5.5 – „Sein bester Abschluss“ – die Affäre Franz STEINKÜHLER 1993 im stern

Oder: Wie Informantenschutz perfekt(ioniert) funktionieren kann

Dass Informantenschutz in Deutschland nicht nur rechtlich, sondern auch journalistisch lückenlos funktionieren kann, belegt die Affäre Franz STEINKÜHLER aus dem Jahre 1993. Hintergrund ist folgendes Problem:

Der notwendige Grad des Schutzes von Informanten ist u.a. abhängig von der Brisanz der Informationen und/oder Materialien. Zum zweiten davon, welche Art von System-Schutzvorschriften damit verletzt werden: hohe oder niedrige Schranken, strenge oder offene Geheimnisse. Anders formuliert: bis in welche Persönlichkeitssphären eines OdR die fraglichen Informationen hineinreichen.

  • Öffentlichkeits- und Sozialsphäre stellen (in der Regel) kein Problem dar.
  • Kritischer kann es bei der Privat- und Geheimsphäre werden.

Am sichersten ist es, wenn beide Seiten, Informant und Journalist, alles tun, um mögliche Probleme bzw. Pannen, wie (un-)realistisch diese auch seien, zu vermeiden. Das folgende Beispiel soll hier in ausführlicher Darstellung demonstrieren, erstens wie wichtig solche Überlegungen sind, und zweitens wie sicher der Informantenschutz funktionieren kann, selbst wenn es bis in die zweitbest geschützte Persönlichkeitssphäre geht – im konkreten Fall um das Bankgeheimnis bzw. die finanziellen Privattransaktionen einer Person des öffentlichen Lebens. Die Rede ist vom ehemaligen IG-Metall-Chef Franz STEINKÜHLER, der seinerzeit in dieser Funktion auch im Aufsichtsrat der Daimler Benz AG saß, sowie seine Spekulationsgeschäfte im Frühjahr 1993 mit Aktien der Mercedes Aktien Holding (MAH), die mit der Daimler Benz AG verschmolzen werden sollte. STEINKÜHLER galt als hemsärmelig, war knallhart, agierte gnadenlos und sehr erfolgreich und war für die Arbeitgeber ein Schreckgespenst. Eines seiner Lieblingsthemen: das Verteufeln Geldgier und von Spekulanten aller Arten.

So kam die Geschichte im stern zustande:

Der stern-Redakteur Michael BACKHAUS vom Bonner Büro, der gerade mit einer weiteren Story den seinerzeit berühmt-berüchtigten Bundesverkehrsminister Günther KRAUSE, CDU, zum Rücktritt veranlasst hatte – die treibenden Kräfte waren neben dem stern (Umzugsaffäre) der SPIEGEL (Putzfrauenaffäre) –, wird im Frühstücksfernsehen von SAT.1 mit der Frage konfrontiert: Wie erfährt man solche Informationen? Der damalige stern-Jounalist nutzt die Gelegenheit und betont vor allem die Rolle von Informanten, die kein Risiko eingingen, weil sie wirksam geschützt werden könnten.

Nur wenige Tage später klingelt bei BACKHAUS das Telefon, der Anrufer bleibt anonym: Der IG-Metall-Chef, der bekanntlich gerade in aller Öffentlichkeit zur Solidarität mit den ostdeutschen Arbeitskumpeln aufrufe, um mittels eines Arbeitskampfes einen neuen Tarifvertrag durchzusetzen, hätte für sich ganz privat seinen besten Abschluss, sprich mehrere größere Aktienkäufe getätigt, die ganz offensichtlich nach einem Insider-Geschäft aussähen. Allein der zeitliche Ablauf von Käufen, Aufsichtsratssitzung, in der die Fusion verkündet wurde, und Wiederverkäufe der inzwischen gestiegenen Aktienwerte stimme verdächtig. Interessiert?

