Fallbeispiel 1: „Eine ganz normale Recherche“. Von Leo MÜLLER
(Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus dem Buch von Thomas LEIF (1998) (Hg.): Leidenschaft Recherche. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 57-66)
Die Aufgabe schien leicht und schnell lösbar. Der Fall versprach die Stoff-Mischung von Crime und Prominenz, die den Redaktionen gefällt. Eine Geschichte, wie sie flott recherchiert und schnell ins Blatt “gehoben“ werden kann. Ein “Schnäppchen“ für den sparsamen Journalismus. Ein Fall für das Münchener Nachrichtenmagazin, das mit “Fakten, Fakten, Fakten“ um seine Leser wirbt. Die “Focus“-Rechercheure hatten die Schlachtordnung rasch zurechtgelegt. Die Münchener Magazin-Macher publizierten seit 1997 insgesamt drei Stories über den Fall. Das las sich so: Opfer eines riesigen Anlagebetruges, der sich in der Münchener Schickeria abspielte, war der Millionen-Erbe Bernd Olbricht, der über 20 Millionen vom ausbezahlten Kapital des Kosmetikunternehmens “Wella“ verlor.
Als Schurke wurde der Star-Koch Alfons Schuhbeck vom “Kurhaus-Stüberl“ aus Waging am See ausgemacht, der seinen Freund Olbricht gelegentlich in dessen Villa am Starnberger See bekochte und seinen Gästen mit einem heißen Anlagetip das Nachtmahl versüßte. Die Rendite-Versprechungen waren derart exorbitant hoch, daß jeder mit einem Normalmaß an Menschenverstand ausgerüstete Zeitgenosse sofort abgewunken hätte. Doch in Schuhbecks Gaststube überschlugen sich die Schönen und Reichen, überschütteten den Gourmet-Koch mit Schecks und Barem. Schuhbeck reichte das Geld an den Düsseldorfer Anlagebetrüger Lutz Winkler weiter, bis das kriminelle Schneeballsystem im Herbst 1991 zusammenbrach und über 100 Millionen Mark verschwunden waren. Als Retter in der Not hatte das Fakten-Magazin den Detektiv Harald Krügel aus München entdeckt, der im Auftrag von Geschädigten unentwegt Anlagebetrügern auf den Fersen ist. Mit einem gestandenem Focus-Redakteur machte er sich auf die Suche nach den verschwundenen Millionen. Bis ins ferne Kanada war ein Spürhund von “Focus“ mit Detektiv Krügel, genannt “Harry“, auf der Recherche-Reise.
Das Thema reizte auch die STERN-Redaktion, sich des Falles anzunehmen. Zwei Redakteure, Rudolf Lambrecht und der Autor dieses Beitrages, erhielten den Auftrag, sich den Fall genauer anzuschauen. Am Ende wurde daraus eine Recherche, die fast drei Monate andauerte. Während dieser Zeit beschäftigten sich die beiden Redakteure hauptsächlich mit diesem Fall. Parallel laufende Recherchen mußten dem Terminplan dieser Geschichte untergeordnet werden. Sie befragten Dutzende von Informanten: Anlagebetrüger und ihre Opfer, Detektive und Journalisten, Staatsanwälte und Rechtsanwälte. Die Redakteure wälzten tagelang Akten in einer Anwaltskanzlei.
