Kooperationsbeispiel 4: Internationale Zusammenarbeit – Ergänzung zu Kapitel 7.3

Dieses Beispiel skizziert die Entstehungsgeschichte jener Recherchen und Veröffentlichungen, die das geheime weltweit verstreute Gefängnissystem von CIA und US-Regierung ans Tageslicht brachten: effiziente Verhörmethoden durch Bedrohung und Folter, aber außerhalb des Rechtsstaats USA. Im Mittelpunkt steht der britische Journalist Stephen GREY mit seinem 2006 veröffentlichten Buch »Das Schattenreich der CIA. Amerikas schmutziger Krieg gegen den Terror«. Die Rekonstruktion von GREY’s Recherchen und seinem Netzwerk sowie die »Karriere« dieses Themas, die Enthüllung weltweit,  erfolgte im Rahmen einer Diplomarbeit (HEDINGER 2007). Weitere Details finden sich im DokZentrum ansTageslicht.de unter www.ansTageslicht.de/ElMasri.

Die Ereignisse des 11.September 2001 lösen nicht nur Ermittlungen (»investigations«) bei den US-Behörden und Sicherheitsdiensten aus, sondern auch Recherchen auf journalistischer Ebene. Der Brite Stephen GREY ist als Leiter des Investigativteams der Sunday Times, London, zusammen mit rd. 30 Kollegen weltweit unterwegs, er selbst recherchiert in den USA. DER SPIEGEL ist in ähnlicher Mannschaftsstärke auf Achse.

GREY’s Interesse gilt dem neu eröffneten Gefangenenlager X-Ray in Guantanamo auf Kuba, denn es zirkulieren in Journalistenkreisen Gerüchte, dass dies nur die Spitze des Eisbergs eines weltweit verstreuten CIA-eigenen Gefängnissystems sei. Von dem Sprecher des Geheimdienstausschusses des Kongresses, Peter GOSS, der drei Jahre später den unter Beschuß geratenen CIA-Chef George TENET ablösen wird, ebenso wie dieser nur wenig später selbst abgesetzt werden wird, erfährt GREY, dass es sich als sehr effektiv erwiesen habe, unliebsame Menschen durch Gefangennahme außer Gefecht zu setzen: »it’s called a ›rendition‹«, erklärt der Abgeordnete ganz selbstverständlich. GOSS wird 2004 jeden unter Druck setzen, der sich diesem Thema nähert.

Von einem (anderen) Informanten aus dem weiteren Umfeld der CIA erhält GREY einen richtungsweisenden Tipp – ähnlich wie rund 30 Jahre zuvor die beiden Washington Post – Reporter: »Halten Sie nach Guantanamo Ausschau, sehen Sie sich die Pressemeldungen an. Sie werden feststellen, dass Gefangene kommen und dass Gefangene gehen. Fragen Sie sich, was mit diesen Leuten geschieht? Wohin gehen sie? Und wie werden sie transportiert?«

GREY recherchiert, schreibt  aber über die weltweite Suche nach Bin LADEN. Das »Insight«-Team der Sunday Times verfügt zwar über einen komfortablen Etat, der Chefredakteur will dafür aber regelmäßig Ergebnisse sehen. Themen werden daher aufgerissen, aber nur selten wirklich ausrecherchiert. Für die renditions bleiben keine freien Kapazitäten.

2003 entschließt sich Stephen GREY, seinen festen Job zu kündigen, um sich den »rendition flights« intensiver widmen zu können. Bis zu diesem Zeitpunkt gibt es weltweit nur 4 (!) Zeitungsartikel, die sich irgendwie mit dem Thema geheimer Flugaktivitäten befasst haben – die renditions, zu deutsch »Überstellungen«, sind weltweit kein Thema. Der Boston Globe hat herausgefunden, dass es so etwas bereits seit 1995, also seit Bill CLINTON, gibt. Eine pakistanische Zeitung beschrieb einen merkwürdigen Vorgang: Nachts wäre ein Flugzeug mit der internationalen Kennung »N-379P« in einem abgeschotteten Flughafenbereich gelandet. Nachdem ein unbekannter Mensch von maskierten Männern eingeladen worden sei, habe sich die unbekannte Maschine in Richtung Amman/Jordanien aufgemacht. Und die Washington Post hatte in zwei Artikeln berichtet, dass unliebsame Gefangene nicht in den Rechtsstaat USA überstellt würden, sondern vorzugsweise in Drittstaaten. Deren gemeinsames Kennzeichen: Folter ist dort gang und gäbe – outsourcing von ›effektiven Verhörmethoden‹ sozusagen.

