3.2.1.2b – Renate DAUM: So ging die ComRoad-Affäre weiter

Renate DAUM: So ging die ComRoad-Affäre weiter

Beraubte Aktionäre: Der Staat reißt sich die Beute unter den Nagel

Für die geschädigten Aktionäre sah es zunächst ganz gut aus. Sowohl die ComRoad AG als auch Bodo SCHNABEL besaßen Wertpapiere und Bargeld – Wert etwa 30 Millionen Euro. In ähnlicher Höhe hatte SCHNABEL von Aktienverkäufen persönlich profitiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Skandalfällen hatten die Anleger hier eine Chance, zumindest einen Teil ihres Schadens ersetzt zu bekommen. Doch der Staat warf ihnen einen Knüppel zwischen die Beine.
Der Pferdefuß im Urteil gegen das Ehepaar Schnabel war auf den ersten Blick nicht erkennbar: Mit der Urteilsverkündung vom 21. November 2002 verfügte der Richter gleichzeitig einen so genannten Verfall der auf ‚krummen Wegen‘ realisierten Vermögensvorteile (§§ 73 I bis III, 73a StGB). Bedeutete: Gut 20 Millionen Euro aus dem Vermögen der Familie Schnabel wurden dem Staat übereignet. Wer einen Schaden habe, könne sich an ComRoad halten, führte der Richter aus. Dem Unternehmen sei es wiederum möglich, die SCHNABEL‘s in Anspruch zu nehmen, falls die Anleger die ComRoad auf Schadensersatz in Anspruch nehmen wollten. „Durch dieses Vorgehen ist gesichert, dass Ansprüche trotz bestehenden Verfalls befriedigt werden können und ebenso dem Täter nicht die Früchte seiner Straftaten erhalten bleiben“, erklärte der Richter. Das klang nach einer fairen Lösung.

Mir fiel das breite Grinsen des zuständigen Staatsanwalts auf, als er nach Prozessende vor das Mikrofon eines Rundfunkjournalisten trat. Er hob die Millionen für die Staatskasse als besonderen Erfolg hervor. Die Freude über den Geldregen war nachvollziehbar, denn ähnliche Fälle im Jahr 2002 hatten dem Freistaat Bayern weniger als eine Million Euro zusätzlich in die Kassen gespült. Ich dachte mir, dass sich die Strafverfolger wohl auch sehr sicher waren, nichts von der Beute mit den Anlegern teilen zu müssen.

Ein Anlegeranwalt erklärte mir den Haken an der gerichtlichen Regelung. ComRoad hatte nur Zugriff auf den Teil, den sich das Unternehmen vorrangig, also zeitlich vor der Staatsanwaltschaft, im Rahmen eines so genannten Arrest-Antrages gesichert hatte. Das betraf aber weniger als drei Millionen von den 20 Millionen Euro. Der Staat war somit der große Nutznießer dieses Skandals.

Auf der anderen Seite war die Wut der Geprellten verständlich. Schließlich stammte das Geld der Schnabels indirekt von ihnen, und nun kassierte der Staat den Löwenanteil. Sie konnten nur noch versuchen, ihre Ansprüche im Rahmen eines Nachverfahrens anzumelden. Die Zeit drängte. Die Frist dafür lief einen Monat nach der Urteilsverkündung ab. In dieser Zeit lag ihnen noch nicht einmal die schriftliche Urteilsbegründung vor.

Ich telefonierte mir die Finger wund, fand aber keinen Juristen, der mir genau erklären konnte, wie das funktionierte. Denn bei geschädigten Anlegern war das Verfahren noch nie angewendet worden. Der Staatsanwalt räumte ihnen daher nur geringe Erfolgschancen ein. Für sie sei das Verfahren nicht gedacht, erklärte er mir, und in Deutschland habe noch nie ein Aktionär rechtskräftig Schadensersatz zugesprochen bekommen. Im Sinne des Gesetzes gab es daher für ihn und den Richter auch im Fall ComRoad keine „Geschädigten“. (Ein Verfall kann nur angeordnet werden, wenn es keine Geschädigten gibt.) Tatsächlich wies das Gericht alle Anträge ab.