Wochenlang hielten sie sich im Frühsommer 1998 in München auf, bezogen ein Arbeitszimmer im bayerischen Redaktionsbüro des STERN als Operationsbasis. Die Recherche-Ergebnisse füllten letztendlich einen ganzen Regalmeter Akten und erbrachten ebenfalls drei Geschichten im STERN, unspektakulär plaziert im aktuellen Magazin-Teil des Blattes. Dazu wurde ergänzend im Düsseldorfer STERN-Büro eine ausführliche Lesegeschichte entwickelt, die als Nebenprodukt des Falles entstand. Von den “Focus“-Enthüllungen blieb nichts mehr übrig. Kurzum: alles war anders. Die STERN-Recherchen führten zur Einsetzung einer Ermittlungsgruppe bei der Münchener Kripo und der Staatsanwaltschaft am Landgericht München I, allerdings nicht gegen den Koch Alfons Schuhbeck. Beschuldigte waren nun der “Focus“-Informant Harald Krügel und dessen Helfershelfer. Der Prominenten-Koch war vielmehr Opfer einer beispiellosen, kriminellen Kampagne geworden. Er hatte selbst mehr als zehn Millionen Mark bei dem Anlagegeschäft verloren. Langwierige Ermittlungen gegen Schuhbeck bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht Traunstein, die maßgeblich durch Krügels Anschuldigungen notwendig wurden, mußten eingestellt werden. Krügel hatte Hinweise auf angebliche geheime Konten Schubecks im litauischen Vilnius und im venezuelanischen Caracas geliefert. Seine “Beweise“ stellten sich als Fälschungen heraus. “Focus“-Quelle Krügel hatte die falschen Anschuldigungen angezettelt, offenbar um seinen Mandanten Bernd Olbricht jahrelang als Zahlmeister für seine kostspieligen “Ermittlungen“ zu erhalten. Unterdessen wurde der Düsseldorfer Lutz Winkler, Initiator des großen Anlagebetruges, von Krügel verschont. Das Resultat: Die Geschädigten von Anlagebetrügern werden von Detektiven gegeneinander ausgespielt. Die Justiz klagt allein den deutschen Geldsammler an, während die Hintermänner des Großbetrugs in Übersee unbeschadet die Millionen in Sicherheit bringen.
Die STERN-Recherchen brachten außerdem immer neue Unregelmäßigkeiten um das Münchener Polizeipräsidium ans Tageslicht. Detektiv Krügel nutzte seine langjährigen Beziehungen als V-Mann zur Münchener Sonderfahndung für seine zwielichtigen Aktionen. Ermittelt wurde nun auch gegen seinen Verbindungsführer beim Münchener Polizeipräsidium.
Der erste Informant
Oft ist der Erst-Informant der wichtigste: er liefert als Betroffener, als Opfer, als Insider oder als Akteur den entscheidenden Tip. Er gibt die Hinweise oder liefert die ersten Beweismittel, die zum Erfolg führen. Doch jeder Fall ist anders, hat seine eigene, seine originäre Entwicklung. Das kennt jeder erfahrene Strafverteidiger, das weiß jeder Staatsanwalt. Doch Redaktionen neigen oft dazu, die Fälle über einen Kamm zu scheren – ein Resultat notwendiger Simplifizierung im Journalismus, aber oft auch ein Ergebnis allzu sparsamer und schlichter Betrachtung von Wirklichkeit.
Für den STERN war der erste Informant in diesem Fall schnell gefunden. Ein Anruf bei dem Top-Informanten von “Focus“ reichte und ein Hintergrundgespräch war terminiert. Detektiv Harald hatte nur einen Sonderwunsch: das Gespräch sollte nicht, wie von den Redakteuren vorgeschlagen, im Redaktionsbüro oder in einem Hotel stattfinden, sondern in den Räumen seiner Detektei. Das entsprach nicht der Vorstellung der Rechercheure, aber war nicht zu vermeiden.
Recherche-Tip Nr. 1:
Der Journalist bestimmt das Gesetz des Handelns, nicht der Informant. Wenn sich Journalisten nicht zum willfährigen Werkzeug ihrer Informanten machen lassen wollen, müssen sie stets die Initiative ergreifen, immerzu die Wahl der Mittel und Wege in der Hand haben und die Regeln vorgeben. Journalisten dürfen sich niemals von einem Informanten lenken lassen. Die ersten Fallstricke einer Recherche können vom Schlüssel-Informanten bereits gelegt werden. Denn am Anfang einer Recherche läßt sich die Motivlage eines Informanten nicht durchschauen. Solange der Hintergrund des Informanten nicht geklärt und geprüft ist, sein Material nicht akribisch untersucht wurde, weiß kein Journalist, was er im Schilde führt: Ist er bereits bei anderen Redaktionen mit guten Gründen – abgeblitzt? Versucht er eigene, billige Interessen zu verfolgen? Benutzt er die Medien für unlautere oder gar kriminelle Zwecke? Will er mit seinem Material das große Geld machen? Will er vielleicht seine Medienkontakte nutzen, um seine Gegner unter Druck zu setzen? Deshalb gilt für jeden erfahrenen Rechercheur: Ort und Zeitpunkt der Gespräche, die Art der Aufnahme sowie die Wege der Prüfung und Behandlung werden vom Journalisten vorgegeben.