Der Journalist erhält erste Informationen und Hinweise am Telefon, die er nun gegenchecken muss, um die Zuverlässigkeit des Informanten zu überprüfen: Die Namen der Firmen und Aktien sowie ihre Kursentwicklung, die Daten und Tagesordnungspunkte der Aufsichtsratssitzungen usw. Danach muss der Redakteur warten, denn er hat weder Telefonnummer noch Namen des Anrufers und somit keinerlei Anlauf- oder Rückmeldestelle – der Informant geht offenbar auf Nummer sicher.

Der zweite Anruf lässt auf sich warten, aber er kommt. Die Informationen werden brisanter: die Nummern des Aktiendepotkontos, erste Daten zu den Transaktionen usw.. Die Informationen stellen einen klaren Bruch des Bankgeheimnisses dar – es ist (derzeit immer noch) eines der best geschützten Geheimnisse in vielen Ländern der Welt. Die Informationen erweisen sich als korrekt: Am 18. März 1993 hatte der Gewerkschaftsführer der IG Metall eine Tranche im Wert von fast einer Viertelmillion DM an MAH-Aktien über seine Bank erworben, eine Woche später nochmal für etwa die gleiche Summe und dann nochmals ein kleineres Paket. Einen Tag vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung dann nochmals ein größerer Aktieneinkauf: für rund eine halbe Million – dieses Mal auf den Namen und das Konto seines zehnjährigen Sohnes. Zweieinhalb Wochen später ist der Wert aller eingekauften Aktien gestiegen: STEINKÜHLERS Kursgewinn beträgt fast 180.000 DM. Und dies in genau vier Wochen.

Nach mehreren einseitigen Telefonanrufen ist man sich einig: Der stern wird die Geschichte bringen, aber erst nach Beendigung des Streiks; zweitens, der Informant bekommt sein gewünschtes Honorar in sechsstelliger Höhe, muss dazu aber nach Hamburg in die Gruner+Jahr-Zentrale kommen – Honorarverträge werden auf kaufmännischer Basis, sprich über einen ordentlichen Vertrag abgewickelt: a) die Zahlung erfolgt erst nach Veröffentlichung, b) die Story muss bis dahin exklusiv bleiben und c) die Fakten zutreffend sein. Dazu muss sich der Informant offenbaren. Dies geschieht. Bei einem ausführlichen Frühstück im Hotel Steigenberger, zu dem der Journalist im Einvernehmen mit dem Informanten einen Freund hinzugebeten hatte, der aus der Aktien- und Börsenwelt stammt und sich auskennt, werden letzte Fachfragen geklärt, ob alles stimmig ist, und letzte Details der Story gecheckt und bewertet: Kann man das so formulieren? Ist das die richtige Schlussfolgerung? Was will die ganze Geschichte eigentlich sagen?

Die Geschichte steht. Einem Notar gegenüber hat sich der Informant via Personalausweis zu erkennen gegeben und so nimmt alles seinen vorgesehenen Lauf. Am Samstag, den 15. Mai 1993, kommt Franz STEINKÜHLER von einer Sitzung aus Genf zurück – Michael BACKHAUS präsentiert ihm am Telefon die Fakten. »Die Fakten stimmen«, so der Gewerkschaftsboss, aber sie seien falsch interpretiert!

Der stern gibt seine übliche Vorabmeldung via Presseverteiler an die Medien am Montagmorgen. Am nächsten Tag steht die Meldung in allen Tageszeitungen. Der IG-Metall-Chef beraumt noch für den gleichen Tag eine Pressekonferenz an – sie wird für ihn zum Desaster – den gezielten Fragen und Schlussfolgerungen der vielen Journalisten ist er nicht mehr gewachsen: Entweder man macht solche Geschäfte und denkt an nichts Böses – dann ist man blauäugig und sollte nicht im Aufsichtsrat sitzen. Oder aber: Man ist clever und macht solche Insider-Geschäfte, die zwar verpönt, aber derzeit ja noch nicht strafbar seien; dann aber wäre die Frage, ob sich ein solches Verhalten mit den Attituden eines Gewerkschaftsführers vereinbaren lasse, der regelmäßig Spekulanten verteufele.