GREY treibt einen Kanadier auf, der auf einem Heimflug über den New    Yorker Flughafen JFK dort festgesetzt und nach Syrien entführt, gefoltert und verhört, später wieder entlassen wurde – ohne nähere Begründung. GREY gelingt es, Flug und Flugzeug (»N-829MG«) zu rekonstruieren. Eine Verbindung zur CIA lässt sich nicht herstellen. GREY reist als Free-lance in den Irak, berichtet von dort über das (w)irre Geschehen und als die Folterbilder von Abu Ghraib um die Welt gehen, nutzt er die internationale Aufmerksamkeit, um seine bisherigen Rechercheergebnisse in Sachen renditions zu publizieren: »America’s Gulag« heißt es im New Statesman, der in Großbritannien erscheint.

Zufall: Am selben Tag (17.5.2004) enthüllen drei schwedische Reporter in der Sendung Kalla Fakta (TV4) die Beteiligung schwedischer Dienststellen an einer geheimen CIA-Verschleppungsaktion zweier Asylanten in ein berüchtigtes Foltergefängnis in Ägypten. Den Reportern war es gelungen, die Spur des beteiligten Flugzeugs mit der Kennung »N-379P« bis zu einer getarnten CIA-Firma zurückzuverfolgen (vgl. message 1/2006; nachlesbar auch unter www.ansTageslicht.de, Suchwort »Kalla Fakta«). GREY fliegt sofort nach Stockholm, die Journalisten verabreden, miteinander zu kooperieren: die Zeit drängt – jetzt, nachdem ein (erstes) rendition-Flugzeug und die CIA-Beteiligung zweifelsfrei enttarnt ist, steht zu befürchten, dass die Geheimen ihre Spuren (und möglicherweise jene anderer Aktionen) verwischen könnten.

Das Viererteam, allen voran Stephen GREY, ist erfolgreich und vor allem schneller als zuvor. Die arbeitsteilige Auswertung unzähliger Datenbankrecherchen aus dem internationalen Flugbereich, aber auch die Informationen von Planespottern weltweit, ermöglichen die Rekonstruktion fast aller Flugbewegungen des kleinen CIA-Jets mit der Kennung »N-379P«, einer Gulfstream V: Immer mehr Flüge passen zu den Angaben von ehemals entführten CIA-Opfern.

Weiteres Ergebnis: Die getarnte Betreiberfirma der kleinen Gulfstream besitzt ein zweites Flugzeug: eine große Boeing 737 mit der Kennung »N-313P«. GREY ist inzwischen im Besitz von Kopien der Bordbücher beider CIA-Flugzeuge – die Daten zeigen, dass die 737 regelmäßig Zwischenstopps auf Mallorca einlegt, bevor sie, durch weitere Zwischenlandungen unterbrochen, Afghanistan und andere Drittstaaten anfliegt. Diesesmal ist es die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled El MASRI nach Kabul: Der wurde im Januar 2004 auf seiner Reise in den Urlaub in Skopje/Mazedonien festgehalten und von einer CIA-Greifertruppe per Flugzeug nach Kabul verschleppt. Nach mehreren Monaten Kerker und Folter wurde er wieder zurückverfrachtet – angeblich eine Verwechslung. Die New York Times, die Süddeutsche Zeitung und Frontal21 hatten sich dieses Schicksals angenommen und GREY gleicht nun die Angaben des Entführten ab: sie passen zu den Daten aus dem Logbuch der 737. Bevor die Kidnapper El MASRI in Mazedonien einkassierten, war die CIA-Maschine wiederum auf der Baleareninsel gelandet.

