3.5.2.1 – Fallbeispiel: Seilschaften, Filz & Chuzpe über 20 Jahre

Relevante Suchkriterien: Sensibilität und Hartnäckigkeit

Fallbeispiel ‚Seilschaften, Filz & Chuzpe über 20 Jahre‘

Die folgende Geschichte in mehreren Akten soll die Bedeutung journalistischer Langzeitbeobachtung dokumentieren. Filz und Ignoranz können sich nämlich nur dann durchsetzen und überleben, wenn genau dies nicht geschieht: der regelmäßige Blick auf die Zusammenhänge.

Publizistischer Wettbewerb unter den Medien, darüber sind sich alle Korruptionsforscher und Kommunikationswissenschaftler einig, erhöht die Chance, dass schräge Dinge ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Allerdings bleibt die Aufmachung mediengerechter Details meist nur auf das Vordergründige beschränkt. Hintergründige Zusammenhänge werden selten aufgehellt. So kann sich die Politik nicht nur auf des Volkes “Vergessensrate“, sondern auch auf die – meist auf Tagesaktualität gerichtete – Tagespresse verlassen: Wer einen politisch und/oder ökonomisch langen Atem hat, kann so gut wie alles aussitzen.

Berlin gibt ein treffendes Beispiel ab, sowohl für die mediale Landschaft als auch für die politische Chuzpe, “aussitzen“ mit Hilfe der Presse über 15 Jahre durchzuhalten – mit Folgen für die Höhe der Mieten, aber auch den Berliner Landeshaushalt. Im Mittelpunkt steht die Person eines Mannes, der, weil er auf Grund gewisser „dienstlicher“ Aktivitäten unmittelbar nach Kriegsende als „vorbelastet“ galt, nicht seinen ureigenen politischen Neigungen im Innen-und im Verfassungsausschuss des Berliner Abgeodnetenhauses frönen und in diesen Be-reichen reüssieren konnte. Er wechselte die ‚Branche‘, ging in den Bauausschuss und wurde dessen Vorsitzender. Von dort aus machte er dann Karriere – ein dramatisch-komisches Stück in mehreren großen, hier aber stark verkürzten Akten .

1. Akt
Rückblende ins Jahr 1979, als die größte Abozeitung Berlins, die “Berliner Morgenpost“ (“MoPo“) aus dem Hause Axel Springer, pünktlich, sprich unmittelbar vor der kommunalen Landtagswahl (Stadtstaat, Abgeordnetenhaus = Landesparlament), eine Attacke gegen die re-gierende SPD ritt: Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft DeGeWo habe Aufträge an einen einst pleite gegangenen und betrügerischen Unternehmer, zugleich SPD-Mitglied, Aufträge erteilt – mit Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters.

Es ist dieselbe Phase, als eben jener gerade oben erwähnte Bau-ausschussvorsitzende – er ist Mitglied der CDU und sein Name Klaus FRANKE – mitten in der heißen Phase des Kommunalwahlkampfs einen Hinweis eines Parteifreundes aufgreift, der der regierenden SPD mächtig schaden könnte: Ein enger Mitarbeiter des SPD-Bausenators sei zu einem besonders schönen Grundstück und zu diesem auch noch weit unter Verkehrswert gekommen, das eigentlich für ganz andere Zwecke bestimmt war – mithilfe einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft, deren Aufsichtsratsvorsitzender just ein Untergebener des grundstücksbegünstigten Bausenatorvertrauten war .

Der Hinweis bleibt ohne Folgen, selbst als die Hinweise konkreter werden, und der Wahlkampf geht ruhig zu Ende – die SPD kann mithilfe der FDP gerade noch einmal regieren. Danach geschieht in zeitlicher Abfolge gesehen dies:

  1. Der Bauausschußvorsitzende K.F. wird, nachdem die CDU die Wahl verloren hatte, Chef der landeseigenen DeGeWo, auf deren Verfilzung sich die CDU-nahe Tageszeitung vor der Wahl eingeschossen hatte. Unbehagen in der CDU macht sich breit. Auch deswegen, weil Klaus FRANKE die ebenfalls noch vor der Wahl geplante Besetzung eben dieses Postens mit einem altgedienten SPD-Mann öffentlich angeprangert hatte. Nun sitzt er selbst auf diesem Sessel.
  2. Derjenige, der ihn auf diesen Sessel hievt, der Vorsitzende der Bewerbungskommission, ist der SPD-Bausenatorvertraute mit dem schönen Grundstück: Die Berufung zum neuen DeGeWo-Chef ereilt Klaus FRANKE einen Tag vor seinem Geburtstag.