Die Kommentare tags drauf fallen bissig aus. Jetzt rufen auch die Funktionäre aus rund 200 Bezirksverwaltungen in der IG-Metall-Zentrale in Frankfurt an, denn sie verstehen die Welt von Franz STEINKÜHLER nicht mehr. Der hatte zwar noch am Samstagnachmittag den Daimler-Chef telefonisch beim stern vorgeschickt, der die Ordnungsmäßigkeit der fraglichen Vorgänge attestieren, sich aber nicht für des Gewerkschaftsführers weiße Weste verbürgen mochte. Am Mittwoch, dem 19. Mai, weil der reguläre Donnerstagstermin auf einen Feiertag fällt, steht die Geschichte im Blatt (stern Nr. 21/93): »Sein bester Abschluss« (nachzulesen ganz unten).

Im persönlichen Beraterkreis überlegt STEINKÜHLER, ob er kämpfen soll. Es sieht danach aus. Doch dann bekommt er mit, dass der stern noch von weiteren Aktiendeals weiß: seine am 8. März eingekauften Aktien des niederländischen Flugzeugherstellers Fokker, der wenig später von der Daimler-Tochter »Dasa« mehrheitlich übernommen wird. Am Dienstag darauf, noch vor Erscheinen der zweiten stern-Geschichte (Nr. 22/93: »Wie stehen die Aktien, Franz?«)  tritt STEINKÜHLER zurück. Seine Erklärung, die er vor seinen Kollegen abgibt, besteht aus ganzen drei Sätzen.

Die Fakten, die der stern in seiner zweiten Geschichte zur ersten nachlegt, sind erdrückend. Allerdings sind Insider-Geschäfte erst seit 1994 strafrechtlich relevant, waren aber seinerzeit bereits aufgrund eines Ehrenkodex absolut verpönt, und schon damals haben Experten nach klaren gesetzlichen Regelungen gerufen. So gesehen hat STEINKÜHLER nicht gegen geltende Gesetze verstoßen. Jedoch hat ihn diese selbst verursachte Affäre seinen Job, seine Glaubwürdigkeit, sprich seinen Ruf gekostet.

Ein Image-Problem (Bankgeheimnis!) hat nach der Veröffentlichung auch die Bank: die damals noch teilsweise gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirt­schaft (BfG), Filiale Stuttgart, die ehemals auch Hauptfinanzier aller grandios pleite gegangenen gewerk­schaftseigenen Unternehmen war, die eigentlich alles besser, sprich so­zialer und menschenfreundlicher machen wollten: Neue Heimat(-Affäre 1982, vgl. SPIEGEL 6, 20, 22/1982) und Co-op(-Affäre 1988, vgl. SPIEGEL 42-44, 47, 48, 50/1988). 1992 ist die BfG selber an der Reihe: Die Gewerkschaften müssen ihre völlig abgemagerte Bank mehrheitlich verkaufen (heute: SEB – Svenska Enskilda Bank).

Der Ex-Gewerkschaftsführer, der ein knappes Jahr nach seinem Rücktritt, am 18.3.1994, dem SZmagazin unter der Überschrift »Ich werde nicht aufhören, den zu suchen, der mich verraten hat. Und ihm dann eine runterhauen!« ein Interview gibt, sowie die BfG-Bank tun sich zusammen. Sie versuchen, den Übeltäter zu entlarven. Insgesamt dreizehn Personen, die potenziell in Frage kommen, kann man eingrenzen – doch weiter kommen die Bank und STEINKÜHLER nicht. Man versucht es anders: mit Fotos – wer hat wen wann und mit wem zusammen wo gesehen? Die Bilder stammen aus den Personalakten der Bank. Auch dies führt zu keinem Ergebnis. STEINKÜHLER und die BfG ziehen ihr letztes Register: Gewerkschaftssolidarität – zumindest kennen wir für die nachfolgende Darstellung keine andere plausible Erklärung.

Auch in Medienunternehmen gibt es Mitarbeiter, die Mitglied einer Gewerkschaft sind. Zum Beispiel in der IG Medien, der damaligen ÖTV (heute ver.di) u.a.m. Und auch in Spesenabrechnungs-Abteilungen arbeiten solche Leute. Wie auch immer: Jedenfalls erlangt die BfG Kenntnis von jenem Namen, den der stern-Redakteur auf seiner Spesenabrechnung als »bewirtete Person« eingetragen hatte – Anlass war das gemeinsame Frühstück im Hotel Steigenberger vor der fraglichen Vertragsunterzeichnung mit dem Informanten.