In seinem Besprechungszimmer präsentierte sich der Detektiv als Profi. Er sei schon ganz nah an den von Schuhbeck gestohlenen Millionen, habe Dutzende unterschiedlicher Konten Schuhbecks rund um den Globus aufgedeckt. Der Star-Koch sei der “größte Lügner und Schauspieler“. Er werde dies alles bald der Staatsanwaltschaft vorlegen. Den lahmen Staatsanwälten müsse man nur noch etwas auf die Sprünge helfen.
Nach oberflächlichem Eindruck war die Sache klar, Schuhbeck würde bald hinter Gittern sitzen. Doch der Detektiv wollte nicht ins Detail gehen. “Sie müssen verstehen“, wiegelte Krügel ab, er habe schließlich ein vertrauliches Verhältnis zu seinem Mandanten, dem Betrugsopfer Bernd Olbricht, zu wahren. Im übrigen sei er bei der Konkurrenz in der Pflicht, “Focus“ wolle weiter an der Sache dran bleiben. Nur zögernd legte er aus einem Aktenordner einige “Dokumente“ vor: miserabel ins Deutsche übersetzte Papiere über die Rolle Schuhbecks bei Firmengründungen in Liberia und Kontenführungen in Monte Carlo. Nichts davon wollte er kopieren.
Die erste Dokumenten-Recherche
Die denkbar schlechteste, aber häufig anzutreffende Ausgangssituation: Der Informant erzählt spannende Geschichten, doch die Papiere muß sich der Journalist selbst suchen: “Das können Sie ja leicht bei der Justiz abfragen!“, “Das finden Sie in Ihrem Archiv!“, “Das kann ich Ihnen bestimmt besorgen.“ In diesem Fall folgte auf das Hintergrundgespräch die abendliche Online-Recherche im Hotelzimmer. In der Pressedatenbank des Verlages, die über Internet mit den Zugangsdaten des Redakteurs abgefragt werden kann, wurden zunächst alle Stories über den Fall auf die Festplatte des Notebooks heruntergeladen. Dann folgte die gründliche Tiefenrecherche: Alle Berichte über die handelnden Personen wurden lückenlos recherchiert, ihre Firmendaten wurden bei Unternehmens-Datenbanken abgefragt. Schließlich muß man wissen, mit wem man es zu tun hat.
Recherche-Tip Nr. 2:
Erst lesen, dann fragen. Das Prinzip ist banal, wird aber immer wieder verletzt: Ein Blick ins Pressearchiv erspart häufig kostspielige Recherchen und kann die Redaktion vor schwerwiegenden Fehlern bewahren. Dutzende “Enthüllungsgeschichten“, zum Beispiel über den Fall Barschel, über die Stasi oder über Waffenhändler, allesamt “exklusiv“ verkündet, verblassen bei gründlicher Archiv-Recherche.
Über Detektiv Harald Krügel gab es gleich mehrfach positive Erwähnung. Laut Zeitungsberichten entdeckte er den Aufenthaltsort eines flüchtigen Anlagebetrügers aus Stuttgart, ermittelte fieberhaft die verschlungenen Wege der Betrüger-Millionen und gab 1995 den Hauptdarsteller in einem Dokumentarfilm des Bayerischen Rundfunks über die Suche nach dem Millionenbetrüger Kretz. Krügel war ein typischer, kleiner Medienheld unserer Zeit.
Die Recherche an den Rändern des Falles
Das Archivmaterial lieferte genug Namen für die klassische Abklärung: Sprecher von sogenannten Interessengemeinschaften geschädigter Anleger, andere Detektive und Anwälte. Sie wurden zunächst ausfindig gemacht und telefonisch befragt, zum Teil danach aufgesucht. Die wichtigste Frage war: stimmt das in der Presse Geschriebene und im Fernsehen Gesendete mit ihrer Erfahrung überein?
