehen werden (das Honorar steigt mit der Streitwerthöhe), ist es uns nicht möglich, da finanziell mitzuhalten.

Lesen Sie dazu den Brief, den wir am 19.3. an die Anwaltskanzlei geschrieben haben: 

Der Streichung zum Opfer fiel auch ein Artikel von Renate DAUM, der in „BÖRSE ONLINE“ Nr. 20 v. 8.5.2003 veröffentlicht worden war – auch hier tauchte der Name der fraglichen Firma auf, die trotz personeller Über-Kreuz-Beziehungen mit ComRoad laut Anwaltskanzlei „keine Verbindungen“ zur ComRoad hatte.

Der Umstand, dass die fragliche Firma ein Jahr später, 2004, immerhin 150.000 Euro an Beratungshonoraren und nochmals ein Jahr später (2005) 125.000 Euro von ComRoad kassiert hatte, fällt für die Anwaltskanzlei ganz offenbar ebenfalls unter den Tatbestand „keine Verbindungen“.

Egal wie: der „BÖRSE ONLINE“-Bericht endete jedenfalls mit folgendem Schluß:

Allein für Rechts-, Beratungs- und Prüfungskosten fielen bei ComRoad rund 2,6 Mio Euro an. Unbekannt ist, was davon direkt oder indirekt an Aufsichtsräte floss. Sie legen Honorare nicht offen. Es dürfte mehr als die Aufsichtsratvergütung sein.

Auf der HV besteht nun die Gefahr, dass „Plünderer“ die Mehrheit übernehmen. Das wäre bei der reichen Firma leicht, falls das Land Bayern die Stimmrechtsanteile für einen 37-Prozent-Anteil nicht ausübt (siehe Heft 18/2003).

R.D.

Ab hier geht nun die unbeanstandete Rechercherekonstruktion im Original weiter:

 

Breitschultrige Personenschützer mit finsteren Mienen bewahrten die besagten Personen auf der Hauptversammlung von ComRoad einen Monat später zwar vor physischen Angriffen aufgebrachter Aktionäre, unangenehme Fragen prasselten aber trotzdem auf sie nieder. Die Antworten machten deutlich, wie schamlos sich Vorstand und Aufsichtsräte selbstbedienten. Das Jahresgehalt des glücklosen Vorstands SCHWAMM wurde auf runde 200 000 Euro in etwa verdoppelt – aus Ausgleich „wegen der heftigen Angriffe durch die Öffentlichkeit“, erläuterte Aufsichtsratschef WALK. Ungläubiges Lachen unter den Aktionären. „Wenn ich Herrn Schwamm jetzt noch fünf Minuten beschimpfe, verdient er dann noch mehr Geld?“, fragte einer sarkastisch.

SCHWAMM geriet aus dem Konzept, als die Aktionäre bemerkten, dass ihnen schon wieder falsche Zahlen untergejubelt worden waren. „Aus Versehen“ seien vorläufige Zahlen veröffentlicht worden, sagte SCHWAMM. Immer wieder reichte Aufsichtsrat Manfred BRAß Zettel herum. Aus seiner Mimik und Gestik wurde deutlich, dass in Wirklichkeit er die Richtung vorgab. Für „Beratung“ hatte er bis dahin schon eine Viertelmillion Euro von ComRoad erhalten, unglaubliche 25 000 Euro im Monat. Aufsichtsratschef Achim WALK erhielt für seine Tätigkeit von Juni bis Dezember 2002 insgesamt 50 000 Euro und Aufträge über 14 000 Euro. Dafür hatte ComRoad eifrig Mitarbeiter abgebaut. SCHWAMM wusste nicht einmal genau, wieviele übriggeblieben waren („etwa zehn“), seine im Unternehmen angestellte Ehefrau hatte jedenfalls alle Kürzungsrunden überstanden.

Das neue Geschäftskonzept dagegen war dürftig. Zwei Drittel der künftigen Umsätze sollte der Bereich „Mobile Commerce“ liefern, also zum Beispiel tragbare Geräte zur Warenbestellung. Das war aber eigentlich gar nicht möglich. Auf einem Messebesuch einige Wochen zuvor hatte ich erfahren, dass die für dieses Geschäftsfeld zuständige Tochter „T&T Netcom“ verkauft worden war. Im Lagebericht zum Jahresabschluss war davon aber nichts zu lesen, obwohl „T&T“ seit Jahren mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes beisteuerte. Auf der Hauptversammlung hatte dies die ComRoad-Spitze erst auf mehrfache Nachfrage eingeräumt. Das sei „nicht wesentlich“ befand SCHWAMM. Wer wem dafür wieviel Geld für den Verkauf gezahlt hatte, rückte er nicht heraus. Mir war jedenfalls aufgefallen, dass die ehemals klamme „T&T“ plötzlich mit einem ungewöhnlich großen Messestand auftrat.

Das Geschäftsgebahren von ComRoad schrie zum Himmel. Doch die Aktionäre mussten ohnmächtig zusehen, weil die Staatsanwaltschaft dem im Gefängnis wegen Betruges einsitzenden Bodo SCHNABEL dessen Stimmrechte ausüben ließ. Seine Stimmrechtsvertreter segneten alle Vorschläge seines Nachfolgers SCHWAMM ab.

ComRoad wird also weiter wursteln wie bisher, bis die Millionen endgültig verbraten sind. So lange will ich den Fall weiter begleiten. ComRoad ist eigentlich ein selten einfacher Fall: Die Betrügereien waren eindeutig belegbar, das Unternehmen ist verhältnismäßig klein und die Zahl der handelnden Personen überschaubar. Aber selbst damit scheint das deutsche Rechts- und Justizsystem überfordert zu sein. Wie muss das dann erst bei komplizierten Fällen der Wirtschaftskriminalität sein?