Auf der Spesenabrechnung stehen indes nur zwei Namen: der des Redakteurs und jener seines Freundes, den er als Börsenfachmann im Einvernehmen mit dem Informanten dazugebeten hatte. Der Name des Informanten findet sich auf dem Beleg (natürlich) nicht. Das können der abgetretene Gewerkschaftsboss, die Ex-Gewerkschaftsbank sowie jene Person, die diese Spesenabrechnung weiter gegeben hatte, zunächst nicht wissen, und so wird der Frankfurter Aktienexperte auf Verlangen der BfG-Bank zum Vorstand der Deutschen Börse einbestellt. Dort legt man ihm dreizehn Fotos vor: Er solle – doch bitteschön – sagen, mit wem er zusammen in Hamburg auf Kosten des stern getafelt habe. So weit geht der Einfluss von Banken schon, dass man Börsenmitarbeiter über den Börsenvorstand zur ‚Inquisition‘ vorladen kann.

Der Versuch, mittels gewerkschaftlicher Solidarität und Bankenmacht, den Informantenschutz auszuhebeln, misslingt: Der dritte Mann, der so genannte Informant, befindet sich nicht auf den fraglichen Fotos. Er kann es auch nicht. Der wirkliche Informant ist nämlich nie in Erscheinung getreten – weder am Telefon noch persönlich beim stern in Hamburg. Der Kontakt zwischen eigentlichem Informanten und dem Journalisten lief die gesamte Zeit über einen Vertrauensmann, den der tatsächliche Informant – ganz offensichtlich aus Gründen der Vorsicht angesichts der Brisanz der gelieferten Informationen – zwischengeschaltet hatte. So ist dem stern zwar der Mittelsmann vom Gesicht her bekannt, der in Hamburg war (die Personalien weiß nur der Notar). Und für den gilt der reguläre rechtliche Informantenschutz. Aber wirklichen Informationsgeber kennt bis heute nur sein eigener Gewährsmann. Und so wird es auch bleiben.

Der stern hat aus dieser Geschichte gelernt: dass selbst interne Spesenabrechnungen im Zweifel zum Problem werden können. Der Verlag hat daraufhin ein Agreement mit den Finanzbehörden getroffen. Gegen eine Pauschale werden seither keine Spesenabrechnungen mehr steuerlich geltend gemacht.

 

Und das war die Geschichte im stern (Ausgabe Nr. 21 v. 19.5.1993), die wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags hier dokumentieren können:

Sein bester Abschluß

Von Michael BACKHAUS

    Im Ostdeutschen Arbeitskampf bat IG-Metall-Chef Franz STEINKÜHLER um Spenden für die Streikenden. Um den Abschluß des neuen Tarifvertrages mußte der Gewerkschaftsführer hart kämpfen, als er den besten Abschluß ganz privat schon gemacht hatte: STEINKÜHLER, Aufsichtsratsmitglied bei Daimler-Benz, spekulierte mit Mercedes-Aktien für eine Million Mark und strich einen sechstelligen Gewinn ein. Ein Insider-Geschäft?

Als IG-Metall-Chef Franz STEINKÜHLER vorigen Samstag seinen Vorstand um sich versammelte, um den ersten Arbeitskampf in Ostdeutschland seit 60 Jahren abzublasen, da hatte er durch die Fenster des Sitzungssaales im 14. Stock der Frankfurter Gewerkschaftszentrale die übliche Aussicht auf die Geldtürme der Deutschen Bank. Sie mögen ihn daran erinnert haben, daß auch nach diesem Streik die Gewerkschaft von STEINKÜHLERs selbstgestecktem Ziel »Aufhebung der Vormachtstellung des Kapitals über die Arbeit« weit entfernt ist. Hätte es sonst jener Solidaritätsaktion bedurft, mit der STEINKÜHLER zwei Tage zuvor die »gesamte Bevölkerung« und die »sozial denkenden Institutionen« ermunterte, auf die »Nummer der Solidarität 1515« bei der BfG-Bank zu spenden, damit den 40.000 Streikenden im Osten das karge Streikgeld um 50 Mark pro Woche aufgestockt werden kann?