Als “vollendeten Blödsinn“ bezeichnet es der frisch gekürte De-GeWo-Chef Klaus FRANKE, seine Berufung mit einem möglichen Stillhalten in der Grundstücksaffäre in Zusammenhang bringen zu wollen. Als solche Informationen ein Jahr später handfester werden, wird ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt. Auf der Tagesordnung steht nur die Grundstücksarie. Und auch die wird ohne Konsequenzen bleiben – denn 1981 stürzt der SPD-FDP-Senat über die sog. Garski-Affäre endgültig ab.

Konsequenzen, aber nur einige, wird Klaus FRANKE’s kaufmännisches Meisterstück aus dem Jahre 1982 zeitigen. Der seinerzeitige Unmut der CDU über dessen Berufung durch die SPD betraf auch ein wenig dessen Qualifikation, über die sich z.B. der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende nie konkret, sondern immer nur sybillinisch äußern wollte, nämlich dergestalt, daß die Findungskommission wohl “den Besten“ ausgesucht habe.

Für seinen Job als “kaufmännischer Direktor“ findet der “Frühstücksdirektor“ (DeGeWo-Mitarbeiter) FRANKE nur halbtags Zeit: Verpflichtungen als Mitglied nunmehr im Hauptausschuss, im Präsidium und Ältestenrat des Berliner Abgeordnetenhauses und zuguterletzt auch noch als dessen stellvertretender Präsident nehmen intellektuelle Aufmerksamkeit und zeitliche Kapazitäten gebührend in An-spruch. Und was Klaus FRANKE später als “gutes Geschäft“ bezeichnen wird, ist tatsächlich das Dümmste, was man nur machen konnte:

2.Akt
In Berlin-Wilmersdorf besitzt die DeGeWo 1981/82 mit der berühmt-berüchtigten Autobahnüberbauung “Schlangenbader Straße“ einen riesigen Komplex mit Sozialbauwohnungen, dem auf der einen Seite eine sog. Randbebauung mit über 500 Wohnungen vorgelagert ist. Diese Anlage gehört nicht der DeGeWo, sondern ist Eigentum einer Abschreibungsgesellschaft, die daran aber kein Interesse mehr hat: das Objekt war “steuerlich ausgelutscht“. Die steuersparenden Kapitalanleger wollen das Ding loswerden. An einer “Arrondierung“ hat Klaus FRANKES DeGeWo Interesse. FRANKE bietet einen sehr hohen Kaufpreis: 82 Millionen, weil die Steuersparer 87 Mil-lionen “investiert“ hätten. Dies bestätige im übrigen ein Gutachten eines unabhängigen Steuerberatungsbüros. Dass eben jenes Büro sonst für die Abschreibungsgesellschaft tätig ist, die die Randbebauung loswerden möchte, stört Klaus FRANKE nicht im geringsten.

Die Mitarbeiter als auch der Auf-sichtsrat jedoch sind entsetzt: Das Ding sei höchstens 65 Mill. wert, von denen weitere 5 Millionen abzuziehen wären, da die Steuersparer die Instandsetzung der Wohnungen gar arg vernachlässigt hätten. Ein Senatsfachmann ermittelt zur selben Zeit einen Wert von rd. 48 Millionen.

FRANKE indes verzichtet auf alle guten Ratschläge und jegliche Belehrung, auch jene seitens eines Experten aus dem eigenen Lobbyistenverband, der da erklärt: “Der Wert eines Mietwohngrundstücks für den potentiellen Käufer wird nicht durch den Betrag bestimmt, der zu seiner Herstellung aufgewendet wurde, sondern durch die nachhaltige Ertragskraft des Objekts.“ Konkret dürften die Wohnungen in ihrem derzeitigen Zustand auf keinen Fall mehr als 65-70 Millionen kosten.

