2.3.2 – Zwei Videoaffären

Das Unmögliche für möglich halten: zwei Videoaffären

Es gibt in Wirklichkeit nichts, was es nicht gibt. Nur: meistens sieht oder merkt man es nicht, und was man nicht mitbekommt, zählt dann einfach auch nicht oder ist schlichweg nicht existent. Dies entspricht der menschlichen Psyche.

Davon profitieren andere. Jene, die es genau aus diesen Gründen machen. Einzige Vorsichtsmaßnahme: Niemand darf es merken. Und das ist nicht ganz so schwierig, sind doch Dinge wie Persönlichkeitsrechte, Datenschutz oder sonstige Geheimnisse ideale Voraussetzungen dazu.

Trotzdem gibt es manchmal Pannen. Oder einer der Beteiligten, der weder dem anderen noch sich selber wirklich trauen würde, weil Ganovenehre längst ‚out‘ ist, kommt auf die Idee, heimlich Aufzeichungen, z.B. Videomitschnitte, zu machen oder den anderen sonst irgendwie zu täuschen.

Zwei Beispiele: Eines aus Südamerika, wo man solches immer vermutet, das andere aus Europa bzw. unserem Nachbarland Frankreich.

Die südamerikanische Geschichte spielt sich im Jahre 2000 ab, und zwar in Peru. Vladimiro MONTESINO, gleichzeitig Vertrauensmann der CIA und eng mit dem peruanischen Staatschef Alberto FUJIMORI befreundet, hatte 620.000 US-Dollar dem Chef eines größeren Fernsehsenders übergeben, um auf die Berichterstattung einzuwirken – zu Gunsten seines Freundes, des amtierenden Staatspräsidenten, der kurz darauf die Wahlen zum dritten Male gewann. Als eine Kopie des Videos – seitens des Geheimdienstchefs natürlich völlig unerwünscht – bei einem der unabhängigen Fernsehsender landet, setzt sich der Geheimdienstchef ins Ausland ab; der Staatspräsident tut ein gleiches, aber erst einige Monate später. Zuvor durchsucht er in eigener Regie die fluchtartig verlassene Wohnung seines befreundeten Geheimdienstmannes, um sonstige Videos zu sichern. 700 davon übergibt er der Justiz, mit einigen hundert anderen im Reisegepäck, so eine offizielle Schätzung, verflüchtigt er sich im November 2000 mit seinem zweiten Reisepass nach Japan (vgl. SPIEGEL 14/2001: 152).

Ein Video, in dem ein Staatspräsident der Annahme von schwarzen Parteigeldern beschuldigt wird, allerdings ohne den Staatsmann in flagranti zu zeigen, gibt es seit September 2000 auch in der französischen Hauptstadt Paris. Tatsächlich ist das inkriminierte Video viel älter und der fragliche Vorgang datiert bis ins Jahr 1986 zurück. Die französische Tageszeitung »Le Monde« hatte am 21.9.2000 das auf Video festgehaltene Geständnis des ehemaligen Schatzmeisters der Gaullistenpartei veröffentlicht, nach dem der frühere Bürgermeister von Paris und heutige Staatspräsident Jacques CHIRAC (Gaullistenpartei) vor 14 Jahren fünf Millionen FF (knapp 2 Mill. DM rd. 1 Mill. €) in bar entgegengenommen habe. Die Pikanterie an dieser Affäre: Das Video entstammt dem Besitz des ehemaligen Wirtschafts- und Finanzministers der Gegenpartei, Dominique STRAUSS-KAHN (DSK) von den Sozialisten, und der war bis 1999 Minister unter dem heute noch amtierenden französischen Premier Lionel JOSPIN (Zurücktreten mußte DSK aufgrund einer anderen Affäre: nach Bekanntwerden von zu Unrecht kassierten Zuwendungen in früheren Jahren).

Wie er an das Video gekommen war, darüber existiert eine Aussage eines der früheren DSK-Berater, des Rechtsanwalts Alain BELOT, vor einem Untersuchungsrichter: Der Minister habe ihn, den Steueranwalt beauftragt, mit säumigen Steuersündern und so beispielsweise auch mit dem bekannten Modeschöpfer Karl LAGERFELD, günstige Deals auszuhandeln, nach denen sich deren Steuerschulden erheblich reduzierten. Im Rahmen solcher Arrangements sei auch die Übergabe der fraglichen Videokassette aus dem Gaullistischen Lager, und zwar im Original an den Finanzminister der regierenden Sozialistenpartei erfolgt, die bekanntlich im politischen Dauerclinch mit dem gauliistischen Staatspräsidenten CHIRAC liegt. Ein Schelm, wer dabei an politische Erpressung denkt!

Vom Prinzip her gesehen sind beide Geschichten in ihrer (eigentlichen) Unglaublichkeit absolut vergleichbar. In Europa läuft sie lediglich ein wenig diffiziler ab. Und wenn irgendwo kein Video existiert, dann heißt dies zunächst nur, dass bisher zumindest keines bekannt geworden ist. Egal ob man an den früheren Ex-Verfassungsschutzchef und bundesdeutschen Staatssekretär im Verteidigungsministerium sowie zuletzt als Repräsentanten von Daimler Chrysler fungierenden Holger PFAHLS denken mag (vgl. S. 71 im Buch) oder an die bisher in Deutschland immer noch nicht wirklich aufgeklärte Elf Acquitaine /Leuna-Affäre.

Und wer noch immer nicht von der regelmäßigen Möglichkeit des Unglaublichen oder Unmöglichen überzeugt ist, dem sei beispielsweise das Buch »Tod auf Bestellung. Politischer Mord im 20. Jahrhundert« (BLONDIAU 2000), und dort vorzugsweise zwei Kapitel über Italien, konkret den Fall Aldo MORO sowie über den den Vatikan-Banker Robert CALVI (vgl. auch BLONDIAU/GÜMPEL 1999) zur detaillierteren Lektüre empfohlen.