Recherche-Tip Nr. 3:
Traue nicht dem geschriebenen und gesendeten Wort. Nichts ist so wertlos wie das bereits Publizierte, wenn es zu Presse-Prozessen kommt. Auf journalistische Beiträge darf sich der recherchierende Journalist nie verlassen. Jede Zeile muß eigenständig überprüft werden.
Erste Zweifel wurden in den Gesprächen laut. Eine gravierende Unstimmigkeit tauchte auf. Nicht der Detektiv, wie in den Medienberichten dargestellt, sondern ein Geschädigter hatte den Anlagebetrüger Kretz in Kanada aufgespürt. Außerdem wurden die ersten Fotos gefunden. Ein Gespräch mit Krügels wichtigstem Mandanten sollte Klarheit über die berichteten Beweismittel gegen Schuhbeck bringen. Bernd Olbricht war nicht nur in Millionenhöhe betrogen worden, er war insgesamt dreimal in dem Fall übers Ohr gehauen worden. Der Finanz-Jongleur Lutz Winkler entlockte ihm nach ersten Testeinsätzen monatelang die Schecks. Zum Schluß vertraute er ihm sogar einen “Überbrückungskredit“ von fünf Millionen Mark an, angeblich zur Deckung kurzfristiger Engpässe. Dann tauchte der Düsseldorfer Detektiv Wolfgang Ufer bei dem Münchener Millionär auf, kassierte Spesen und verfolgte die falschen Spuren. Im Rheinland wurde unterdessen die Anklageschrift gegen den wegen zahlreicher Betrugsfälle verdächtigten Lutz Winkler immer dicker. Wie auch in einem ähnlichen Fall übernahm Detektiv-Kollege Harald Krügel den lukrativen Klienten, als Ufer nichts mehr einfiel.
Nicht das verlorene Geld, aber die Schmach, mehrfach Opfer des Betrugs geworden zu sein, schmerzte Bernd Olbricht. Er setzte alle Hoffnung in seinen Detektiv Krügel, um “die Sache aufzuklären“. Er war überzeugt von seinem Ermittler und verteidigte dessen Einsatz. Olbrichts Erzählungen über gemeinsame Recherche-Reisen mit Krügel und dessen Ermittlungskünste wurden zum unfreiwilligen Beleg für den Betrug an ihm. Nur der Interviewpartner selbst merkte es nicht, eine psycholgisch schwierige Situation. Zu gerne hätte man dem Gesprächspartner geholfen, ihn aufgeklärt und mit den Zweifeln konfrontiert, die sich bereits aus der Recherche ergaben. Doch das wäre zu diesem Zeitpunkt ein großer Fehler gewesen. Die ganze Recherche hätte dadurch platzen können. Denn es wäre nicht zu verhindern gewesen, daß das Wissen der Redakteure gegenüber dem Detektiv preisgegeben wird.
Recherche-Tip Nr. 4:
Der Informant informiert, nicht der Journalist. Die Mitteilsamkeit der Rechercheure ist der größte Fehler vieler Recherchen. Sie plappern, machen sich wichtig, wollen mit Fachwissen und Insider-Kenntnissen einen guten Eindruck machen, buhlen mit ihren Erkenntnissen um Anerkennung. Ein Journalist, der sich als großer Enthüller und Alleskönner darstellt, erfährt nichts. Er macht vielleicht sogar Angst. Sein Wissen wandert weiter, wird von den Interviewpartnern in den aktuellen Konflikten genutzt und gelangt häufig direkt oder über Dritte zur Zielperson der Recherche, eine strategische Katastrophe. Viele Recherchen scheitern deshalb bei der endgültigen Konfrontation mit der Hauptperson des Falles, weil diese sich längst aufgrund glänzender Unterrichtung auf die geplante Berichterstattung einstellen konnte. Daher muß der recherchierende Journalist mit dem Makel leben, unterschätzt zu werden. Sein größter Trost: Das Leben mit dem Fremdbild des Dummkopfes ist zeitlich befristet – bis zum Tag derVeröffentlichung.
Erst mußten einige sensible Recherchen erledigt werden. Daher wurde mit Olbricht gleich ein zweiter Gesprächtstermin vereinbart.