Langer Schreibe knapper Sinn: Im Hin und Her zwischen Käufer und Verkäufer, zwischen DeGeWo und parlamentarischen Hauptausschuss, der in einer eigens dazu anberaumten “nicht-öffentlichen“ Sitzung der DeGeWo rd. 33 Millionen DM an “Eigenkapital“ bewilligen musste, wofür sich wiederum das Ausschußmitglied namens Klaus FRANKE besonders ins Zeug zu legen wusste, wurde letztendlich ein Kaufpreis von 68 Mill. ausgedealt – angeblich auch ohne Maklerkosten. Allerdings, vollständig ist die Kaufsumme nicht: Zu dem pauschalen Preis addieren sich weitere knapp 13 Millionen, die als sog. Aufwendungsdarlehen den Aufwand erhöhen, nämlich öffentliche Kredite, die zurückgezahlt werden müssen. Die Abschreibungsgesellschaft ihrerseits verbucht den Verkaufspreis korrekt: knapp 81 Millionen.

Den völlig überhöhten Gesamtkaufpreis empfindet Klaus FRANKE jedenfalls als “gutes Geschäft“ und so ist es kein Wunder, dass in seine Amtszeit bei der staatlichen DeGeWo weitere Sternstunden fallen. So drückt der DeGeWo-Direktor, von Tuten & Blasen keine Ahnung, z.B. einem größeren Bauvorhaben – Einfamilienhäusern in einer “Gartenstadt“ – Betonfertigteile auf – ein Unterfangen, was auf Jahre hinaus Gutachter, Rechtsanwälte und Gerichte sowie die jungen Familien leidvoll beschäftigen wird, die sich über die DeGeWo den Traum von den eigenen vier Wänden realisieren wollten . Was den eigenen, sprich landeseigenen Grundstücksbestand anbelangt, so verscherbelt FRANKE diesen an Berlins größten Bauträger, mit dem er höchstselbst befreundet ist: Der Private gründet damit Abschreibungsfonds, verdient viel Geld mit Provisionen und beim Bauen und verpachtet nach getaner Arbeit die fertiggestellten Wohnungen an die DeGeWo zurück. Mit Hausverwaltung läßt sich allerdings nicht viel Geld verdienen und irgendwann kann man dann selbst überhaupt nicht mehr bauen. Aus Protest gegen diese Wohnungs- und Geschäftspolitik tritt jetzt sogar der langjährige Vorsitzende des Verbandes der Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zurück .

3.Akt
Dies alles qualifiziert Klaus FRANKE (O-Ton: “Ich hatte die Absicht, Bausenator zu werden“) zu höheren Weihen. Im Herbst 1983 ist es soweit: Ber-lins größter Bauträger, die Klingbeil-Gruppe (heute unter dem Namen “Trigon“ aktiv) jubiliert: “Heute sind wir Bausenator geworden!“ . Im Kampf um die Marktanteile bei den immer knapper werdenden Subventionen aus den öffentlichen Töpfen schneidet ab nun der große Bauträger besonders gut ab. Auf die Frage des damaligen SPD-Oppositionsführers, Walter Momper, nach den Gründen für die “besondere Fürsorge“ des Bausenators, hat dieser die passende Antwort parat: “Der Tüchtige hat die Nase vorn“. Und was für jeden anderen undenkbar, ist für die Klingbeil-Gruppe kein Problem: Entgegen allen Vorschriften der Bauordnung und über alle Köpfe der Bezirkspolitiker hinweg kann die Klingbeil-Gruppe immer und alles so bauen, wo und wie sie möchte.

Dummerweise wird diese Harmonie zwischen Politik und privater Wirtschaft bereits nach einem Jahr, 1984, von Presse-Veröffentlichungen gestört: Klaus FRANKE habe beim Kauf der sog. Randbebauung in der Schlangenbader Straße nicht nur einen weit überhöhten Kaufpreis gezahlt, sondern es seien auch üppige Maklerprovisionen in Millionenhöhe geflossen, u.a. an einen alten Bekannten von ihm, Hans-Joachim PRILL. Weiterhin habe der Bausenator von einem anderen Baulöwen ein Eigenheim erhalten – in der Schweiz und ohne im Grundbuch zu stehen (vgl. Kapitel 3.3.4 im Buch). Sowohl in den Grundakten als im Telefonbuch sei nur der Name des Bauingenieurs zu finden.

