Undercover: unerkannt arbeiten
Die verdeckte Recherche, auch unter dem Schlagwort „undercover“ bekannt, ist ausführlich Gegenstand des Buchkapitels 3.8 (S. 168 – 182), in dem es um die Problemlage generell, um unterschiedliche Fallsituationen sowie um das Beispiel Günter WALLRAFF geht. Der hatte mit seinen Arbeiten in den 70er und 80er Jahren inhaltlich und juristisch Maßstäbe gesetzt.
Hier bieten wir 2 Dinge an:
- Die Dokumentation einer riskanten Recherche im kriminellen Milieu. Dazu gehen Sie bitte auf die entsprechende Unterseite 3.8.4.1. Wir dokumentieren dort 1) die Veröffentlichung der Story, 2) die strategischen Überlegungen desjenigen, der diese Recherche von außen begleitet und absichert hatte sowie 3) den Erlebnisbericht des Undercover-Rechercheurs:
zu 3.8.4.1: Dokumentation einer riskanten Recherche: |
Undercover: Akzeptanz Bei einer journalistischen Undercover-Recherche setzt man ebenfalls darauf, unerkannt arbeiten zu können, was den eigentlichen (Beobachtungs- bzw. Kontroll-)Zweck anbelangt. Wenn der ADAC bzw. dessen Mitgliederzeitschrift „ADAC motorwelt“ die alljährlichen Fähren-Tests (z.B. im griechischen Mittelmeer) oder Tunnel-Checks durchführen, melden die journalistischen Qualitäts-„Tester“ ihre Besuche natürlich auch nicht an. Infos dazu über die ADAC-Website: |
www.adac.de/Tests/Mobilitaet_und_Reise/Faehren/2005/default.asp?ComponentID=116050&SourcePageID=9344 |
Umgekehrt gibt es Magazine, die beispielsweise Reiseberichte oder ähnliches veröffentlichen und vorher die fraglichen Hotels, Reiseverabstalter usw. wissen lassen, dass ein Reporter vorbeizukommen beabsichtigt. Entsprechend fallen solche Recherchen und Berichte dann auch aus.Da unerkanntes Recherchieren im Prinzip längst handwerklicher Standard ist und auch vom Pressekodex des Deutschen Presserates abgedeckt wird, stellen logischerweise inzwischen auch die höheren Gerichte, bei denen entsprechende Klagen seitens Betroffener bzw. Beobachteter gegen die beobachtenden Journalisten landen, genau auf diesen Umstand ab. Dass nämlich beispielsweise fragwürdige „Geschäftspraktiken anders als durch eine verdeckte Recherche, die nach presseethischen Standards ausnahmsweise zulässig sein kann, nicht aufgedeckt werden können.“ So etwa die Begründung des OLG München 2005 im Zusammenhang mit den Undercover-Schleichwerbungsrecherchen von Volker LILIENTHAL. Im Pressekodex ist das sehr ähnlich umschrieben:
„Verdeckte Recherche ist im Einzelfall gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.“ (Richtline 4.1) Allerdings sind es meistens immer noch die höheren Instanzen, die diese Standards durchsetzen (müssen). Die unteren Gerichte halten sich in diesem Feld eher an die landläufige Massenmeinung. Im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern, in denen Undercover-Reportagen einen ausgesprochen attraktiven Stellenwert besitzen und beispielsweise Sender wie die BBC eigene Sendeplätze eingerichtet haben, ist diese Art von investigativem Journalismus hierzulande (noch) nicht sonderlich angesehen. Dies sicherlich auch deswegen, weil solche Reportagen eher selten, weil aufwändig und teuer sind, zum anderen weil man es bisher versäumt hat, neben dem (spannenden) Thema auch die Arbeitstechnik selbst zum eigenen Stilmittel zu erheben, mit dem man ebenfalls Spannung und Faszination erzeugen kann. In Großbritannien beispielsweise praktizieren dies z.B. die TV-Formate „MacIntyre Undercover“, „Kenyon Confronts“ (BBC) mit großem Erfolg. Undercover: Rechtsprechung Am 21.7.2004 hatte das OLG Hamm ein Urteil des LG Münsters teilweise kassiert, das dem Freien Journalisten Friedrich MÜLLN untersagt hatte, Bild- und Filmmaterial weiter zu verbreiten, das dieser im Zusammenhang mit einer 5-monatigen Undercover-Recherche über Tierversuche als angesteller Mitarbeiter in der Firma Covance GmbH, Münster, aufgenommen und über das ZDF-Format Frontal21 am 9.12.2003 veröffentlicht hatte. MÜLLN ist engagierter Tierschützer, ansprechbar unter |
www.tierbildarchiv.de |
Allerdings hatten die Richter in diesem Urteil differenziert: der Verbreitung der Beiträge für das öffentlich-rechtliche Fernsehen, in diesem Fall für das ZDF, stehen keinerlei rechtliche Schranken im Weg, „weil es zur Kontrollaufgabe der Presse gehört, auf Missstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen“ (Textziffer 49). Selbst wenn das Bildmaterial illegal beschafft wurde. Dies war hier der Fall, denn MÜLLN hatte in seinem Arbeitsvertrag einen entsprechenden Passus unterschrieben, keinerlei Bilder zu machen oder Informationen nach außen zu geben.