Wieviel die Nummer mit der Solidarität noch einspielt, bleibt abzuwarten. STEINKÜHLER persönlich dürften zwei andere Nummern bei der BfG ohnehin mehr interessieren: die 7073 573 800 und die 7048 364 400. Dabei handelt es sich um das Aktiendepot des Gewerkschaftsführers und das seines minderjährigen Sohnes Dominik. Und an der Wertpapierfront hat STEINKÜHLER in den zurückliegenden Wochen mindestens soviel Einsatz gezeigt wie im Arbeitskampf.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Mehr als 160 000 Mark erwirtschaftete der IG-Metaller auf die Schnelle. Einsatz: eine Million. So lauthals er für die Prozente der Metaller stritt, so geräuschlos mehrte der mit einem Jahreseinkommen von gut einer Viertel Million Mark bestbezahlte deutsche Gewerkschafter sein privates Vermögen.

Doch die Freude am schnellen Geld währt wohl kurz. Denn der Gewinn beruht auf einer Spekulation STEINKÜHLERs mit Aktien der Mercedes Aktiengesellschaft Holding (MAH). Der MAH gehören 25,23 Prozent der Daimler-Benz AG. Da der IG-Metall-Chef im Daimler-Aufsichtsrat sitzt, ist er in den Verdacht geraten, das Zubrot in sechsstelliger Höhe mit unzulässigen Insider-Informationen verdient zu haben. Die Ausnutzung intern erworbener Kenntnisse für Börsenspekulationen ist in Deutschland zwar noch nicht strafbar, aber per Ehrenkodex verpönt. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar KOPPER, der zugleich Vorsitzender des Daimler-Aufsichtsrates ist, bewertete unlängst Insider-Deals so: »Das ist kein Kavaliersdelikt. Wer gegen Insider-Regeln verstößt, gehört in den Knast.«

Ob STEINKÜHLER sich eines solchen Verstoßes schuldig gemacht hat, wird die Insider-Konunission der Frankfurter Börse prüfen. Fest steht bereits jetzt, daß der IG-Metall-Chef durch den Kauf und Verkauf von MAH-Aktien in einem hochspekulativen Abschnitt der Kursentwicklung satte Gewinne einstreichen konnte. Am 18. März kaufte STEINKÜHLER 500 MAH-Aktien zu einem Kurs von 453 Mark. Einschließlich Bankspesen kostete ihn der Erwerb 227.997,40 Mark. Eine knappe Woche später, am 23. März, legte sich STEINKÜHLER für 225.480,90 Mark ein weiteres Paket mit 500 Anteilscheinen à 448 Mark zu. Drei Tage darauf orderte er weitere 100 Aktien, die wegen des auf 483,50 Mark gestiegenen Kurses 48.671,61 Mark kosteten. Am l. April wurde dann Dominik STEINKÜHLER für knapp eine halbe Million Mark MAH-Aktionär. Für 1.000 Anteilsscheine, deren Stückpreis inzwischen bei 493 Mark lag, wurden exakt 496.256,30 Mark bezahlt.

In Stuttgart begann am selben Tag eine Sitzung des Daimler-Aufsichtsrats unter Beteiligung von Franz STEINKÜHLER. Es war alles andere als ein Routinetreffen. Denn am 2. Sitzungstag, dem 2. April, wurde unter dem Punkt »Verschiedenes« verkündet, daß die MAH und Daimler verschmolzen und die MAH-Aktien zum Jahresende im Verhältnis eins zu eins in Daimler-Papiere umgetauscht werden. Die Veröffentlichung dieses Beschlusses führte noch am selben Nachmittag an der Frankfurter Börse zu einem Kurssprung von 84,50 Mark pro MAH-Aktie; vorher hatte das Papier immer deutlich unter dem Daimler-Kurs gelegen.