Die zweite Runde
Auch Krügel mußte in der zweiten Runde nochmals befragt werden, diesmal mit unangenehmen Fragen konfrontiert werden. Doch zuvor mußten Erkenntnisse, die bislang nur in Bruchstücken vorlagen, dokumentarisch sauber vorliegen. Sein Umfeld mußte nun abgeklärt werden: ehemalige Geschäftspartner, Angehörige, Kollegen, Mandanten, Anwälte. In kurzer Zeit stapelte sich belastendes Material über Harald Krügel. Der eine berichtete von einer beim Kreisverwaltungsamt vorliegenden Gewerbeuntersagung gegen den Detektiv. Die Behörde bestätigte. Dann kamen Hinweise über ein zwielichtiges Zusammenspiel mit Münchener Rechtsanwälten, die seinen Aktionen den Schein der Seriosität gaben. Ein Informant aus dem Umfeld der Anwälte lieferte Interna, wußte von der kriminellen Karriere Krügels. Das mußte konkretisiert und dokumentiert
werden. Er machte tatsächlich ein Dokument über die kriminalpolizeiliche Akte Krügels zugänglich. Binnen zweier Jahrzehnte verging bei Krügel kaum ein Jahr ohne schwerwiegende Strafermittlungen. Bis diese Erkenntnisse vorlagen, vergingen Wochen und fast ein Dutzend Treffen mit diesem Informanten.
Recherche-Tip Nr. 5:
Vertrauen braucht Zeit, Vertrauen zu Journalisten doppelt. Wertvolle Informanten, also kluge Menschen, reden nicht gerne mit Journalisten. Sie wissen, wie unzuverlässig die Vertreter der Branche sein können und haben nicht selten bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt. Leitende Redakteure haben beim Blick auf ihr Budget wenig Verständnis dafür, aber die Wirklichkeit außerhalb der Redaktionshäuser erfordert vielfache und regelmäßige Treffen mit den Schlüssel-Informanten. Schwierige Recherchen lassen sich daher nur mit überlegter taktischer Terminplanung realisieren. Nicht die Produktionsabläufe, die Einsatzpläne der Kamerateams oder die Schlußtermine der Redaktion bestimmen den Ablaufplan, sondern die Dynamik der Recherche.
Unterdessen tauchten bei den Gesprächen in Krügels Umfeld Hinweise auf, die dem Fall eine neue Dimension gaben. In Bolivien war Krügel in einem anderen Betrugsfall im Einsatz. Dort logierte er ausgerechnet bei einem gesuchten Anlagebetrüger und hatte einen alten Freund dabei, seinen Verbindungsführer von der Sonderfahndung des Polizeipräsidiums München, der ihn als V-Mann betreute. Ein ARD-Kollege hatte die Karriere eines V-Mann-Kumpels von Krügel intensiv recherchiert und war bereit zu kooperieren. Ein Rechtsanwalt hatte den Krügel-Aufenthalt in Lateinamerika gründlich ermittelt, dutzende Gespräche geführt und amtliche Dokumente beschafft. Er unterstützte unsere Recherchen, nachdem er Vertrauen gefaßt hatte. Über ihn erlangten die Redakteure Kontakt zu Deutschen in Bolivien, die dort ebenfalls als V-Leute, zum Teil für das BKA, im Einsatz waren. Sie versprachen viel Material, lieferten wenig. Und sie betrieben ihr eigenes Spiel. Die bolivianischen Informanten versuchten als Nachrichtenhändler ihr Geld zu machen und drohten mit dem Verkauf an ein Konkurrenzmedium. Die Reise nach Bolivien erübrigte sich.
Tatsächlich waren SPIEGEL-Reporter in Bolivien unterwegs, um dort im V-Leute-Sumpf zu recherchieren. Das kostete die Kollegen soviel Zeit, daß ihre Geschichte erst im Blatt war, als der STERN bereits mit der dritten Story auf dem Markt war. Eine der wichtigsten Informationsquellen im Fall Schuhbeck, ein Rechtsanwalt, verweigerte ihnen die Hilfe trotz opulenter Honorar-Angebote. Der Mann wollte die vertrauten Beziehungen zu den STERN-Redakteuren nicht zerstören.