Bei den teilweise identischen Bildsequenzen hingegen, die zu einem anderen eigenständigen Film „Poisoning for Profit“ zusammengeschnitten wurden und die ausschnittsweise bei den privaten Sendern Sat.1 und Pro7 gelaufen waren, kam das Gericht zu einem anderen Ergebnis: wegen „irreführender Schnittführung“ und „falscher Kernaussage“ u.a.m. erzeugten diese Darstellungen einen „verfälschenden Gesamteindruck“ (Tz 99-101). Eine „verantwortungsvolle Güter- und Interessensabwägung“ zwischen Persönlichkeitsschutz (Fa. Covance) und öffentlichem Informationsinteresse lässt sich aber nicht mit „verfälschenden Begleittexten oder durch suggestive Schnittführung“ legitimieren (Tz 107). Die Verbreitung dieser Filmbeiträge wurden daher untersagt. Dieses Urteil (Az 3 U 77/04) sowie ein weiteres im gleichen Zusammenhang ergangenes Urteil (3 U 116/04) des OLG Hamm, beide auch vom selben Tag, können hier als pdf-file nachgelesen werden (10 S. bzw 135 KB; 7 S. bzw. 125 KB): |
artikel_65_1136475528olg hamm_poisening for profit.pdf |
artikel_65_1136475528olg hamm_friedrich muelln.pdf |
Der zweite, aktuellste Fall betrifft die Schleichwerbungs-Recherchen des epd-Redakteurs Volker LILIENTHAL, Frankfurt. Er war seit Sommer 2002 dem Verdacht nachgegangen, dass es in der ARD-Serie „Marienhof“ und anderen Produktionen der Fa. Bavaria, München, bewusst zu Schleichwerbung in großem Stil gekommen sein könnte.
Um einem gezielten Hinweis wirklich auf den Grund zu gehen bzw. ein zugespieltes Videoband auf die Echtheit der dort dokumentierten Praxis hin überprüfen zu können, arrangierte LILIENTHAL im Jahre 2003 in Absprache mit seiner Redaktion und der des Fachorgans „journalist“ ein entsprechendes Geschäftsgespräch mit einer Agentur, die gegen Geld entsprechende Werbebotschaften indirekt in die Drehbücher eingehen zu lassen vertraglich zusichern versprach. Damit waren die Informationen auf dem Videotape bestätigt. Über die Gegenchecks bei den Marienhof-Produzenten wiederum bekam die Agentur schnell Wind von der Recherche und erwirkte eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht München I. Diese Verfügung entsprach einem faktischen Recherchier- und Publikationsverbot, weshalb sich Volker LILIENTHAL die nächsten zwei Jahre nur auf die Sichtung und Auswertung von älteren Sendungen verlegen, aber nicht darüber publizieren durfte (Zum Ablauf der Recherchen vergleiche die Fachzeitschrift message 3/2005). Erst das Urteil des OLG München vom 20.1.2005 (Az 6 U 3236/04) hob die Verfügungswirkung der Vorgängerinstanz wieder auf und stellte klar, dass selbst wenn sich der Journalist (Beklagter) „im vorliegenden Fall die Informationen von der Klägerin gegebenenfalls durch Täuschung beschafft hat, indem er als Unternehmensberater aufgetreten ist und einen fiktiven Kunden genannt hat“, führe „dies nicht zu einer Einschränkung seines Schutzes, denn auch die Publikation rechtswidrig recherchierter Informationen fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG“. Hier ist dieses Urteil aus der Urteilsdatenbank der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Prof. Schweizer (www.kanzlei-prof-schweizer.de) dokumentiert (pdf-file, 27 S, 125 KB): |
artikel_65_1136475672olg-m-200105_epd-verdeckterecherche.pdf |
Die Rechercheergebnisse hatten spürbare Folgen: Die öffentliche Diskussion um die Fragwürdigkeit von Schleichwerbung begann so richtig an Fahrt zu gewinnen und bei der Bavaria GmbH, die sich im Besitz von 4 ARD-Sendern befindet (WDR, SWR, MDR, BR) mussten mehrere Verantwortliche gehen, darunter 2005 auch der Chef der Bavaria, Thilo KLEINE.
Undercover: Literatur und andere Fälle:
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news.bbc.co.uk/2/hi/programmes/kenyon_confronts/default.stm |