STEINKÜHLER nutzte diesen Kursanstieg. Bereits am 19. April trennte er sich von fast der Hälfte des MAH-Pakets. In seinem Auftrag verkaufte die BfG 500 Aktien zum Kurs von 563 Mark und dann noch mal 500 Aktien für je 563,50 Mark, Insgesamt erlöste er dafür 559.527,55 Mark. Nettogewinn: 106.049,25 Mark. Hinzu kommt nach gegenwärtigem Kurs ein Wertzuwachs von rund 52.000 Mark für die bislang nicht veräußerten 1.100 Aktien, die sich in den Depots von STEINKÜHLER und Sohn befinden. Für 655 Stück erteilte er der BfG am 4. Mai den bis zum 28. Mai befristeten Auftrag, sie zu einem Kurs von mindestens 565 Mark zu verkaufen.

Der starke Mann und Hoffnungsträger der deutschen Gewerkschaften, der sich stets dagegen verwahrte, »die Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit zu verwischen«, erweist sich als Spekulant, als Profiteur auf dem Börsen-Parkett. Für die Basis muß dies ein Schockerlebnis sein. Wegen der derzeitigen Wirtschaftsmisere stehen Zehntausende Arbeitsplätze in der Stahl- und Automobilindustrie auf dem Spiel. Der Daimler-Benz-Konzern macht sich gegenwärtig durch Umstrukturierungen für den internationalen Markt und für Geldgeber aus dem Ausland fit. Und just daran verdient sich STEINKÜHLER als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eine goldene Nase.

Nach den Insider-Handelsrichtlinien der Frankfurter Börse dürfen gesetzliche Vertreter und Aufsichtsratsmitglieder einer Gesellschaft Geschäfte unter Ausnutzung von Insiderinformationen »zu keinem Zeitpunkt und in keiner Weise zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil Dritter abschließen«.

Vom STERN am vergangenen Samstag auf die Spekulationsgeschäfte angesprochen, bestätigte STEINKÜHLER: »Die Fakten stimmen.« Mit Insider-Handel habe das alles freilich nichts zu tun. Er habe von der bevorstehenden Verschmel-zung von MAH und Daimler »nichts geahnt und nichts gewußt«. Normalerweise kümmere er sich nicht um Aktien. Er verfolge nur die Kurse der Firmen, in deren Aufsichtsrat er sitze, neben Daimler auch bei Thyssen, VW und der BfG. So habe er sich »lediglich an die seit geraumer Zeit zu beobachtende positive Kursentwicklung für MAH drangehängt«. Von der Verkündung der geplanten Fusion im Daimler-Aufsichtsrat am 2. April sei er überrascht worden.

Daimler-Chef Edzard REUTER bestätigte auf Bitten STEINKÜHLERs dem STERN, daß der IG-Metall-Chef nicht zu dem exklusiven, maximal acht bis zehn Personen umfassenden Kreis gehört habe, der vorab über die Verschmelzungspläne informiert gewesen sei. Aber auch Reuter kann nicht ausschließen, daß der über ein dichtes Beziehungsgeflecht in der deutschen Wirtschaft verfügende Gewerkschaftschef anderweitig einen Insider-Tip erhielt.

Seltsam ist jedenfalls, daß der ansonsten in Sachen Ak-tien wenig aktive STEINKÜHLER knapp eine Million Mark in ein einziges Wertpapier investierte. Bemerkenswert sind insbesondere STEINKÜHLERs Aktivitäten am 23. März: An diesem Tag trennte er sich auf einen Schlag von festverzinslichen Schuldverschreibungen im Nennwert von 158.000 Mark und 810 Investmentanteilen – alles risikoarme Papiere. Ebenfalls am 23. März kauf-te STEINKÜHLER das zweite Paket MAH-Aktien für 225.480,90 Mark..

Besonders seltsam mutet an, daß STEINKÜHLER für das Depot seines Sohnes Dominik die tausend MAH-Aktien am l. April zu dem schon kräftig gestiegenen Kurs von 493 Mark kaufte. Börsenfachleute sind sicher, daß der Kurs abgestürzt wäre, wenn in der Aufsichtsratssitzung am l./2. April die Fusion nicht verkündet worden wäre.