Recherche-Tip Nr. 6:
Informanten müssen ehrliche Kaufleute sein, oder gar keine. Der geschäftstüchtige Wink eines Informanten mit dem Wettbewerber auf dem Nachrichtenmarkt muß zu höchster Vorsicht herausfordern. Entweder geht es ihm darum, den Preis eines möglichen Info-Honorars zu diskutieren, oder er dealt tatsächlich gleichzeitig mit der Konkurrenz. Da helfen nur eindeutige Verträge, die das Verhältnis zu Informanten klären. Im ersten Paragraphen muß darin notiert werden, daß der Informant für die Echtheit und Authentizität der überreichten Unterlagen gerade steht. Informationshonorare dürfen erst dann gezahlt werden, wenn der Bericht tatsächlich exklusiv veröffentlicht wurde und nicht “zuvor durch Dritte die Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden“. Dies gilt auch für Journalisten, die Informationen liefern oder Recherche-Material anbieten.
Die Bolivien-Spur war trotzdem spannend. Mehrere ehemalige Sonderfahnder des Münchener Polizeipräsidiums konnten ausfindig gemacht werden. Alle kannten sie den Führungsbeamten Krügels aus früheren Dienstzeiten, wußten über die Praktiken und Regeln im V-Leute-Einsatz Bescheid. Sie berichteten, daß die Kollegen schon seit Jahren über merkwürdige Praktiken im Münchener Polizeipräsidium wußten. Sie kannten eine Strafanzeige, wußten von Eingaben und wunderten sich über eine großspurige Anzeige in einem Münchener Boulevardblatt, in der der “Sicherheitsdienst H. Krügel“ offen mit seinen
Polizeikontakten warb – für die Polizei Grund genug für die sofortige Auflösung der Vertraulichkeitsvereinbarung mit dem V-Mann. Sie berichteten über professionelle Videoaufnahmen Krügels mit schallgedämpften Waffen für einen Werbefilm seiner Detektei und kannten seine Kontakte in die rechtsextreme Szene. Krügels Mitarbeiter Hermann Steingraber war jahrelang Bodyguard von Republikaner-Chef Franz Schönhuber, er installierte für den DVU-Chef Gerhard Frey eine Sicherheitsanlage.
Anzeige-Erstatter und Augenzeugen wurden interviewt, ihre Aussagen zum Teil in Form einer Eidesstattlichen Erklärung protokolliert. Damit wird den Informanten deutlich, daß ein Bericht über ihre Aussagen zu gerichtlichen Konflikten führen kann. Denn es ist besser, wenn die Zeugen zu diesem Zeitpunkt umfallen als nach der Veröffentlichung.
Finale Gespräche
Das zweite Gespräch mit Krügel war das letzte Zusammentreffen. Höflich, aber bestimmt wurde nach seinen Beweismitteln im Fall Schuhbeck gefragt. Verunsichert reagierte er, weil er immer noch nicht genau einzuschätzen wußte, wohin die STERN-Recherchen führen sollten. Gespräche mit Informanten, die ihm nahestehen, untermauerten diesen Eindruck. Es war klar, der Meister-Detektiv hatte nichts in der Hand. Auf der Grundlage dieses Gespräches war es leicht, seine Märchen zu durchschauen – kommentarlos. Das Gespräch gab den Rechercheuren die Gewißheit, daß sie richtig lagen. Das letzte Gespräch mit Krügels Klient Bernd Olbricht vor der ersten geplanten Veröffentlichung sollte schwieriger werden. Es war eine Frage der korrekten Behandlung, ihm reinen Wein einzuschenken. Ungläubig nahm er die schlechten Nachrichten entgegen und begann zögernd zu begreifen, daß er schon wieder hereingelegt wurde. Aber er begann, sich von seinem Privatermittler zu distanzieren. Er hatte bereits den Anwalt in der Sache gewechselt.