Einige Kläger reichten dagegen Beschwerde beim Oberlandesgericht ein. Bevor es zu einer Entscheidung kam, sprach ein anderes Landgericht einem einzelnen Aktionär einen individuellen Schadensersatz gegen Bodo SCHNABEL zu. Damit konnte eigentlich niemand mehr behaupten, dass es „keine Geschädigten“ gäbe. Logischerweise müsste damit der Verfall des Vermögens an den Staat aufgehoben werden. (Die Entscheidung des OLG lag noch nicht vor, als dieser Text erstellt wurde.) Es wäre ein Sieg mit einem Wermutstropfen: Der Großteil des Vermögens ginge an die ComRoad AG über, die sich entsprechende Vorrechte gesichert hatte. Darauf hätten dann die Aktionäre Zugriff, wenn ihnen ein Gericht rechtskräftig Schadensersatz zusprechen würde.

Doch die Freude der Staatsanwaltschaft erwies sich als voreilig. Eine spezielle Formulierung im Strafprozessurteil bereitete ihr in der Folgezeit viel Ärger: Der verurteilte und inhaftierte Betrüger hatte nämlich weiterhin das Sagen bei der ComRoad AG und bestimmte damit über die Verwendung der Millionen, die das Unternehmen durch seine Straftaten eingesackt hatte. Bodo SCHNABEL hielt zum Zeitpunkt seiner Verurteilung mehr als ein Drittel der Anteile, gemeinsam mit seiner Frau kam er auf mehr als die Hälfte der Aktien. Bei der Berechnung des Vermögens, das „verfallen“ sollte, hatten die Richter vor allem eben diese ComRoad-Aktien von SCHNABEL angesetzt.

Wenn nun die Papiere in das Vermögen eingerechnet wurden, das dem Staat verfiel, dann bedeutete dies, dass der Freistaat Bayern Eigentümer dieser Papiere geworden war. Zuständig war der Leitende Oberstaatsanwalt, also vertrat er nun den Staat als Großaktionär. So einfach sei das nicht, sagte er mir, als ich ihn darauf ansprach. Verfallen sei nur der Wert der Aktien, nicht aber die Aktien selbst. Daher sei nicht klar, ob das Eigentum bereits übergegangen sei. Na und? Wenn das bei einem Luxuswagen der Fall war, kam die Polizei, nahm ihn mit, der Schlitten wurde verkauft und der Erlös floss in die Staatskasse. Fahren durfte der Verurteilte nicht mehr damit. Bei den Aktien ist das noch einfacher. Man konnte sie vor einem Verkauf sogar in Schnabels Depot liegen lassen und trotzdem dem Staat zurechnen.

Aber wer durfte nun die Stimmrechte ausüben? Logischerweise die Staatsanwaltschaft, oder gar niemand, solange die Frage ungeklärt war, dachte ich. Juristen begannen, darüber zu grübeln. Die Staatsanwaltschaft zuckte zurück. Sie betrachte die Aktien nur als „verpfändet“, richtete sie über die ComRoad AG aus. Sie ließ Bodo SCHNABEL die Stimmrechte und der hatte damit das Sagen über das Unternehmen. Hätte sie sich erfolgreich um die Stimmrechte bemüht, dann hätte sie dem Treiben bei ComRoad Einhalt gebieten können. Aber es war ja nur das Geld der Aktionäre, das in Strömen aus dem Unternehmen herauszufließen begann …
Befürchtete die Staatsanwaltschaft da keine Amtshaftungsklage? Als ich den zuständigen Staatsanwalt daraufhin ansprach, zuckte er zusammen.

Schon wieder falsche Zahlen: ComRoad bleibt ein Schlaraffenland für Abzocker

Millionen, auf die niemand richtig aufpasst, üben eine magische Anziehungskraft auf viele aus. Der Name ComRoad war in der Wirtschaftswelt verbrannt. Die vernünftigste Lösung wäre es gewesen, das operative Geschäft einzustellen und sich nur noch um die Verwaltung des übrig gebliebenen Geldes inklusive der Schadensersatzzahlungen an Aktionäre zu kümmern. Doch die Führungsriege von ComRoad hatte andere Pläne mit den 20 Millionen Euro an liquiden Mitteln, über die das Unternehmen Ende 2002 noch verfügte.
Nach der Absetzung SCHNABELS führte Hartmut SCHWAMM das Unternehmen allein. Er gehörte dem Vorstand seit dem Börsengang an, und zwar Seite an Seite mit Bodo SCHNABEL. Seit Jahrzehnten arbeitete er mit ihm zusammen und war schon zuvor in merkwürdige Transaktionen verwickelt gewesen. Er behauptete aber, nichts von den jahrelangen, massiven Betrügereien bemerkt zu haben. Das ließ, bei freundlicher Auslegung, auf eine gewisse Blindheit in Geschäftsdingen schließen.
Wer tatsächlich einen Neuanfang für das Unternehmen anstrebte, musste daher den Kopf des Unternehmens auswechseln. Als im Laufe des Jahres 2002 ein neuer Aufsichtsrat ins Amt kam, der SCHWAMM allein am Ruder ließ, schwante mir, dass ComRoad zum Wirtstier für einige Interessenten umgestaltet werden sollte.