Dort trifft sich GREY mit dem spanischen Journalisten Matias VALLES von der Tageszeitung Diario de Mallorca. Auch sie arbeiten jetzt zusammen. GREY spricht kein Spanisch und VALLES kennt sich vor Ort aus. Seine Berichte über die getarnten Flüge und seine öffentliche Frage, ob CIA-Häftlinge über die Urlaubsinsel verschleppt würden, lösen – durch öffentlichen Druck unterstützt – amtliche Ermittlungen aus, an deren Ende ein Bericht der Staatsanwaltschaft steht, in dem alles gelistet ist: Rechnungen des Fünf-Sterne Hotels »Gran Melia Victoria« sowie der hoteleigenen Bar, Quittungen über Massagen, Kreditkartennummern, Nummern der Reisepässe von der ganzen Crew. Und eine Telefonnumer in den USA, die vom Hotel aus angerufen wurde.

Natürlich handelt es sich bei allen Namen um Tarnnamen und natürlich sind die Reisepässe ›dienstliche‹ Reisepässe. Gleiches gilt für die benutzten Kreditkarten. Die Sozialversicherungsnummern auf den Crewlisten beispielsweise können schon deshalb nicht stimmen, weil die laufenden Nummern nicht dem Alter der Agenten entsprechen – dies kann man überprüfen, wenn man sich im ›System US-Sozialversicherung‹ auskennt. Aber kann man mit solchen Angaben die Klarnamen der CIA-Kidnapper enttarnen? Und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen auslösen, an deren Ende etwa internationale Haftbefehle stehen?

GREY bezieht einen (diesesmal) befreundeten Kollegen mit ein, mit dem er schon oft zusammengearbeitet hat: John GOETZ, Deutsch-Amerikaner, bisher als Freier vor allem für panorama und Monitor sowie die SZ tätig, aber auch für viele US-Medien.

»James Richard FAIRING« ist einer der Piloten. In der Datenbank der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA sind alle Piloten registriert: mit Namen, Heimatadressen, besonderen Kennzeichen (Brillenträger), Datumsangaben zu Prüfung und medizinischen Untersuchungen und welche Lizenzen die Piloten (Flugzeugtypen) haben. Die Datenbank steht jedem offen, denn es gilt der Freedom of Information Act (vgl. S. 222). Der gilt nicht nur für US-Bürger, sondern für alle, weltweit. Man muss es nur wissen.

Natürlich gibt es zu J.R.FAIRING nur eine »P.O. « – Adresse (Postfach). Also kopieren beide die gesamte Datenbank, holen sich eine Expertin dazu, transformieren alles in ein Excel-Format und sortieren und filtern den kompletten Datenbestand immer wieder aufs Neue: z.B. nach seltenen Flugzeugtypen, weil dies – so Infos aus dem ›System CIA‹ – typisch für CIA-Piloten sei. Welche Namen kommen da in Frage? Die so herausgefilterten Namen wiederum werden auf Wohnorte in North Carolina durchsucht – dort sitzt die fragliche Betreiberfirma der 737 und dort befindet sich auch der Heimatflughafen. Weitere Infos des ›Systems CIA‹ besagen, dass Vornamen meist beibehalten werden und Geburtsdaten oder andere Zahlen gern mittels Zahlendreher (leicht) verändert werden. Also achten beide auf gewisse Ähnlichkeiten auch in diesen Punkten.

Am Ende der trockenen Datenrecherchen stehen viele Ähnlichkeiten hinsichtlich Vorname, Geburtsdatum und Alter, Pilotenlizenzen und Kurzsichtigkeit: James Richard FAIRING hat auffallend viele Gemeinsamkeiten mit einem James Richard KOVALEWSKY. Ein Beweis für eine Übereinstimmung ist das noch nicht und schon garnicht ein Beleg für die Zugehörigkeit zur CIA und deren illegale Aktionen.

Also muss das vor Ort getestet werden – John GOETZ geht mit laufender Kamera des panorama-Teams aus Hamburg auf die fragliche Haustüre zu, klopft an und fragt den misstrauischen Hausherrn, ob er denn etwas zur Entführung von El MASRI sagen wolle? Der, offenbar für solche Situationen wenig vorbereitet, droht mit der Polizei – Bingo, zum Zweiten, aber immer noch kein definitiver Beweis. Den bringen erst weitere Recherchen: Der Pilot arbeitet tatsächlich bei der Firma Aero Contractors – eine der bereits enthüllten Tarnfirmen der CIA.