Die Veröffentlichung
Die erste Geschichte über “Dirty Harry und seine Tricks“ (STERN Nr. 20/1998) konnte jetzt ins Heft. Es gab bis dahin keine dramatischen Aktionen und keine der häufig zitierten “Scheckbücher“. Zum Leidwesen mancher Informanten gibt es nämlich keine Schecks, allenfalls ordentlich vereinbarte und vertraglich geregelte Honorarzahlungen.
Die Reaktion der Betroffenen ließ nicht lange auf sich warten: Ein schlampig zusammengestelltes, seitenlanges Gegendarstellungs-Begehren Krügels, ausgefertigt in einer Kanzlei, die ihm sonst eher bei Geschäften rund um den Anlagebetrug zur Hand ging. Darin ließ er rundum alles dementieren, was über ihn gesagt wurde. Dann besserte sein Anwalt in mehreren Versionen nach. Eine Gegendarstellung von “Focus“-Chefredakteur Helmut Markwort, der darin den eigenen Informanten dementieren ließ. Eine Gegendarstellung von Krügels Verbindungsführer beim Polizeipräsidium, der schon allein aus der Abwehr dienstrechtlicher und strafrechtlicher Schritte begründet schien. Zur rechtlichen Erwiderung dieser – mittlerweile üblichen Reaktionen – mußten beim zuständigen Landgericht Schutzschriften hinterlegt werden mit den Beweismitteln, die jedem Richter beim ersten Blick die “offensichtliche Unrichtigkeit“ der Gegendarstellung demonstrieren. Das Münchener Polizeipräsidium zeigte zunächst viel Fürsorge für den verwickelten Sonderfahnder und weigerte sich, hausinterne Maßnahmen zur Aufklärung des Falles zu ergreifen. Statt dessen beschwerte sich das Polizeipräsidium beim Deutschen Presserat darüber, daß der STERN Namen und Dienstgrad sowie ein Foto des Sonderfahnders bei einem privaten Ermittlungstrip an die Cote dŒAzur veröffentlicht habe. Pikanterie am Rande: Im Beschwerdeausschuß des Selbstkontrollorgans durfte dann Professor Robert Schneider, der Presserechts-Berater von “Focus“, über den Fall beraten und die vom STERN eingereichten Recherche-Unterlagen studieren.
Krügel selbst gab sich in einem erbosten Telefonat siegesgewiß und machte einen großen Fehler: Die Ermittlungen gegen ihn und seinen V-Mann-Führer seien “unter dem Tisch eingestellt worden.“ Das, so versprachen wir ihm, wollten wir gerne klären. In der Tat ergaben die offiziellen Anfragen bei den Ermittlungsbehörden, daß ein Ermittlungsverfahren kürzlich wegen Verjährung eingestellt worden war. Erst die Anfrage der Redakteure offenbarte der Leitung der Staatsanwaltschaft am Landgericht München I, daß der Fall eingestellt wurde, ohne Zeugen zu hören. Ein Verjährungsgrund lag aber nicht vor, weil die Strafanzeige zeitlich nicht eingeschränkt war. Das Ermittlungsverfahren mußte wieder aufgerollt werden.
Das war der Stoff für eine zweite Geschichte, zusammen mit den bereits recherchierten Erkenntnissen, die im ersten Beitrag keinen Platz fanden. Auch nach dieser Veröffentlichung saß der V-Mann-Führer Krügels im Münchener Polizeipräsidium immer noch an seinem Platz und verrichtete seinen Dienst, während bei der Staatsanwaltschaft weitere Hinweise über das Gespann eingingen. Unterdessen wurde in der Polizeibehörde die Parole kolportiert, die Veröffentlichungen stützten sich allein auf die Informationen der Ex-Frau Krügels und eines konkurrierenden Münchener Detektivs. Die schriftlichen Fragen der Redaktion blieben wochenlang unbeantwortet.