Eine erste Spur dafür entdeckte ich im Februar 2003. Per Pflichtmitteilung gab die ComRoad AG bekannt, sie lagere „auf Grund der Ereignisse in der Vergangenheit“ ihren Vertrieb auf eine 100-prozentige Tochtergesellschaft aus, der das Unternehmen im Jahr 2003 insgesamt 1,7 Millionen Euro zur Verfügung stelle. Ich rief an und wollte den Namen und den Geschäftsführer der Vertriebstochter wissen. Vorstand Hartmut SCHWAMM ließ mir ausrichten, der Name werde erst auf der Hauptversammlung bekanntgegeben, damit alle Aktionäre gleichzeitig informiert würden. Aber wie, bitteschön, sollten dann Kunden das neue Unternehmen finden, wenn der Name bis dahin geheim war? Das Muster kannte ich doch schon!

Anfang Mai 2003 entdeckte ich den Namen in der Einladung zur Hauptversammlung: „Phoenix“. Mein nächster Weg führte mich ins Handelsregister. Die Vertriebstochter war so neu, dass es noch gar keine Akte zur Einsicht gab. Nur der Name und die Adresse waren schon im Computer verzeichnet. Die Anschrift kannte ich: Es war die gleiche wie die der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „Rödl & Partner“, die eine Sonderprüfung bei ComRoad durchgeführt hatte und daher den ganzen Laden und seine Vermögensverhältnisse in- und auswendig kannte. Ich sprang in die U-Bahn und fuhr aufs Geratewohl hin. Tatsächlich: Die neue ComRoad-Vertriebstochter „Phoenix“ hatte ihren Sitz in den Büroräumen von „Rödl & Partner“.

Die folgende Textpassage, in der die Journalistin schildert, welche Überraschungen a) vor Ort und b) anschließend im Handelsregister auf sie warten, haben wir am 19.3.2006 an dieser Stelle aus dem Netz genommen. Grund ist das nachhaltige Begehren der Münchner Rechtsanwaltskanzlei SCHWARZ – KELWING – WICKE – WESTPFAHL im Auftrag jener Firma, auf die die Journalistin bei dieser Vor-Ort-Recherche ebenfalls gestoßen war. Die Anwaltskanzlei droht andernfalls mit Gericht und Prozess, ist aber nicht bereit, uns vorher die Tatsachen zu benennen, die angeblich nicht korrekt sein sollen.

Da Gerichtsverfahren, in denen es potenziell um Schadensersatz gehen könnte, von Anwälten gerne mit hohen Streitwerten versehen werden (das Honorar steigt mit der Streitwerthöhe), ist es uns nicht möglich, da finanziell mitzuhalten.

Lesen Sie dazu den Brief, den wir am 19.3. an die Anwaltskanzlei geschrieben haben. Hier ist der Link:

zu 3.2.1.2b.1:
Der Streichung zum Opfer fiel auch ein Artikel von Renate DAUM, der in „BÖRSE ONLINE“ Nr. 20 v. 8.5.2003 veröffentlicht worden war – auch hier tauchte der Name der fraglichen Firma auf, die trotz personeller Über-Kreuz-Beziehungen mit ComRoad laut Anwaltskanzlei „keine Verbindungen“ zur ComRoad hatte.Der Umstand, dass die fragliche Firma ein Jahr später, 2004, immerhin 150.000 Euro an Beratungshonoraren und nochmals ein Jahr später (2005) 125.000 Euro von ComRoad kassiert hatte, fällt für die Anwaltskanzlei ganz offenbar ebenfalls unter den Tatbestand „keine Verbindungen“.