Experten nehmen es STEINKÜHLER nicht ab, daß er völlig ahnungslos ins hochspekulative Aktiengeschäft einstieg. Allein der große Umfang der Käufe, so der Vorsitzende einer Börsen-Prüfkommission für Insider-Geschäfte zum STERN, lasse den Schluß zu, daß »der Mann sich seiner Sache todsicher war«. »Völlig abwegig« sei die Vorstellung, daß jemand am ersten Tag einer Aufsichtsratssitzung ein solches Aktienpaket erwerbe und keine Ahnung habe, was am folgenden Tag im Zusammenhang mit dieser Aktie beschlossen werde: »Das stinkt zum Himmel.« Ähnlich sieht das ein Vorstandsmitglied einer deutschen Großbank.

Auf jeden Fall hat STEINKÜHLER die Aktien nicht als langfristige Kapitalanlage, sondern für eine kurzfristige Spekulation erworben. Ein solches Gebaren ist nur schwer zu vereinbaren mit dem Verhaltenskodex von Aufsichtsratsmitgliedern und schon gar nicht mit dem Auftrag eines Gewerkschafters, der die Interessen der Arbeitnehmer wahren soll und nicht seinen Vermögensvorteil als Anteilseigner.

Viele Mitglieder Aufsichtsräten handeln überhaupt nicht mit Aktien ihrer Gesellschaften, um jeden Eindruck unkorrekten Verhaltens von vornherein zu vermeiden, weiß der Vorsitzende der Frankfurter Insider-Kornmission, Friedrich-Carl zur MEGEDE. Er leitet derzeit auch die Überprüfung des Verdachts auf Insider-Handel im Falle MAH. Ebenso wie alle Vorstände und Aufsichtsräte von Daimler und MAH wurde auch STEINKÜHLER von MEGEDE aufgefordert, sich zu den Vorgängen schriftlich zu äußern. Der Gewerkschafter hat bis zum vergangenen Wochenende noch nicht darauf reagiert. STEINKÜHLER zum STERN: »Ich werde jetzt auf eine Überprüfung mit Hochdruck drängen. Denn ich bin politisch sehr verwundbar.«

Franz STEINKÜHLER ist unter den deutschen Gewerkschaftern eine Ausnahmeerscheinung. Ein Mann, der nicht nur Tarif-, sondern auch Gesellschaftspolitik machen will. Bei seiner Wahl zum IG-Metall-Chef 1986 in Hamburg formulierte er als Fernziel: »Wir wollen teilhaben an allen Reichtümern dieser Gesellschaft.« Sein Lebensmotto ist das schon lange. Den Polizistensohn trieb es aus kleinsten Verhältnissen nach oben: »Ich wollte raus aus dem Dreck.«. Noch heute erzählt STEINKÜHLER, daß er als Kind zu Ostern immer nur Schokoladen-Bruch bekommen habe: »Osterhasen konnten wir uns nicht leisten.«

Das Problem hat der Klassenkämpfer in eigener Sache schon lange nicht mehr. Vor-bei auch die Zeiten des Stuttgarter Bezirksleiters STEINKÜHLER, dessen Metaller vor dem Bosch-Werk in den siebziger Jahren mit der Parole aufmarschierten: »Millionen gegen Millionäre«. Heute ist er wohl selber einer.

Europas einflußreichste Finanzzeitung, die Londoner »Financial Times«, erkannte schon 1987: »Er tritt eher wie ein Geschäftsmann auf denn wie ein Gewerkschafter.« Und das Düsseldorfer »Handelsblatt« beruhigte seine Leser anläßlich des STEINKÜHLER-Aufstiegs zum Gewerkschaftschef, bei ihm sei wenigstens »nicht die Rede … von der Abschaffung des Profits«.