Wenige Tage nach dem Bericht saßen die beiden Redakteure in einer Münchener Hotel-Lobby und führten ein Interview mit einer Zeugin. Am Funktelefon des Kollegen Rudolf Lambrecht meldete sich ein Unbekannter: “Ich werde meinen Namen nicht nennen. Ich stehe dem Herrn Krügel sehr nahe. Am Samstag hat sich der Herr Krügel mit drei Leuten aus Kiew getroffen, die der Rechtsanwalt Kirkitadse beschafft hat. Ich war am Montag in der Schweiz und habe für Herrn Krügel von der Bank 25000 Dollar geholt. Das Geld bekommen die Leute aus Kiew. Die haben von Herrn Krügel den Auftrag, Sie und Ihren Kollegen Leo Müller in die Füße zu schießen.“
Da zuvor Erkenntnisse über Krügels zwielichtige Verbindungen in die Staaten des ehemaligen Ostblocks auftauchten und Informationen über einschlägigen Waffenbesitz vorlagen, war der anonyme Drohanruf ernst zu nehmen. Die Münchener Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet. Mit Hilfe der Daten aus dem Rechenzentrum des Mobilfunk-Betreibers wurde von der Münchener Kripo der Anrufer ermittelt. Es handelte sich um das Funktelefon von Josef Junginger, einem Kumpanen von Krügel. Der Rest war Routine. Hausdurchsuchung und fünf Stunden Vernehmung, dann das Geständnis. Krügel habe ihn angestiftet: “Die sollen nichts mehr schreiben.“ Auch die Privat- und Diensträume von Detektiv Krügel und seinem V-Mann-Führer bei der Sonderfahndung wurden durchsucht.
Die Gegen-Enthüllung
Der Fall Krügel war nicht der erste dieser Art. “Enthüllungen“ der “Focus“-Redaktion waren bereits häufiger Gegenstand von Recherchen. So brachten falsche Anschuldigungen die Betreiber des kleinen Hobby-Flugplatzes Hartenholm in Schleswig-Holstein in den Verdacht, sie hätten heimlich Kriegswaffen in den Iran geliefert. Die iranische Staatsbürgerschaft eines Gesellschafters genügte für den bösen Verdacht. Tatsächlich war der Top-Informant selbst der Haupt-Beschuldigte, gegen den die Zollfahnder wegen der Lieferung von Ersatzteilen für Militärflugzeuge ermittelten. Der Informant kam zuerst zum STERN, verlangte ein sechsstelliges Informationshonorar für seine heißen Geschichten und blitzte ab. Kurze Zeit später stand es in “Focus“. Die Geschichte wurde dutzendfach abgeschrieben, sogar von den großen amerikanischen Blättern kolportiert. Häufig werden diese Schein-Enthüllungen vom Publikum nicht bemerkt, oft nicht einmal in der Branche registriert. Dabei ist die Glaubwürdigkeit das höchste Gut der Medien-Unternehmen.
Zum Erhalt der Glaubwürdigkeit muß mehr geleistet werden, als die meisten Medien-Unternehmer bereit sind zu tun. Es muß gründlich und oft lange recherchiert werden und es muß ein unbarmherziges fact checking am Manuskript stattfinden. Beides kostet viel Geld und ist mit Instant-Journalismus, Mainstream-Schreiberei und Low Budget-Produkten nicht realisierbar. Ohne die ermittelnde Recherche verspielt der Journalismus sein Ansehen. Investigativer Journalismus dürfte nicht die Ausnahme in unserem Gewerbe sein. Er müßte der Normalfall sein. Denn zu nichts anderem als der akribischen und sorgfältigen Annäherung an die Wahrheit sind wir unseren Lesern, Zuhörern und Zuschauern verpflichtet.
Hier geht es zu den einzelnen Geschichten, die wir als pdf-file präsentieren können (jeweils zwischen 20 und 30 KB):
Dirty Harry 1: „Dirty Harry und seine Tricks“ (stern Nr. 20 v. 7.5.1998) inkl. Gegendarstellung
Dirty Harry 2: „Zwei V-Männer im Zwielicht“ (stern Nr. 21 v. 14.5.1998)
Dirty Harry 3: „Die sollen in die Füße schießen“ (stern Nr. 27 v. 25.6.1998)
Dirty Harry 4: „… schieße ich Dir den Schädel weg“ (stern Nr. 11 v. 11.3.1999)
Dirty Harry 5: „Eine Reise nach Bolivien“ (stern Nr. 12 v.18.3.1999)
artikel_24_1076508946dirty harry 1.pdf |
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artikel_24_1076508946dirty harry 3.pdf |
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