Egal wie: der „BÖRSE ONLINE“-Bericht endete jedenfalls mit folgendem Schluß:
Allein für Rechts-, Beratungs- und Prüfungskosten fielen bei ComRoad rund 2,6 Mio Euro an. Unbekannt ist, was davon direkt oder indirekt an Aufsichtsräte floss. Sie legen Honorare nicht offen. Es dürfte mehr als die Aufsichtsratvergütung sein.
Auf der HV besteht nun die Gefahr, dass „Plünderer“ die Mehrheit übernehmen. Das wäre bei der reichen Firma leicht, falls das Land Bayern die Stimmrechtsanteile für einen 37-Prozent-Anteil nicht ausübt (siehe Heft 18/2003).
R.D.

Ab hier geht nun die unbeanstandete Rechercherekonstruktion im Original weiter:

Breitschultrige Personenschützer mit finsteren Mienen bewahrten die besagten Personen auf der Hauptversammlung von ComRoad einen Monat später zwar vor physischen Angriffen aufgebrachter Aktionäre, unangenehme Fragen prasselten aber trotzdem auf sie nieder. Die Antworten machten deutlich, wie schamlos sich Vorstand und Aufsichtsräte selbstbedienten. Das Jahresgehalt des glücklosen Vorstands SCHWAMM wurde auf runde 200 000 Euro in etwa verdoppelt – aus Ausgleich „wegen der heftigen Angriffe durch die Öffentlichkeit“, erläuterte Aufsichtsratschef WALK. Ungläubiges Lachen unter den Aktionären. „Wenn ich Herrn Schwamm jetzt noch fünf Minuten beschimpfe, verdient er dann noch mehr Geld?“, fragte einer sarkastisch.

SCHWAMM geriet aus dem Konzept, als die Aktionäre bemerkten, dass ihnen schon wieder falsche Zahlen untergejubelt worden waren. „Aus Versehen“ seien vorläufige Zahlen veröffentlicht worden, sagte SCHWAMM. Immer wieder reichte Aufsichtsrat Manfred BRAß Zettel herum. Aus seiner Mimik und Gestik wurde deutlich, dass in Wirklichkeit er die Richtung vorgab. Für „Beratung“ hatte er bis dahin schon eine Viertelmillion Euro von ComRoad erhalten, unglaubliche 25 000 Euro im Monat. Aufsichtsratschef Achim WALK erhielt für seine Tätigkeit von Juni bis Dezember 2002 insgesamt 50 000 Euro und Aufträge über 14 000 Euro. Dafür hatte ComRoad eifrig Mitarbeiter abgebaut. SCHWAMM wusste nicht einmal genau, wieviele übriggeblieben waren („etwa zehn“), seine im Unternehmen angestellte Ehefrau hatte jedenfalls alle Kürzungsrunden überstanden.

Das neue Geschäftskonzept dagegen war dürftig. Zwei Drittel der künftigen Umsätze sollte der Bereich „Mobile Commerce“ liefern, also zum Beispiel tragbare Geräte zur Warenbestellung. Das war aber eigentlich gar nicht möglich. Auf einem Messebesuch einige Wochen zuvor hatte ich erfahren, dass die für dieses Geschäftsfeld zuständige Tochter „T&T Netcom“ verkauft worden war. Im Lagebericht zum Jahresabschluss war davon aber nichts zu lesen, obwohl „T&T“ seit Jahren mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes beisteuerte. Auf der Hauptversammlung hatte dies die ComRoad-Spitze erst auf mehrfache Nachfrage eingeräumt. Das sei „nicht wesentlich“ befand SCHWAMM. Wer wem dafür wieviel Geld für den Verkauf gezahlt hatte, rückte er nicht heraus. Mir war jedenfalls aufgefallen, dass die ehemals klamme „T&T“ plötzlich mit einem ungewöhnlich großen Messestand auftrat.

Das Geschäftsgebahren von ComRoad schrie zum Himmel. Doch die Aktionäre mussten ohnmächtig zusehen, weil die Staatsanwaltschaft dem im Gefängnis wegen Betruges einsitzenden Bodo SCHNABEL dessen Stimmrechte ausüben ließ. Seine Stimmrechtsvertreter segneten alle Vorschläge seines Nachfolgers SCHWAMM ab.

ComRoad wird also weiter wursteln wie bisher, bis die Millionen endgültig verbraten sind. So lange will ich den Fall weiter begleiten. ComRoad ist eigentlich ein selten einfacher Fall: Die Betrügereien waren eindeutig belegbar, das Unternehmen ist verhältnismäßig klein und die Zahl der handelnden Personen überschaubar. Aber selbst damit scheint das deutsche Rechts- und Justizsystem überfordert zu sein. Wie muss das dann erst bei komplizierten Fällen der Wirtschaftskriminalität sein?