Diese Details weiten sich zu einer handfesten Affäre aus, über die mal wieder ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss befinden soll, der allerdings in die Phase des Wahlkampfes fällt. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, den die regierende CDU-Fraktion stellt, kann an vielem Interesse haben, nur an einem nicht: peinlichen und wahlkampfwirksamen Verstrickungen von FRANKE und anderen. Genauso fallen Arbeit und Untersuchungsbericht aus. Die politische Regie für letzteren wird folgendermaßen inszeniert: Nachdem CDU und FDP die Wahlen gewonnen haben, wird für den 17. April 1985, 10 Uhr MEZ, die Eröffnung des neuen Abgeordnetenhauses anberaumt. Nur 1 (!) Stunde zuvor, 9 Uhr, haben Medien und interessierte Öffentlichkeit Gelegenheit, Fragen zu den Ergebnissen loszuwerden. Ansonsten gehört dieser Bericht über Klaus FRANKE zu dieser (Uhr)Zeit längst der Vergangenheit einer abgelaufenen Legislaturperiode an.

Um keinen politischen Schuldspruch zu fällen, muss Klaus FRANKE (“dumm oder korrupt“, so ein kritisches FDP-Mitglied) wieder zum Senator gewählt werden. Das klappt, mit einer Stimme Mehrheit zwar nur, aber immerhin. Seinen Job verliert er erst ein Jahr später, als neue Details und Mutmaßungen über geflossene Provisionen und Kontobewegungen parallel zu den Wirren der plötzlich bekannt werdenden Bauskandale 1986 Berlins Regierenden Bürgermeister Eberhard DIEPGEN zu einer Regierungsumbildung zwingen.

4.Akt
Inzwischen hat sich der Rechnungshof mit dem seinerzeitigen Rand-bebauungsdeal befasst. Die Einschätzung der Prüfer fällt ver-nichtend in der Sache, aber höflich umschreibend im Tonfall aus: Aus dem “guten Geschäft“ (Klaus FRANKE) entstehen längst “Fehlbeträge“. Konkret: “Im Ergebnis wird die DeGeWo von 1987 an jährlich fortlaufend rund 5 bis 6 v.H. des bei der Randbebauung eingesetzten Eigenkapitals verlieren“ – jährlich rund 1,4 Millionen DM. Ein daraufhin vom Senat beauftragtes und unter Verschluß gehaltenes Rechtsgutachten zur Frage der Haftung bestätigte: “Die Gesellschaft hat als Folge des Verhaltens des Vorstandsmitgliedes Franke einen Schaden erlitten.“ Konsequenzen hat dies nicht, denn der Senat bestellt nun ein Gutachten zum Gutachten, das nunmehr ein Rechtsanwalt anfertigt, der gleichzeitig als Notar für die DeGeWo Honorare verdient. Dessen rechtliche Einschätzung: Schadensersatzforderungen könnten rechtlich nicht durchgesetzt werden.

5. und letzter Akt
Die Berliner Medien begleiten diesen Fall immer nur punktuell, und wenn, dann nie im größeren Zusammenhang: Die Kontinuität von ‚Qualifikation‘ und politischer Chuzpe kommt nie zur Sprache. Günstige Voraussetzungen für Klaus FRANKE, nach dem Fall der Mauer, erneut aufzusteigen. Das politische Stehaufmännchen wird 1990 “Wirtschaftsdezernent“ in Frankfurt/Oder, und welch ein Zufall, ist dort auch die Berliner Klingbeil-Gruppe beim “Wiederaufbau“ aktiv. In Frankfurt/Oder kennt man die wohnungspolitische Vorgeschichte des rührigen Dezernenten nicht, und auch die neuen CDU-Mitglieder aus dem anderen Teil der ehemals abgetrennten Stadt interessieren sich für alles, nur nicht für Vergangenheit – weder für ihre eigene noch die ihrer Wessi-Fraktionskollegen.

Zwar haben die Berliner Pressehäuser angesichts der neuen publizistischen Aufgabenfülle ihre Redaktionsstuben mit frischem und jungem Blut aufgefüllt. Doch die umfangreiche Hauptstadtberichterstattung macht einen neuen Geist erforderlich – Zukunftsvisionen sind gefragt, nicht kleinliche Leichenfledderei. Die publizistische Aufbruchstimmung lässt viele verkennen, dass Unfähigkeit heute die Fehlentwicklungen von morgen gebiert. So kann der Mann, der nachweislich mit Geld nicht umgehen kann, 1990 schnell ein neues Betätigungsfeld auch im heimischen Berlin ausmachen, bei dem es um noch gigantischere Geldmassen als bei der DeGeWo geht: im Berliner Landtag als Vorsitzender des Haushaltsausschusses.