Das vertrüge sich auch kaum mit STEINKÜHLERs Lebensstil des Gewerkschafters. Gutes Essen, teure Zi-garren, schnelle Autos und feine Anzüge sind ihm selbstverständlich. Die Attribute der Mächtigen und Reichen vermitteln STEINKÜHLER die Gewißheit, mit den Vertretern des Kapitals gleichgezogen zu haben. Kritikern seiner Neigung zu Nohelrestaurants hält er forsch entgegen: »Ich esse viel lieber gut als schlecht, und ich habe auch noch keinen getroffen, der gerne schlecht ißt.«

Franz STEINKÜHLER ist davon überzeugt, daß es die Mitglieder nicht anders wollen. Die wünschten nämlich nicht, daß bei Tarifgesprächen »ein Kleiner mit einem Großen spricht«. Daß die Basis nicht immer das rechte Verständnis für den Kampf ihres Vormannes um soziale Anerkennung aufbringt. mußte der »feine Franz« im Februar 1988 in Duisburg-Rheinhauscn erfahren. Da wurde er von demonstrierenden Stahlkochern gnadenlos ausgepfiffen, die um den Bestand ihrer Hütte fürchteten.

Als Wanderer zwischen zwei Welten – hier die Metal-ler im Blaumann, dort die Manager und Politiker im Nadelstreifen – kann man schon mal die Orientierung verlieren. Im Vergleich zu den geborenen Mitgliedern der gesellschaftlichen S-Klasse, unter denen STEINKÜHLER viele gute Bekannte hat, ist er selbst eher ein Sozialfall. Die über 20.000 Mark brutto, die der Gewerkschaftschef monatlich bekommt, sind für einen Mercedes-Monteur viel Geld. Für Daimler-Chef Edzard REUTER ist es ein besseres Trinkgeld. Andererseits hat STEINKÜHLER mindestens soviel Macht und Verantwortung wie ein Top-Manager und rackert mehr als manche von ihnen.

Mit seinem Aktien-Deal hat STEINKÜHLER nicht nur sich selbst und seiner Gewerkschaft, sondern auch dem Finanzplatz Deutschland und Daimler-Benz geschadet. Die Frankfurter Börse steht bei ausländischen Investoren wegen der laxen Insider-Kontrollen ohnehin in einem denkbar schlechten Ruf. Die Folge der jüngsten Affäre könnte sein, daß sich die internationale Kritik am Börsenplatz Deutschland noch verschärft und ausländische Anleger wegbleiben.

Hochnotpeinlich ist die Affäre für Daimler-Chef REUTER. Nach langwierigen Verhandlungen in New York hatte der Konzern jüngst voller Stolz angekündigt, er werde als erstes deutsches Unternehmen an der Wall Street notiert. Erstes Stirnrunzeln gab es in Amerika, als am 2. April die MAH-Daimler-Fusion bekanntgegeben wurde, ohne daß der Börsenhandel in Frankfurt zuvor ausgesetzt worden war. Und tatsächlich wurden in einer halben Stunde nachbörslichen Computerhandels Millionengewinne realisiert. Weit heftiger dürfte die Reaktion ausfallen, wenn sich der Verdacht auf Insider-Geschäfte eines Daimler-Aufsichtsrats bestätigen sollte.

Sicher ist, daß es am 26. Mai auf der Hauptversammlung von Daimler-Benz. in Stuttgart hoch hergehen wird. So hat der Diplom-Kaufmann Jochen KNOESEL aus Reichenberg beantragt: »Vorstand und Aufsichtsrat werden nicht entlastet.« Er begründet dies mit der Informationspolitik der Vorstände von Daimler und MAH im Vorfeld des Fusionsbeschlusses, die einen »ausufernden Insider-Handel zu Lasten ahnungsloser Kleinaktionäre ermöglicht« habe.

Mitarbeit: Dieter HÜNERKOCH, Rüdiger JUNGBLUTH.

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Anmerkung:

Als die fragliche Ausgabe des stern mit dieser Geschichte erschien, war STEINKÜHLER bereits nicht mehr im Amt. Der Druck seiner (untergebenen) Kollegen und der öffentlichen Diskussion war so groß geworden, dass der IG Metallboß einen Tag vorher zurücktrat.